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Friedensnobelpreis für OPCW
Der Kampf gegen Chemiewaffen

In den vergangenen Jahren haben die Bemühungen um eine völlige Beseitigung einer ganzen Waffenart große Fortschritte gemacht. Einer breiten Öffentlichkeit wurde dies allerdings erst bewusst, als es um die Vernichtung der chemischen Waffen Syriens ging.

Von Rolf Clement | 09.12.2013
    Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Am Rande des Truppenübungsplatzes Munster in der Lüneburger Heide stehen -weit entfernt von Wohnsiedlungen - große Hallen mit hohen Schornsteinen. Im Kontrollstand in einer dieser Hallen steht Ulrich Stiene vor an die Wand geworfenen Schaubildern. Mit einem Kugelschreiber in der Hand deutet er auf die Bilder an der Wand und erklärt, was gerade geschieht:
    "Hier kommt jetzt ein Gemisch von Betonbruch und Traunreut-Erde hinein. Traunreut haben wir zugemischt, weil das sehr lehmig ist, und die kann man nicht waschen. Und dann haben wir die reine Erdaufgabelinie. Das heißt, wir geben Bigpacks auf, die werden hier über einem Trichter aufgeschnitten und werden einmal vorgesiebt und gehen dann in den Mischbunker hinein."
    Ulrich Stiene arbeitet hier schon seit 18 Jahren. Seine Hand rast über die Schaubilder an der Wand des Kontrollraums in der GEKA, jener Firma, die chemische, aber auch konventionelle Kampfstoffe vernichtet. Im rasanten Wort-Stakkato beschreibt er die Verbrennungsanlage, in der mit chemischen Kampfstoffen verseuchter Boden gereinigt wird. Eine fast quadratische Tragetasche, der Bigpack, voller verseuchten Materials wird von unten aufgeschnitten. Der Inhalt, an diesem Tag Betonböden von Lagerstätten chemischer Stoffe, rutscht in den Verbrennungsofen. Dort wird der Stoff verbrannt, bei bis zu 1600 Grad, und bei höllischem Lärm.
    Am Ende kommt sauberer Sand heraus, sämtliche Emissionen werden gefiltert und schadstofffrei durch den Schornstein abgegeben. Alles unterliegt einer lückenlosen, strengen Kontrolle. Übrig bleibt ein Schlamm, der die nicht verbrannten Stoffe enthält. Ulrich Stiene:
    "Wir geben Sondermaterialien zu, wie Soda, Kalk, um ein Granulat zu mischen aus all diesen Produkten, das dann als Eintrag für den Plasmaofen verwendet wird, um es einzuschmelzen in ein Glas, wo die Schadstoffe für immer drin gebunden sind."
    Das Glas liegt dann in gebrochenen Stücken auf dem Hof dieser Anlage in Munster. Aus chemischen Kampfstoffen sind ästhetisch schöne Glasstücke geworden. Das ist einer der Wege, chemische Kampfstoffe zu vernichten. In Munster können noch zwei weitere beschritten werden – in anderen Öfen. Die GEKA macht dies 365 Tage im Jahr, 24 Stunden lang.
    Die Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten wurde 1997 gegründet. Es ist das einzige Unternehmen in Deutschland, dem der Umgang mit chemischer Munition erlaubt ist – allerdings nur, um diese zu vernichten.
    Einige der Proben, die im Spätsommer in Syrien nach dem Chemiewaffeneinsatz genommen wurden, sind hier in Munster in den Labors analysiert worden. Der Auftrag dafür kam von der Organisation für das Verbot chemischer Waffen OVCW in Den Haag. Diese Behörde wurde ebenfalls 1997 ins Leben gerufen, als das Abkommen zur vollständigen Ächtung chemischer Waffen in Kraft trat.
