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Fremde Heimat

Sie lebten Jahrzehnte in Deutschland oder der Schweiz und dennoch blieb der Wunsch, eines Tages in die Türkei zurückzukehren: Seit über einem Jahr ist Sonya Demir wieder in Kafro, dem Dorf, in dem sie geboren und aufgewachsen ist. Vor 20 Jahren musste sie es verlassen. Wie viele andere Aramäer floh Sonya nach Westeuropa - und kehrte zurück. Von Susanne Güsten

16.06.2008
    Schafherden weiden auf dem Tur Abdin, einer kargen Hochebene in Südostanatolien nahe der türkischen Grenzen zu Syrien und Irak. Auf der Landstraße reitet ein Bauer auf einem Esel daher. Ab und zu knattert ein Militärhubschrauber am Himmel vorüber, unterwegs zu den nahen Bergen, in denen sich die kurdischen PKK-Rebellen versteckt halten.

    Ansonsten ist die Gegend still, einsam und menschenleer - doch biegt man von der Landstraße ab, taucht wie eine Fata Morgana am Horizont plötzlich ein modernes Villenviertel in der kargen Einöde auf. Kafro heißt die Ortschaft, die aus knapp 20 prächtigen Neubau-Villen besteht.

    So prachtvoll die Häuser mit ihren Türmchen und Terrassen von außen anzusehen sind, so komfortabel sind sie im Inneren ausgestattet. In der Einbauküche ihrer Villa räumt die Hausfrau Sonya Demir das Geschirr ein, während sie von ihrem Alltag erzählt:

    "Also, ich mach erst meinen Haushalt – kochen, putzen. Dann jeden Tag um halb zwei spazieren gehen, danach gehen wir zum Kaffeetrinken. Also, es läuft sehr gut, es gefällt mir hier sehr, sehr gut."

    Seit über einem Jahr ist Sonya wieder in Kafro, dem Dorf, in dem sie geboren und aufgewachsen ist - und das sie vor 20 Jahren verlassen musste. Wenige Jahre nach ihrer Familie mussten auch die letzten Bewohner von Kafro gehen, als die Armee ihr Dorf nicht mehr gegen die PKK halten mochte.

    Wie zehntausende andere Aramäer flohen sie nach Westeuropa, nach Deutschland und in die Schweiz. Sonya Demir hat fast 20 Jahre lang in Göppingen gelebt und besitzt seit Jahren einen deutschen Pass. Ganz heimisch geworden ist sie dort aber nicht, sagt sie:

    "Ich war auch in Deutschland sehr zufrieden, muss ich sagen, aber wir haben immer Heimweh gehabt, immer an unser Dorf, unsere Heimat gedacht."

    Deshalb zögerten Sonya und ihr Mann Israil nicht lange, als die Türkei ihre aramäischen Bürger vor einigen Jahren zur Rückkehr einlud. Der PKK-Krieg schien damals so gut wie vorbei zu sein, die Türkei bereitete sich mit demokratischen Reformen auf einen Beitritt zur Europäischen Union vor.

    Die alte Heimat wirkte so verlockend wie schon lange nicht mehr. Gemeinsam mit 15 anderen Familien aus Kafro verkauften auch Sonya und Israil Demir ihr Haus in Deutschland und steckten all ihre Ersparnisse in den Wiederaufbau ihres zerstörten Heimatdorfes auf dem Tur Abdin.

    Vor eineinhalb Jahren weihten die Rückkehrer ihr neues Dorf ein, das neben den Ruinen des alten errichtet ist. Mitgebracht haben sie auch ihre Kinder, die im Westen geboren und aufgewachsen sind und zunächst einmal Türkisch lernen mussten, um hier auf dem Tur Abdin die Schule besuchen zu können. Sonyas 13jährige Tochter Ilona trägt es mit Fassung:

    "Fernsehen schaue ich hier genausoviel wie in Deutschland, Playstation haben wir hier auch, Spiele und so, haben wir alles. Fußball auch, da gibt es noch keinen richtigen Platz, aber den werden wir machen. Es ist eigentlich fast alles gleich, außer – die Leute von hier sind halt anders als die von dort."

    Die Satellitenschüsseln auf den Dächern der Villen von Kafro sind auf deutsche Fernsehsender ausgerichtet, drinnen in den Wohnzimmern wird statt türkischem Tee deutscher Kaffee serviert. Die Jahrzehnte in Deutschland und der Schweiz sind nicht spurlos an den Rückkehrern vorübergegangen, sagt Yahko Demir, der Vorsitzende des Rückkehrervereins. Beim Wiederaufbau gab es öfter einmal Frust:

    "Probleme hatten wir über Pünktlichkeit, über Termine, über Versprechungen, die nicht gehalten wurden. Die Firmen – hier gibt es einfach keine seriöse Arbeit oder Einhaltung von Terminen. Wir haben die europäische Kultur gelernt, und für uns war es sehr, sehr komisch, diese Sachen."

    Kummer bereitet den Rückkehrern in Kafro derzeit nur der PKK-Krieg, der seit zwei Jahren wieder auflodert. Zwar wird derzeit vorwiegend in der Nachbarprovinz Sirnak gekämpft, doch gibt es auch in der Gegend um Kafro immer wieder einmal Angriffe und Anschläge der Rebellen, vor allem auf die Erdöl-Pipeline aus Irak, die ganz nah an Kafro vorbei verläuft. Den erhofften Frieden haben die Rückkehrer hier jedenfalls nicht vorgefunden, sagt Yahko Demir:

    "Es kann jeden Tag etwas passieren, es ist nicht ganz ruhig. Zum Beispiel gestern von neun Uhr morgens bis drei Uhr nachmittags, fast alle fünf Minuten ein Hubschrauber über unserem Dorf: hin und zurück, hin und zurück, hin und zurück. Ja, das macht schon Angst."