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Freunde der Verfassung

Seit den negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden wird die Notwendigkeit einer EU-Verfassung infrage gestellt. Dabei wird oft übersehen, dass bereits 18 Staaten den Entwurf ratifiziert haben. Vertreter aus diesen Ländern kommen auf Initiative Spaniens und Luxemburgs zur Konferenz "Treffen der Freunde der Europäischen Verfassung" in Madrid zusammen. Auch sie wollen in der EU-Debatte gehört werden. Hans-Günter Kellner berichtet.

    Warum bestimmt das französische und niederländische Nein die Debatte um die europäische Verfassung stärker als das Ja von 18 weiteren europäischen Staaten? Diese Frage stellen sich vor allem die Spanier. Vor zwei Jahren stimmten sie als erste in Europa per Volksentscheid mit großer Mehrheit für den Verfassungstext. Noch heute sind 62 Prozent der Spanier für diese Verfassung, ergab das Eurobarometer der EU-Kommission. Das Treffen der Vertreter aus 18 Staaten, die die Verfassung bereits ratifiziert haben, soll darum ein Signal setzen. Der bisherige Text darf nicht einfach aufgegeben werden, meint Alberto Navarro, spanischer Staatssekretär für Europaangelegenheiten:

    "Wir bilden eine große demokratische Mehrheit: zwei Drittel der Mitgliedsstaaten, 270 Millionen Europäer, mehr als die Hälfte der EU-Bürger. Als Spanier würde ich sagen, wir haben sogar die Pflicht dafür zu sorgen, dass unsere Stimme in Europa gehört wird. Es kann doch nicht sein, dass jene die Debatte bestimmen, die gegen die Europäische Verfassung gestimmt haben, oder jene, die Zweifel haben, ob der Text nicht besser zu Grabe getragen werden sollte."

    Das Treffen in Madrid solle Bundeskanzlerin Angela Merkel als EU-Ratsvorsitzende bei ihren Bemühungen um einen neuen Anlauf für eine EU-Verfassung helfen, sagt der Diplomat. Allerdings ist in Spanien auch zunehmend ein Unbehangen spürbar, Deutschland behandele das Thema mit Frankreich fast wie ein bilaterales Problem. José Ignacio Torreblanca, Politikprofessor der Uned-Universität und des regierungsberatenden Elcano-Instituts sagt:

    "Sarkozy sucht natürlich das deutsche Einverständnis. Das halten wir für normal. Weniger einleuchtend ist, dass Deutschland sich zunächst nur mit Frankreich einigen möchte. Es ist Zeit, klar zu machen, dass die EU uns allen gehört. Es wäre vollkommen inakzeptabel, dass sich Deutschland und Frankreich auf einen Kompromiss einigen, dem die anderen nur noch zuzustimmen hätten, einen Text, über den man nicht mehr diskutieren dürfte, weil er ja so schwer auszuhandeln war."

    Torreblanca macht den europäischen Mitgliedsstaaten schwere Vorhaltungen. In einer Studie zum europäischen Verfassungsprozess schreibt er, seit dem Nein aus Frankreich und den Niederlanden vor zwei Jahren hätten sie zur EU-Debatte keinen einzigen Beitrag mehr geleistet. Viel Rhetorik, null Inhalt, das ist das Fazit des Politikwissenschaftlers. Gerade von Deutschland fordert er mehr:

    "Wir wissen zwar, welches die Position des Ratsvorsitzenden der Europäischen Union ist. Aber welches ist die Position der deutschen Bundeskanzlerin? Mit dem Ratsvorsitz nimmt Merkel natürlich eine neutrale, vermittelnde Haltung ein. Aber Deutschland als EU-Mitglied kann in der Frage der EU-Verfassung doch nicht ausschließlich neutral bleiben! Deutschland muss die Debatte anführen und eine Lösung anstreben, die nicht nur seinen Interessen, sondern auch denen vieler anderer Länder in Europa gerecht wird."

    Die Staaten, die sich der spanisch-luxemburgischen Initiative anschließen, wollen die Verfassung nicht noch einmal komplett aufschnüren. Ein neuer Text als Minimalkonsens, dem auch die Euroskeptiker zustimmen könnten, lehnen sie ab. Aber sie sind bereit, Brücken zu bauen, nach einem Ausweg aus der Situation zu suchen, in die die EU mit dem Scheitern der Volksentscheide in Frankreich und den Niederlanden geraten ist. Aber Spaniens Europastaatssekretär Alberto Navarro fordert auch, die Substanz des Textes dürfe dabei nicht verloren gehen:

    "Die große Frage an die Europäer ist: Welches Europa wollen wir? Welche Aufgaben wollen wir gemeinsam bewältigen? Die spanische Antwort ist klar: Wir wollen ein politisches Europa. Der gemeinsame Markt oder der Euro sind uns nicht genug. Wir wollen ein Europa, das die Rechte seiner Bürger schützt. Ein starkes Europa in einer globalisierten Welt. Europa ist die wichtigste Antwort auf die Globalisierung. Wir wollen eine gemeinsame Politik, nicht nur in Fragen der Landwirtschaft oder dem Fischfang, sondern auch in der Einwanderung oder der Energieversorgung."