    Das Abkommen verbietet die Entwicklung, Produktion und Lagerung, aber auch den Besitz und natürlich den Einsatz chemischer Kampfstoffe. Es enthält umfassende Verifikationsregeln, die auch die Inspektion in zivilen Firmen erlaubt, in denen chemische Stoffe hergestellt und verarbeitet werden - ein bis zuletzt heftig umstrittener Punkt. Privatfirmen mussten erst davon überzeugt werden, dass sie sich künftig in die Karten schauen lassen müssen. 189 Staaten haben dieses Abkommen mittlerweile unterzeichnet. Seit dem Beitritt Syriens in diesem Herbst sind nur noch sechs Staaten übrig, die ihre Unterschrift nicht unter den Vertrag setzten: Ägypten, Angola, Nordkorea, der Irak, der Libanon und Somalia. Sechs weitere Staaten haben das Abkommen unterschrieben, aber nicht ratifiziert.
    Bis 2012 sollten sämtliche chemischen Kampfstoffe all jener Staaten vernichtet sein, die sich dem Abkommen angeschlossen haben. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht: Rund 80 Prozent der weltweit deklarierten Bestände sind bis jetzt unschädlich gemacht. Albanien und Indien etwa haben ihre Bestände bereits vollständig vernichtet. Andere Länder sind ihren Verpflichtungen noch nicht in vollem Umfang nachgekommen. Die USA und Russland zum Beispiel, die beide das Abkommen unterzeichnet haben, hinken noch hinterher. Die USA haben ihre C-Waffen zu 90 Prozent zerstört, Russland erst zu 60 Prozent.
    Wegen dieser insgesamt beachtlichen Bilanz bekommt die OVCW morgen den Friedensnobelpreis überreicht. Tatsächlich haben die Bemühungen um eine völlige Beseitigung einer ganzen Waffenart große Fortschritte gemacht, seit die Organisation für das Verbot chemischer Waffen ihre Arbeit aufgenommen hat. Einer breiten Öffentlichkeit wurde dies allerdings erst bewusst, als es um die Vernichtung der chemischen Waffen Syriens ging.
    Nach dem Schock über die vielen Opfer, die der Einsatz chemischer Waffen im syrischen Bürgerkrieg am 21. August 2013 gefordert hatte, kam nun eine gute Nachricht: Sämtliche chemischen Kampfstoffe, rund 1000 Tonnen, die in Syrien lagern, sollen jetzt unschädlich gemacht werden. Der Beifall, der diesem politischen Durchbruch folgte, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Projekt mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist. So verfügte Syrien zwar über Produktionsstätten für chemische Kampfstoffe, nicht jedoch über eine Anlage zu deren Vernichtung – man wird die Waffenbestände also abtransportieren müssen. Und dies mitten im Bürgerkrieg.
    Nach dem C-Waffen-Übereinkommen, das am 29. April 1997 in Kraft trat, müssen die vorhandenen Bestände deklariert und unter internationaler Kontrolle vernichtet werden. Nachdem Syrien dem Abkommen im Herbst beigetreten war, hat Damaskus nach Erkenntnissen der Aufsichtsbehörde in Den Haag zumindest den nach einem Beitritt nötigen ersten Schritt getan: Es hat seine C-Waffen-Bestände offenbar in vollem Umfang deklariert.
    Es bleibt dennoch stets ein Restrisiko, wie nicht zuletzt das Beispiel Libyens zeigt: Diktator Ghaddafi hatte bereits im Jahr 2003 die Vernichtung der libyschen C-Waffen angeordnet – aber sie nicht vollständig umgesetzt. Der deutsche C-Waffen-Experte Otto Denzer:
    Deutschland selbst verfügt seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr über chemische Waffen
    Gaddafi hat damals 27.000 Tonnen chemische Kampfstoffe verschiedenster Art an die OPCW gemeldet. Bei Ausbruch des arabischen Frühlings/Krieges in Libyen wurde von verschiedensten Seiten bestätigt, dass die Masse der chemischen Kampfstoffe Libyens bereits vernichtet sei, aber noch Restbestände vorhanden waren.
