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Freundschaftsbriefe

Deutschlands schönste Landschaft und Deutschlands innigstes Freundespaar treffen 1802 auf der Rheinreise des zwanzigjährigen Achim von Arnim und des dreiundzwanzigjährigen Clemens Brentano aufeinander. Nicht nur im Bewußtsein des späteren Lesers, auch für die beiden Studenten selbst, die sich 1801 beim Studium in Göttingen kennengelernt hatten, ist die gemeinsame Fahrt auf dem Fluß, vorbei an Bergen, Felsen und Burgen, zum Anfang einer neuen poetischen Epoche geworden. Noch 1807 erinnert sich Arnim in einem Brief an Brentano der romantischen Stimmung dieser Reise, die den Anfang einer literarischen Verbindung brachte, die bis zu Arnims Tod 1831 währen sollte:

Hannelore Schlaffer |
    "Ich sang mir eben, was ich so singen nenne in mir, alle deine Melodieen, mir war wie damals am Rheine, wenn du sie Abends vor Ackermanns Türe unter den Mädchen gesungen, wie sie mir Morgens noch im Kopfe umgingen."

    Brentanos Spiel auf der Gitarre hat einen Klang in die Sprache der Freundschaft gebracht, schöner und verführerischer als es je der empfindsame Überschwang der Generation davor gewesen war. Er prägt nicht nur die Lieder der beiden Dichter, er gibt auch dem Stil der Briefe eine eigene Melodie. Die Korrespondenz, die nun zum ersten Mal vollständig ediert vorliegt, vermag für die frühen Jahre, etwa bis 1807, nur dann ein intellektuelles Vergnügen zu bereiten, wenn sich der Leser zugleich auch auf den musikalischen Genuß einläßt. Die von Brentano so stürmisch und unentwegt beschworene Liebe zu seinem Freund ist keine homoerotische Leidenschaft; sie ist das literarische Motiv schlechthin, über dem sich am schönsten modulieren läßt. In jenem "maivollen Brief", den er 1802 ankündigt, eröffnet Brentano den Klagegesang an und um den Freund, den er von nun an so oft anstimmen sollte:

    "Lieber Arnim, Gott gebe dir einen einzigen Moment, in dem du fühlst, daß kein Mann dich lieben kann, wie ich, in dem du fühlst, daß du mein ganzes Leben wieder erbauen kannst, mich frei und unabhängig machen kannst, von meinem fürchterlichsten Feinde, der mich langsam tödet, von mir selbst, und innerlicher Verzweiflung. Ich bin fest überzeugt, daß ich nichts kann, als lieben, daß meine Seele nicht in mir wohnt, und nicht in der Natur, sondern in einzelnen Menschen. Wer mich zu mir selbst weißt tödet mich, ich habe geliebt, und dem geliebten geglaubt, und da haben sie mir gesagt, warum gehst du nie in dein eignes Herz, und bildest deine eigne Seele aus, du hast eine recht hübsche Seele, das habe ich dann geglaubt, und bin traurig zurückgegangen in mich, aber ich konnte nichts thun, als die Stühle zurechtstellen, damit sie mich besuchen sollten. " (37)

    Freilich führt Brentano hier eine Selbstvernichtung im Zeichen der Freundesliebe vor, die etwas von der religiösen Exstase ahnen läßt, in die er sich in seinen späteren Jahren versetzen sollte. Doch ist ihm vorläufig das Motiv der Liebe vor allem noch ein Mittel, die Intensität einer Freundschaft zu betonen, der nur die höchsten Gefühle und die schönsten Bilder gerecht werden. Lieben ist für Brentano eine Art Kür, mit der er seine Befähigung zu artistischen Vergleichen und schmeichelnden grammatischen Fügungen vorführt, wie es etwa in einem seiner vielen brieflichen Litaneien an den Freund von 1803 aus Weimar geschieht:

