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Fremde Arten

Immer häufiger breiten sich neu eingeführte Tier- und Pflanzenarten massenhaft in Regionen aus, in denen sie keine natürlichen Feinde haben, und bringen das biologische Gleichgewicht durcheinander. Auch Gewässer sind betroffen, zum Beispiel der Bodensee.

Von Thomas Wagner |
    Sie ist zwar im Vergleich überaus winzig, doch nicht minder furch erregend wie das legendäre Ungeheuer von Loch Ness: Professor Rainer Eckmann, Seenforscher an der Uni Konstanz, fürchtet

    "im Moment die Schwebgarnele, die sich im Freiwasser von Zooplankton ernähren könnte, weil die den Felchen in Sachen Nahrung Konkurrenz machen könnte. Da müssen wir aufpassen. Die ist im Rhein schon vorhanden."

    Das Problem dabei ist: Die Schwebegarnele kam bis vor kurzem in mitteleuropäischen Binnengewässern überhaupt nicht vor. Erst seit Kurzem lassen sie sich in zunehmender Häufung auch hierzulande nachweisen. Und das bereitet Experten wie Rainer Eckmann Sorgen:

    "Es gibt sehr viele Untersuchungen aus Nordamerika, wo eine verwandte Garnele, die auch solches Plankton frisst, ganz gravierende Einwirkungen auf die Fischbestände gehabt hat. Es hat sich das Wachstum der Fische verändert; sie sind verringert worden. Und dadurch sind einige der Fische in ihrem Bestand sehr stark zurückgegangen. Sie sind dann zwar durch andere Fischarten ersetzt worden. Aber es ist dann zu einer ziemlich starken Umgestaltung der Fischgemeinschaft gekommen."

    Ähnliches befürchten die Forscher auch für den Bodensee: Da die Schwebgarnele die gleichen Kleinalgen wie das bei Feinschmeckern beliebte Bodensee-Felchen frisst, schließen die Experten weitreichende Auswirkungen nicht aus:

    "Es könnte sein, dass die Fische zukünftig noch langsamer wachsen. Sie wachsen ja jetzt schon langsamer, weil der See nährstoffärmer geworden ist. Und es könnte sein, dass das Wachstum noch mehr verlangsamt wird in Zukunft."

    Dabei ist die Schwebgarnele nur eines von vielen Wasserlebewesen, die aus anderen Ländern eingeschleppt werden und sich mittlerweile im Bodenseeraum vermehren. Neozoen nennen die Forscher diese kleinen Tierchen: Der Höckerfloh-Krebs gehört dazu, die Körbchen-Muschel, der sogenannte amerikanische Krebs. Letzterer ist ein besonders hartnäckiger und aggressiver Zeitgenosse in der Familie der Lebewesen im Bodensee, weiß Gerd Schröder, Leiter des Institutes für Seenforschung Langenargen:

    "Der amerikanische Krebs, der Cumber-Krebs, hat den einheimischen Edelkrebs durch Übertragung der Krebspest in einigen Gewässern tatsächlich ausrotten können."

    Besorgniserregend ist aus Sicht der Wissenschaftler vor allem eines, nämlich die zunehmende Geschwindigkeit, in der sich in deutschen Binnengewässern, vor allem aber auch im Bodensee, ständig neue Neozoen nachweisen lassen. Professor Rainer Eckmann:

    "In den letzten vier oder fünf Jahren sind mindestens sechs neue Arten in den See gekommen. Und das war im historischen Rückblick nie der Fall, dass dies so schnell passiert ist."

    Über die Ursachen dieser Entwicklung sind sich die Experten weitgehend einig: Die zunehmende Vernetzung der europäischen Schifffahrtswege spiele hier eine wichtige Rolle, insbesondere der 1992 eröffnete Rhein-Main-Donau-Kanal. Damit einher gehe die Intensivierung der Warenströme aus der Schwarzmeerregion nach Westeuropa. Und gerade die Region rings um das Schwarze Meer ist die Heimat zahlreicher Neozoen, die nun auch im Bodensee nachgewiesen werden, so Professor Andreas Martens von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe:

    "Ein ganz entscheidender Hintergrund ist, dass dieser Bereich von den Eiszeiten nicht betroffen war und dort einige Arten vorkommen, die hier auch leben könnten, aber wegen der Eiszeiten nicht vorgekommen sind. Und der andere Punkt ist das Donau-System. Die Donau fließt ins Schwarze Meer, alle anderen Flüsse fließen Richtung Nordsee. Damit ist hier eine Barriere durch den Main-Donau-Kanal überwunden, die eine gewaltige Grenze bisher gebildet hat."

    Wie dieser Entwicklung aber entgegenwirken? Die Experten setzen auf Aufklärung. Damit wollen sie wenigstens die Übertragung solcher Mini-Lebewesen von einem zum anderen Binnengewässer verhindern. Margaretha Barth leitet die baden-württembergische Landesanstalt für Umweltschutz in Karlsruhe:

    "Man kann keine neuen Wälle oder Grenzen aufbauen. Das ist in diesem Bereich nicht sinnvoll. Man kann sensibilisieren. Man kann die Wassersportler mit Faltblättern oder sonstigen Informationen dazu bringen, dass sie ihre Schiffe sauber machen, bevor sie zum Beispiel in andere Gewässer diese Schiffe transportieren. Man kann an die Aquarienliebhaber herantreten, dass sie ihre Aquarien nicht ins Wasser entsorgen. Und ich denke, man kann beobachten, zu sehen, wie die Einwanderung fremder Tierarten zum Beispiel in den Bodensee sich tatsächlich vollzieht."