    Nachdem Ghaddafi im Jahr 2011 gestürzt worden war, stellten die neuen Machthaber fest, dass noch rund ein Prozent der chemischen Kampfstoffe zurückgeblieben war. Übertragen auf Syrien würde diese Fehlerquote bedeuten, dass rund 100 Tonnen dieser tödlichen Stoffe unberücksichtigt blieben. Das kann auf die Nachbarländer nicht gerade beruhigend wirken. So hat das Königreich Jordanien bereits Deutschland um Hilfe gebeten. Den Umfang der deutschen Hilfe, die im nächsten Frühjahr beginnen soll, beschreibt der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Christoph Unger, so:
    "Denkbar sind natürlich Ausbildung, sind Übungen, sind aber auch gerade technische Beratungsleistungen im Bereich der Ausstattung, zum Beispiel im Bereich der Messtechnik, oder bei persönlichen Schutzausstattungen."
    Deutschland selbst verfügt seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr über chemische Waffen. Allerdings hat sich die Bundeswehr seit ihrem Bestehen darum bemüht, bei der Feststellung und Beseitigung chemischer und biologischer Waffen besondere Fähigkeiten zu entwickeln. Innerhalb der NATO gilt die Bundeswehr - neben der tschechischen Armee – als ausgewiesener Spezialist auf diesem Gebiet. Deshalb hatten die USA während des Irak-Krieges 2003 auch die Unterstützung der deutschen ABC-Abwehrtruppe in Kuwait erbeten und erhalten - zum Schutz vor irakischen C-Waffen. Als der Krieg begann, wurde das deutsche Kontingent damals deutlich aufgestockt.
    So lag es eigentlich nahe, die Anlage zur Beseitigung von chemischen Kampfstoffen in Munster für die Vernichtung der syrischen C-Waffen anzubieten. Der Sicherheitsberater der Bundeskanzlerin, Christoph Heusgen, sagte dazu vor drei Wochen in Berlin:
    "Wer sagt Ihnen, dass nicht im Zusammenhang mit der Vernichtung von Chemiewaffen und Chemikalien in Deutschland nicht auch nachgedacht wird über bestimmte Produkte, die wir hier vernichten können. Wir stehen auch zu unserer Verantwortung. Und es gibt ja auch deutsche Unternehmen, und es gibt ja auch in Deutschland ... - wo man so etwas unternehmen kann. Und es ist ja gar nicht ausgeschlossen, dass auch Deutschland den Beitrag leistet."
    Die Anlage in Munster wäre ohne Zweifel für diese Aufgabe geeignet. Entsprechend preist sich auch die Firma GEKA selbst im Internet an. Mit "Weitblick und Verantwortungsbewusstsein" sei man "gerüstet für anspruchsvolle Aufgaben. Vom Transport bis zur endgültigen Vernichtung stellen wir die gesamte Prozesskette sicher. Zuverlässig, nachhaltig und umweltbewusst."
    Daraus wird aber nichts. Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel pfiff ihren Berater Heusgen bereits einen Tag später öffentlich zurück: Es werde keine Vernichtung chemischer Kampfstoffe auf deutschem Boden geben, beschied sie. Deutschland werde sich nicht an der Verbrennung der syrischen Kampfstoffe beteiligen – ebenso wenig wie Norwegen oder Albanien. Auch andere Länder ziehen nicht mit: 35 Firmen boten sich bei der OVCW in Den Haag an, doch die Regierungen ihrer Herkunftsländer lehnten ab. Die weitere öffentliche Suche nach einem Land, das bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen, wurde daraufhin eingestellt.