    "Ich habe einen Brief von dir, die Ferne hat sich erbarmt, du hast mich angeredet, ich stehe zitternd und weinend, und kann dich nicht umarmen, ein ganzer Seekrieg liegt zwischen liebenden Herzen, wenn du mich kennst, so wiße, daß mich eine unsägliche Angst ergreift, während ich deinen Brief lese, die schreckliche Nothwendigkeit ich fühle sie vernichtend, die unschuldigsten Freuden muß der Mensch mit kleinen Listen erringen, wo Wind über ihm hinstürzt muß er künstlich Segel ausspannen, wo die Fluht unter ihm sich regt, muß ihm das Holz ein Mittler sein, und in ewiger Zubereitung der Schale und des Trankes stirbt der Durst, das hat der Mensch begriffen, und so ward es, daß die Schale ein kunstvolles bilderreiches Gefäß, das der Trank ein Dursterwecker, ein Arzneimittel gegen die Krankheit des Durstes, die Sättigung wird, und in dem er den Scheintoden erweckt, tödet er den Lebendigen. Ach lieber Arnim schreiben muß ich, daß ich dich umarmen mögte, hier auf das Blatt, muß ich ihn aufspannen, spießen mit der Feder den Schmetterling des bunten, blühenden, schimmernden Worts, die Psyche muß sterben, als wohntest du im Himmel oder der Hölle, und nur der Geist könne dich erlangen." (157)

    Die frühen Briefe, inhaltslos wie sie trotz der Reiserlebnisse Arnims sind, der sich als Adeliger auf die Grande Tour durch Europa begibt, stellen für die Freunde eine Stilübung dar, die einer Art poésie pure zustrebt. Die Prosa des Briefes schwillt durch die Freundschaftsschwärmerei zur Lyrik auf und mündet schließlich wirklich ins metrisch gebändigte Gedicht. Vor allem Arnim hat dem Freund den größten Teil seiner frühen Lyrik zwischen den Zeilen der Briefe zukommen lassen. Aber auch einige berühmte Gedichte Brentanos, wie "Der Spinnerin Nachtlied", "Es sang vor langen Jahren" und das Lied "O Mutter halte dein Kindlein warm", sind zum ersten Mal im Brief mitgeteilt worden. Der Brief jedenfalls ist für Arnim und Brentano nichts weniger als ein Medium der Mitteilung; er ist Dichtung, und die intimste noch dazu, denn sie hat kein Publikum als nur den Freund.

    Der heutige Leser, der sich in dieses Verhältnis einmischt, gerät in eine zwiespältige Empfindung: Brentano scheint geradezu machtlos zu sein gegen den Sog der Sprache - hingerissen vom Genuß seiner eigenen Kunst, reißt er auch den Leser hin.

    Arnim hingegen hält sich in dieser Brandung aus Worten krampfhaft an Bildern fest, die originell sein wollen und doch konventionell bleiben. Die Lust der Lektüre behindern seine Briefe immer wieder unwillentlich durch ihre abgehakte Sprache. Während bei Brentano der Stil nur so erblüht, finden sich bei Arnim nicht selten Stilblüten.

    Wäre man nur begierig auf jenen Lesetaumel, den die Lektüre von Brentanos Briefen immer herbeiführt, so wäre die Edition überflüssig gewesen, denn zumindest seine Briefe an Arnim aus den Jahren 1802-1812 sind bereits in der historisch-kritischen Ausgabe seiner Werke veröffentlicht. In den späteren Briefen aber, die bislang nur teilweise ediert sind, beruhigt sich der Gefühlsüberschwang. Nun dringt genug Welt ein, um die Korrespondenz, die in die Jahre der Befreiungskriege und der Restauration fällt, zum historischen Dokument zu machen; genug poetische Pläne werden geschmiedet, wie etwa der Entwurf zur Sammlung der Lieder in "Des Knaben Wunderhorn" oder der zur "Einsiedlerzeitung", um die Briefe zum literaturgeschichtlichen Zeugnis werden zu lassen; schließlich machen biographische Ereignisse, wie der Tod von Brentanos Ehefrau Sophie Mereau, eine zweite Heirat Brentanos mit Auguste Bußmann, seine Rückkehr zum katholischen Glauben und die Hochzeit Achim von Arnims und Bettina Brentanos die Briefe zu einem Denkmal der poetischen Existenz im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts.

