Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Friedensgespräche in Afghanistan
"Die Taliban sitzen am längeren Hebel"

Nach dem Abbruch der Friedensgespräche in Afghanistan sollte der US-Präsident nun seine militärischen Abzugspläne vertagen, sagte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt im Dlf. Der Zeitdruck der USA sei eines der Probleme beim Friedensprozess gewesen.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.09.2019
Jürgen Hardt (CDU), Abgeordneter des Bundestages
Jürgen Hardt ist außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag (Ralf Hirschberger/dpa)
Mario Dobovisek: Frieden in Afghanistan, der rückt ein weiteres Mal in die Ferne mit dem Abbruch der Gespräche zwischen der Regierung in Kabul, den Taliban und den USA. In der Nacht zu Sonntag kam er, der Tweet von US-Präsident Donald Trump. Ein geplantes Geheimtreffen in Camp David müsse er absagen, teilte er mit. Damit reagiere er, so schrieb er, auf einen Anschlag, bei dem vergangene Woche auch ein US-Soldat getötet worden war. Am Telefon begrüße ich Jürgen Hardt von der CDU, außenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Hardt!
Jürgen Hardt: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Ist der Friedensprozess mit dem Abbruch der Gespräche gescheitert?
Hardt: Zunächst einmal bedeutet der Abbruch von solchen Friedensverhandlungen immer große Enttäuschung auf allen Seiten, insbesondere natürlich in Afghanistan. Deswegen ist es schwierig, die Motivation zu finden, neu anzufangen. Aber ich glaube letztlich, es gibt keine Alternative dazu, dass es einen Friedensprozess unter Einbeziehung der Taliban gibt. Die Frage ist, ob der amerikanische Präsident selbst einen neuen Anlauf machen kann, oder ob möglicherweise die Vereinten Nationen oder die Europäische Union hier möglicherweise aktiv werden könnte.
Dobovisek: Nun war der jüngste Anschlag ja nicht der erste während der Gespräche. Es gab immer wieder Gewalt. Es geht nicht mit den Taliban, das sehen wir daran, aber auch nicht ohne, wie Sie sagen. Was heißt das für den nächsten Schritt nach dem Abbruch der Gespräche?
Hardt: Es hat aus meiner Sicht zwei Probleme mit diesem Friedensprozess gegeben, den die Amerikaner seit einigen Monaten betreiben. Zum einen stand der Zeitdruck ganz stark im Vordergrund. Der amerikanische Präsident will unbedingt ein Ergebnis vor den amerikanischen Wahlen. Er will Truppen aus Afghanistan abziehen. Damit war für die Taliban klar, dass auf der Zeitschiene der amerikanische Präsident unter Druck ist.
Das zweite ist, dass die afghanische Regierung an diesen Gesprächen gar nicht oder nur sehr unvollkommen beteiligt war, und das hat in Afghanistan, insbesondere natürlich bei der Regierung, zu Irritationen geführt und die Frage ist schon, wie soll ein Friedensabkommen am Ende umgesetzt werden, wenn die Regierung selbst an den Verhandlungen nicht beteiligt ist, sondern quasi das Ergebnis serviert bekommt. Ich glaube, das waren die beiden Schwächen, die dieser Prozess hatte.
"Keinen Abzug aufgrund von Zeitplänen"
Dobovisek: Da möchte ich gerne kurz einhaken, Herr Hardt. Lernen wir daraus – die Frage drängt sich auf -, dass die Taliban in Afghanistan nach wie vor am längeren Hebel sitzen?
Hardt: Die Taliban sitzen zumindest was die Zeitschiene angeht am längeren Hebel, solange der amerikanische Präsident und damit die restliche Welt signalisiert, dass sie möglichst rasch aus dem Land abziehen wollen. Deswegen haben wir Deutschen ja gesagt, es darf keinen Abzug aufgrund von Zeitplänen geben, sondern der Abzug der alliierten Soldaten in Afghanistan, also auch der deutschen, muss der Situation im Lande folgen. Und es wäre, glaube ich, gut, wenn wir zu diesem Prinzip zurückkämen, wenn der Präsident insbesondere jetzt mitteilt, dass angesichts der gescheiterten Verhandlungen er auch seine Abzugspläne zeitlich vertagt, was nicht bedeutet, dass er sie aufgibt, aber dass er selbst kein Datum mehr nennt beziehungsweise keinen Zeitraum mehr.
Dobovisek: US-Präsident Donald Trump begründet ja den Abbruch der Gespräche mit dem Anschlag in der vergangenen Woche. Mindestens 16 Menschen sind dabei ums Leben gekommen, 119 wurden verletzt. Die Bundespolizei und deutsche Entwicklungshelfer der GIZ haben deshalb gerade ihren Einsatz in Kabul unterbrochen. Ein paar Polizisten bleiben noch in der deutschen Botschaft, die anderen kehren nach Deutschland zurück. Ist das die richtige Entscheidung?
