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Fremde im eigenen Land

Zumindest das Schicksal der Vertreibung und Zwangsumsiedlung ist den Iren erspart geblieben, sollte man meinen. Doch das stimmt nicht ganz. Vor einem halben Jahrhundert wurden irische Bauern aus dem Westen der Insel an die Ostküste verpflanzt. Das war Teil eines Umsiedlungsprogramms der irischen Regierung. Die Bauern wurden zwar nicht gewaltsam gezwungen – aber ganz freiwillig gingen sie auch nicht. Die Bauern sprachen nur gälisch, nicht englisch. Und sollten an ihrem neuen Wohnort die alte irische Kultur wiederbeleben. Tatsächlich wurden sie zu Fremden im eigenen Land.

Von Martin Alioth |
    Liebevoll blickt der 64Jährige Bauer Nicholas Kelly auf seine schwarzen Angus-Kälber und lobt sie als die besten. Wo er herkommt, in Connemara in der westirischen Grafschaft Galway, hatte man immer Angus.

    Er schreitet voll vitaler Energie durch die Weiden seines Hofs, dreizehneinhalb Hektar in der östlichen Grafschaft Meath. Kellys Wangen unter dem weißen Haarkranz sind vom Wetter und vom Rasiermesser fast blaurot geworden, der Kragen seines gewürfelten Hemdes ist durchgewetzt. Vor 49 Jahren kam er mit seinen Eltern und Geschwistern hierher. Der irische Staat gab ihnen das Land im Tausch für den kargeren Hof im Westen.

    Der damals 15Jährige Nicholas sprach kein Englisch, bloß Ja und Nein, und hier im Osten sprachen nur der Lehrer und der Polizist Irisch. Das war nicht einfach.

    Die Einheimischen bereiteten ihm keinen warmen Empfang, neidisch auf die Eindringlinge, die das neue Haus erhielten.

    Das Ganze war ein Versuch der Regierung, die irische Sprache im Zuge einer umfangreichen, geplanten Umsiedlung auch im Osten wieder zu verbreiten.

    Die Kellys blieben Fremde im eigenen Land. War das nicht schwierig?

    Noch immer fühlt sich Kelly nicht vollständig akzeptiert. Dachten die Leute hier vielleicht, sie seien ungehobelte Wilde?

    Nein, wehrt Kelly erst ab. Als Hintergedanke vielleicht. Und es seien ja auch nicht alle gewesen.

    In jeder Herde gibt es ein schwarzes Schaf, und eins genügt, um die Herde zu verderben, räsoniert der Bauer im Exil, und er weiß auch, weshalb der Empfang so frostig war:

    Die Einheimischen kannten nichts anderes, waren nie gereist. Er lebte zeitweise in England als Bauarbeiter.

    Die Begegnung mit anderen Einwanderern aus aller Herren Länder öffnete ihm die Augen, er sei als neuer Mensch zurückgekommen, offen für alle Menschen. Das gilt auch für die neuen schwarzen Einwanderer im nahegelegenen Asylantendorf Mosney:

    Das sind unseresgleichen, ihr Blut ist rot, bloß die Haut farbig.

    Irland ist groß genug für alle. - Im Gespräch mit Kellys Nachbarn schimmert die ursprüngliche Ablehnung noch immer durch. Sein Spitzname ist <<der lügner="" kelly="" >>, er gilt als eigenartig und verschroben. Das ländliche Gedächtnis ist lang. - Nicholas Kelly hat es hier im fremden Osten zu etwas gebracht, seine fünf Kinder werden wertvolles Bauland erben, aber er selbst sieht das nicht so, während er für seine Kühe und Kälber sorgt.

    Die abweisende Grafschaft Meath sei der beste Boden Irlands.

    Und während er zum Abschied die Gummistiefel wäscht, die Frage nach der Nostalgie: Hat er denn den romantischen Westen nicht vermisst?

    Anfänglich fehlte es ihm sehr. Die Berge, der Spaziergang am felsigen Strand, vor allem aber die blauen Wogen des Atlantiks.</der>