    Von den Kriegswirren jedenfalls berichten beide Dichter. Arnim weicht 1807 nach Königsberg aus, Brentano beschreibt die Schlacht der Österreicher gegen Napoleon in dem berühmten Brief aus Landshut von 1809. Dabei gibt er sich allerdings durchaus nicht als entsetzter Zeitgenosse, sondern vielmehr als Archivar, der nach der Schlacht auszieht, um herumliegende Briefe aufzusammeln:

    "Das weite Feld war ... mit unzähligen Papieren bedeckt und in diesen lezten Tagen, da es stiller geworden, habe ich ohngefähr 200 Epistolas militares zussamengelesen, meist Liebesbriefe, Schuldbriefe, und Briefe guter besorgter Ältern. Viel Guthmüthiges, Menschliches, viel verkehrtes lustiges, nichts ernstes würdiges das aus der bedrängten Zeit hervorgieng." (577)

    Die Ratlosigkeit des Künstlers in jener Zeit zeigt sich beispielhaft in Brentanos Konversion zum katholischen Glauben 1817. Seit dem Tod der Dichterin Sophie Mereau stürzt sich Brentano aus einer Sinnlosigkeit in die andere. Die Berichte von der übereilten Hochzeit mit der Bankierstochter Auguste Bußmann, der "Gift-Marzibille", hat Hans Magnus Enzensberger bereits zu einem grotesken Roman zusammengestellt. Die vieljährige Existenz an der Seite der stigmatisierten Nonne Katharina Emmerick, deren physische Leiden und himmlische Geschichte Brentano aufzeichnet, ist eine nicht minder absurde Verbindung des Dichters mit einem weiblichen Wesen, die allerdings das Skandalöse zum Nekrophilen hin überschreitet. Der Entschluß zur Re-Konversion enthüllt im nachhinein Brentanos liebende Werbung um Arnim als existentielle Heimatlosigkeit, die die Haltlosigkeit des Poeten in jener Epoche so gut wie das individuelle Mißgeschick hervorgerufen haben. In einem Brief von nicht weniger als 24 Druckseiten, der das Schweigen der Dülmener Jahre bei Katharina Emmerick von 1820 - 1824 beendet, wendet sich Brentano, um Nachsicht flehend für seinen Sinneswandel, an den alten Freund, dem seine Frömmigkeit als Frömmelei erscheinen mußte:

    "Jezt sey schließlich noch herzlich und fest an mein Herz gedrückt, geliebter, treuer Bruder und Freund, lass dich nichts an mir verdriessen, ach! könnte Ichs besser meinen, ich wollte es gern. Zürne nicht mit mir, daß ich so katholisch bin, ich konnte nicht anders, Gott hat mich dahin geführt und führt mich täglich in schönere und ernstere Wege, ich konnte nicht anders, da ich mich bessern wollte, und zum Herrn schrie, führte er mich durch die Wüste in das gelobte Land, möge er mich bis zum himmlischen Jerusalem führen." (762)

    Bei all diesen Bewegungen im Leben und im Herzen der Freunde bewährt sich der ausgezeichnete Kommentar dieser Ausgabe. Der Herausgeber Hartwig Schultz verschmäht es, sich zum Bibliothekar des Lesers zu machen, der nichts anderes zu tun hätte, als ihm das Nachschlagen im Lexikon abzunehmen, falls er einmal ein Fremdwort nicht kennt. Ein Kommentar zu Briefen ist schwieriger herzustellen als einer zu literarischen Werken, deren Anspielungen meist im wohlbekannten Kontext einer vorausgehenden Tradition stattfinden. Private Verhältnisse hingegen, auf die Briefe anspielen, sind zufällig und erfordern eine genaue Bekanntschaft mit den schreibenden Personen. Schultz verfügt über diese für den Kreis der Romantiker in hohem Maße. Sein Kommentar ergibt eine eigenständige Skizze des romantischen Dichterkreises und ersetzt ein Stück Literaturgeschichte. Dabei verdrängt der Kommentar nie die Worte der Briefschreiber, er macht sich so schlank, daß er immer zwischen ihnen hindurchschlüpft, indem er sie dennoch stützt.