Hardt: Wir sind gut gefahren in den letzten Jahren, dass wir bei diesen Fragen äußerste Vorsicht haben walten lassen. Wir haben ja den Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul gehabt vor einiger Zeit. Wir hatten natürlich immer wieder auch Hinweise darauf, dass im Land Terroranschläge drohen. Es ist glücklicherweise gelungen sicherzustellen, dass deutsche Soldaten oder Polizisten und zivile Kräfte in den letzten Jahren glimpflich davon kamen. Das muss so bleiben. Afghanistan ist nach wie vor ein von Terror bedrohtes Land. Aber unser Ziel ist ja eine Situation herzustellen, dass die afghanische Regierung selbst die Sicherheit im Lande in Griff nehmen kann durch Polizei und Militär. Und deswegen ist dieser Ausbildungseinsatz deutscher Soldaten in Afghanistan so wichtig und auch ein Beitrag zu unserer Sicherheit, weil sie verhindert, dass der Terror sich ausbreitet.
Deutschland kann die USA nicht ersetzen
Dobovisek: Das bedeutet aber auch, dass Deutschland sich zurückziehen muss aus Sicherheitsgründen, weil es gar nicht anders geht.
Hardt: Ich glaube, man ist gut beraten, nach einer solchen Serie von Anschlägen zunächst einmal die Lage zu überprüfen, zu prüfen, ob möglicherweise sich eine neue Lagebeurteilung insgesamt ergibt, und dann den entsprechenden Einsatz der Zivilkräfte, der Polizisten und der Soldaten so zu gestalten, dass Gefährdung nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen oder zumindest extrem reduziert ist. Damit fahren wir gut und ich würde das jetzt nicht überbewerten. Am Ende des Tages geht es darum, dass wir weiterhin Polizeikräfte und Soldaten in Afghanistan ausbilden. Wir haben mit dem letzten Mandat die Zahl der Schutzkräfte, die wir für unsere eigenen Soldaten dort hinschicken, wiederum erhöht, um einfach die Intensität der Ausbildung zu erhöhen, und deswegen wäre es gut, wenn wir das auf dem Niveau auch fortsetzen würden.
Dobovisek: Muss diese Zahl letztendlich weiter ansteigen, sollten sich die USA tatsächlich Stück für Stück weiter zurückziehen?
Hardt: Ich glaube nicht, dass Deutschland die USA in einem solchen Einsatz ersetzen kann. Wir hängen alle ein Stück weit voneinander ab. Jeder vertraut darauf, dass die entsprechenden Kernfähigkeiten der anderen da sind. Das Grundprinzip beim Afghanistan-Einsatz war, gemeinsam rein und auch gemeinsam raus. Insofern ist natürlich die Vorgabe aus Washington, wann Soldaten abgezogen werden, wann der Einsatz möglicherweise beendet wird, auch für uns ein Stück weit maßgebend. Aber wir erheben warnend unsere Stimme, dass wir das halb volle Glas in Afghanistan nicht leichtfertig verschütten, nur weil wir uns unter Zeitdruck setzen lassen.
"Bei Abschiebungen wird im Einzelfall geprüft"
Dobovisek: Vielleicht ist es ja auch halb leer, würden eventuell andere sagen. Aber wie groß ist Ihre Sorge, dass tatsächlich das Land wieder zurück in die Hände der Taliban fällt?
Hardt: Zunächst einmal hatten wir ja vor 20 Jahren die große Bedrohung durch El-Kaida. Das war eine terroristische Organisation, die in Afghanistan ihren Grund und Boden gefunden hatte. Das waren zum großen Teil auch Ausländer, keine Afghanen, die von Afghanistan aus Terror verbreitet haben. Und die Taliban, die damals an der Regierung waren in Afghanistan, haben das geschützt.
Zu allererst muss sichergestellt werden, dass eine wie auch immer geartete afghanische Regierung oder eine Verwaltung, wo möglicherweise die Taliban ja ein Wort mitreden, sicherstellt, dass so etwas nicht wieder passiert. Die Taliban selbst sind darauf gerichtet, die Verhältnisse im Land in ihrem Sinne zu ändern, was wir natürlich nicht gut finden, weil es darum geht, dass Afghanistan eine friedliche, freiheitliche und demokratische Zukunft hat. Aber der Terror, der nach außen ausgeübt wurde, der ging von den El-Kaida-Kräften aus, die unter dem Schutzschirm der Taliban gewirkt haben, und das ist das allererste, dass wir sicherstellen, dass niemals mehr eine afghanische Regierung internationalen Terroristen Unterschlupf bietet.
Dobovisek: Da reden wir aber auch über Terror und Gewalt nach innen und wir lernen auch aus diesen Anschlägen, Afghanistan, speziell Kabul ist nicht sicher. Muss Deutschland im Umkehrschluss spätestens jetzt auch die Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen?
Hardt: Bei den Abschiebungen nach Afghanistan wird immer im Einzelfall geprüft, ob das entsprechend verantwortbar ist, die Person zurückzuführen. Es gibt ja Fälle von Personen, die aus deutschen Gefängnissen in afghanische Gefängnisse zurückgeführt werden. Die sind nach menschlichem Ermessen nicht von Terroranschlägen bedroht in diesen Gefängnissen. Es gibt andere Menschen, die in Regionen zurückgeführt werden, wo die Terrorgefahr eher als gering eingeschätzt wird. Ich glaube, dass unsere Behörden da sehr sorgfältig vorgehen und dass auch im Nachgang zu einer solchen Abschiebung die Fälle weiter beobachtet werden, um sicherzugehen, dass tatsächlich auch die afghanischen Behörden sich an ihre Zusagen gegenüber den Personen halten, die sie entsprechend im Rahmen dieser Abschiebung ihrerseits aufgenommen haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.