    Eigentlich sieht das C-Waffen-Abkommen vor, dass die Bestände im jeweiligen Land zerstört werden sollen. Damit sollte verhindert werden, dass die chemischen Kampfstoffe von ihren Lagerstätten erst zum Ort ihrer Vernichtung transportiert werden müssen. Experte Otto Denzer:
    "Für diese Vernichtung muss man eine Anlage aufbauen. Das ist eine fabrikähnliche Einrichtung, die mit Sicherheit eine feste Infrastruktur erfordert."
    Es würde rund ein Jahr dauern, um eine solche Anlage in Syrien aufzubauen. Das C-Waffen-Abkommen geht naturgemäß davon aus, dass die chemischen Kampfstoffe in einem friedlichen Umfeld vernichtet werden können. Dass dies inmitten eines Bürgerkriegs geschehen soll, lag jenseits der Vorstellungskraft der Vertragsautoren. Und nun stellt sich dieses Problem, sagt Denzer:
    "Es ist nirgendwo in der Welt eine Kapazität frei."
    Vor diesem Hintergrund boten sich jetzt die Vereinigten Staaten an, die Verbrennung auf hoher See vorzunehmen.
    Doch wie und wo das geschehen soll, ist noch offen. Der Begriff "Hohe See" könnte sich auch auf das Mittelmeer beziehen. Denn sobald ein Schiff die Zwölf-Meilen-Zone vor einer Küste verlassen hat, befindet es sich auf "hoher See". Das Mittelmeer ist jedoch von vielen Anrainern umgeben, die geografisch allesamt recht nahe liegen. Hinzu kommt, dass dort ein dichter Schiffsverkehr herrscht. Die Gefahr, dass Menschen und Natur zu Schaden kommen, wäre also relativ hoch. Geeigneter wäre der Atlantik, aber dort müsste mit einer sehr viel raueren See gerechnet werden.
    Doch zunächst müssen die Kampfstoffe erst einmal an die Küste und dann außer Landes gebracht werden. Das ist ein ebenso schwieriges wie ehrgeiziges Unterfangen: Der Transport der chemischen Kampfstoffe aus Syrien bringt nämlich – ungeachtet der erschwerten Bedingungen durch den Krieg - grundsätzlich große logistische Probleme mit sich. Damit hat ausgerechnet Deutschland schon Erfahrungen gemacht.
    Sie liegen mehr als 20 Jahre zurück. Im September 1990 sollten, so eine Vereinbarung zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und US-Präsident George Bush, rund 105.000 Granaten mit chemischen Kampfstoffen, die die USA in Deutschland gelagert hatten, abtransportiert werden. Die Zerstörung sollte auf dem Johnston-Atoll in den USA durchgeführt werden – weit genug entfernt, um irgendjemanden zu gefährden.
    Das war eine komplizierte Aufgabe. Dem damals verantwortlichen General der Bundeswehr bereitete sie ganz schön Kopfzerbrechen – es war der spätere Generalinspekteur Klaus Naumann:
    O-Ton Naumann:
    "Das verlangt eben in unserem föderalen System nicht nur Organe des Bundes zu koordinieren, sondern auch Organe der sieben betroffenen Bundesländer."
    Die Granaten mussten aus den Lagerstätten in Rheinland-Pfalz auf Schiffe für die Atlantik-Überquerung verladen werden. Dazu bedurfte es besonderer Container, die die heikle Fracht sicher transportieren konnten. Das US-Parlament verschärfte kurz vor dem Abtransport die Bestimmungen für die Container, sodass die bisher vorgesehenen Behälter durch neue ersetzt werden mussten. Die mussten allerdings noch in aller Eile hergestellt werden.
    Zudem musste der weite Weg mit einem riesigen Polizeiaufgebot abgesichert werden. Klaus Naumann:
    "Wir mussten die Munition aus den Lagern in Rheinland-Pfalz in Container verpacken, mussten diese Container auf Lastwagen über eine noch nicht fertig gestellte Autobahn zum Flugplatz Ramstein bringen. Von dort sind sie auf Eisenbahnwagen verladen worden nach Bremerhaven. Und in Bremerhaven gingen sie auf amerikanische Transportschiffe."