    Allerdings mag man Schultz nicht folgen, wenn er in seiner Einleitung den Briefwechsel der beiden Romantiker dem Goethes und Schillers gleichstellt. Der Charakter der Briefe von Arnim und Brentano ist von denen der Klassiker gänzlich verschieden: diese entwerfen das ‘Programm’ der klassischen, jene sind ‘nur’ ein ‘Dokument’ der romantischen Epoche. Das Vermögen, über Kunst und Poesie philosophisch zu sprechen, wie es für die Romantik die Brüder Schlegel, Novalis und Schelling besaßen, kann man bei Arnim und Brentano nicht finden, auch wenn sie bei der Sammlung der Lieder zu "Des Knaben Wunderhorn" auf das neue philologische Problem, wie man mündlich überlieferte, volkstümliche Dichtung im modernen Druck abbilden könne, noch einige Jahre vor den Brüdern Grimm gestoßen sind.

    Für die beiden Freunde ist die Sammlung der Lieder vor allem die Möglichkeit, ihren schwärmerisch-lyrischen Briefstil in einem gemeinsamen Gegenstand objektiviert zu sehen. Die Melodie ihrer eigenen Sätze, die sie nur für einander komponiert hatten, wird nun zur Melodie eines ganzen Volkes. Die Liebe, die die Freunde einander in den frühen Briefen vorgesungen hatten, ist zum Stoff altdeutscher Romanzen geworden, die sie zu sammeln beginnen; Brentano, der "Herzbruder" Arnims, wandelt sich seinem "Liederbruder". Schon 1802 spricht Arnim von ihrer beider Pflicht, im Zeitalter der Vernunft als literarische Gärtner aufzutreten und die alten "Rosen der Poesie" zu pflegen:

    "Unsre Arbeit sey diese Rosen zu erziehen, Kotzebuischen Mehltau und Lafontainischen Honigthau von ihnen abzuhalten, ebenso sorgfältig die kalte Schlegelsche Kritikluft und den warmen brennenden Samumwind aus Böhme's Morgenröthe. Die Sprache der Worte, die Sprache der Noten stärker und wohlgefälliger zu machen um dem Dichter und dem Musiker die innere Sprache der Natur verständlicher und hörbarer zu machen, dies ist klar als erster Standpunkt unsrer Bemühung anzusehen. Also eine Sprache und eine Singschule der Poesie." (22)

    Die Aufgabe, die sich der einundzwanzigjährige Arnim hier setzt, der Nation eine Geschichte zu geben, die sangbar ist, verleitet ihn zum Entwurf eines eigenen "Heldengedichts", für das er aber Brentanos Anerkennung nicht gewinnen kann. Für diesen kann die "Singschule der Poesie", die Arnim begründen möchte, nur die Musik aller Dichtungen eines Volkes zusammenführen, sie schafft ein Orchester aus lauter alten Klängen; von einer neu erfundenen Dichtung will er nichts hören. 1804 schreibt er an Arnim:

    "Dein Plan mit einem grosen teutschen Heldengedicht ist dir vielleicht sehr lieb, und ich verstehe ihn nicht, billige ihn nicht, vielleicht weil ich ihn nicht verstehe, doch scheint es mir nöthiger die alten Heldengedichte unsrer Poesie, mobil zu machen, als unsre neue Geschichte, die sobald nicht fortläuft, zu dichten." (213)

    Die Helden, von denen Arnim hätte dichten wollen, sollten der neuesten Geschichte, wahrscheinlich der der Befreiungskriege, entnommen sein, sie wären jung, kriegerisch, heroisch gewesen. Brentano hingegen erwägt schon 1802 eine Art Nationalgedicht des Volkes, das im Unterschied zu Arnims Entwurf idyllisch und nicht heroisch, sonntäglich und nicht heldisch ist. Die Figur des volkstümlichen Erzählers führt er Arnim in Gestalt eines "genialischen Apfelhüters" vor, den er in Offenbach kennenlernte, wo er sich mit seinen Schwestern aufhielt:

    "Dieser Mann war voll kleiner ... Künste, Lieder und Sprüchelchen, und in seinem ganzen Hauswesen zierlich, originell, und äußerst erfindsam, ich habe bei wenig Menschen so viel poetschen Unschuldssinn gefunden, so viel Sitte und Artigkeit, nie war der Bauer mit dem Besuche Tonis und der Schwestern verlegen, er saß unter ihnen, und ließ sich von Betinen Pfannkuchen backen, und erzählte seine Abendtheuer, er ist katholisch und from, voll einfältiger Erinnerungen, fährt jährlich mit großen Flözzen nach Holland, worauf er der Künstler, Poet, Fischer und alles ist, waß man nicht aus dem System eines Handwerks mit auf das Floz packen kann. Er hütet im Herbst, dann die Aepfel und hat eine Menge der kleinen Volksbücher." (65 f.)

    Über der Frage, welche Darstellung der nationalen Geschichte angemessen sei und ob die Nachahmung des Volkstons echt sein könne, drängt sich Arnim und Brentano immer deutlicher der Zweifel an der Wahrheit der Poesie überhaupt auf, ja sogar der an ihrem eigenen Lebens- und Freundschaftskonzept. Arnim wirft Brentano das "künstliche Altmachen" vor, das er mit den Bearbeitungen der Lieder betreibe, Brentano nennt den Eifer, mit dem Arnim sie modernisiert, unecht, seine poetiche Begeisterung für die Neudichtung ein wild wucherndes Fleisch. Aber auch die freundschaftliche Liebe, aus der das "Wunderhorn" entsprang, entlarvt sich nun als eine Lüge, als eine Dichtung aus Brentanos Herzen, der sich Arnim anbequemt hat. Lange hat Arnim in dieser Fiktion mitgespielt, in der Brentano ihm vor allem die Rolle des Liebhabers seiner Schwester Bettina zugedacht hatte. Bettina Brentano ist von Anfang an das Medium der Männerfreundschaft; schon in einem der ersten Briefen schreibt Brentano:

    "Wie ich euch so in meine Nähe dichten wollte, und dem Bilde meiner lieben göttlichen Betine, das mich nicht verläßt, bittend in die Augen sah, die mir nichts versagen, erhielt ich einen Brief von ihr, des Menschen Geist kann so nicht schreiben, das ist Gott, der so spricht - Alles das sollst du wißen, und das Mädchen soll dich küßen, und will dich küßen, wenn du nach Frankfurt kämmst." (14)

    Das erdachte Dreiecksverhältnis aus der Fiktion in die Wirklichkeit zurückzuführen, hat Arnim immer wieder versucht, zunächst indem er die angebliche Liebe von Brentanos Schwester zu ihm bezweifelte, dann indem er sie nicht erwiderte und schließlich indem er Bettina ohne Wissen Brentanos heiratete. Damit hat er den poetischen Traum des Freundes seiner und der bürgerlichen Welt angepaßt, ebenso wie er die Stimmen des Volkes modernisierte. Der Briefwechsel ist das Dokument des Zusammenstoßes zweier Unvereinbarkeiten auch im Lebensentwurf: einer poetischen Energie, die die Wirklichkeit nicht zur Geltung kommen lassen will, und eines Wirklichkeitssinns, der die Poesie bewundert und ihr doch nicht glaubt. Gerade aus Anlaß der heimlich Eheschließung mit Bettina fordert Arnim Brentano das Eingeständnis aller seiner Fiktionen ab, die im wirklichen Leben nichts anderes waren als banale Lügen, Intrigen, mit denen der Fantast die Schwester, den Freund und viele andere verfolgte. Die Hochzeit Arnims mit Bettina Brentano holt die Freundesliebe aus der Höhe der jugendlichen Schwärmerei in die Wirklichkeit zurück, wo Arnim sich sicherer bewegt als Brentano, dem er zwar die Liebe nicht aufkündigt, dem er aber von nun an eine gewährt, die seinem eigenen Empfinden entspricht, wenn er seine Vorwürfe gegen Brentano abschließt mit dem Treueschwur:

    "Genug davon für immer, was ich in dir geliebt habe und liebe ist von je an ganz unabhängig gewesen von dem, was ich nie in Dir geliebt habe." (600)