    Die "Operation Lindwurm" – so der Deckname - fand damals große politische Unterstützung in Deutschland. Lediglich der damalige Bremer Jugendsenator Henning Scherf forderte die Schulen in Bremerhaven öffentlichkeitswirksam auf, an diesem Tag sicherheitshalber sämtliche Fenster und Türen abzudichten – obwohl nach der Nachrüstung der Spezialcontainer von einer tatsächlichen Gefahr kaum noch die Rede sein konnte. In Bremerhaven wurden die Granaten auf Schiffe verladen und dann zum Johnston-Atoll verbracht. Dort wurden die Granaten vernichtet. Dabei stand man unter einem enormen Zeitdruck, erinnert sich Klaus Naumann.
    "Für diese ganze Aktion hatten wir nur ein Fenster von ungefähr vier Monaten, denn wir mussten vor Oktober die Schiffe auf den Weg gebracht haben, weil sonst das Risiko, diese mit C-Waffen beladenen Schiffe durch den stürmischen Südatlantik nach Johnston-Atoll zur Vernichtungsanlage zu bringen, zu groß geworden wäre.
    Hinzu kommen grundsätzliche technische Probleme: Es gibt unterschiedliche Arten von chemischen Kampfstoffen. Die sogenannten binären Kampfstoffe werden getrennt gelagert. Die chemischen Giftstoffe werden erst bei der Explosion zusammengeführt, entwickeln also dann erst ihre schädliche bis tödliche Wirkung. Der Transport dieser getrennt abgefüllten Stoffe ist relativ einfach – sie können auch getrennt entsorgt werden. Anders ist das bei den sogenannten "fertigen" Kampfstoffen – das Risiko der Entsorgung ist bei ihnen viel größer. Ihre Vernichtung erfordert viel größere Sicherheitsvorkehrungen.
    So ist festzuhalten: Zwar haben die syrischen Behörden 23 Standorte für Chemiewaffen deklariert, die mittlerweile alle überprüft wurden. Zwar befinden sich die Kampfstoffe unter der Kontrolle der OVCW. Zwar wurden in Syrien die Anlagen unbrauchbar gemacht, in denen chemische Kampfstoffe hergestellt und in Waffensysteme abgefüllt werden konnten. Zwar wurden die Raketensprengköpfe, die C-Waffen tragen können, bereits vernichtet. Doch das entscheidende Hindernis ist der Krieg. Derart gefährliche Kampfstoffe aus umkämpften Bürgerkriegsgebieten heraus zu transportieren, ist ein unkalkulierbares Risiko und ein Wagnis, das bisher noch niemand eingegangen ist, sagt auch Klaus Naumann.
    In der Frage der Vernichtung der syrischen C-Waffenbestände sind sich die USA und Russland in ihrem frostigen Verhältnis nähergekommen
    "Das ist eine der größten Herausforderungen. Wenn man in einem Bürgerkriegsland, in dem ständig gekämpft wird, in dem alle Fraktionen, die dort tätig sind, unterschiedlichste Interessen verfolgen, eine solch gefährliche Operation durchführen kann, denn man kann sich natürlich vorstellen, dass beide Seiten ein Interesse daran haben, Zwischenfälle zu produzieren, die C-Munition freisetzen und wiederum Menschen töten, um entweder die Unbrauchbarkeit der Vereinbarung unter Beweis zu stellen oder aber das Eingreifen der Weltgemeinschaft wegen eines erneuten C-Waffen-Einsatzes herbeizurufen. Das zu organisieren, kann ich mir nur so vorstellen, dass man internationale Konvois durchführt. Das sind bewaffnete Kräfte letztlich der Signatarstaaten, also Russlands und der USA, die diesen Transport zu einem Hafen durchführen müssen. Von dort kann der Abtransport erfolgen."
    Doch der politische Wille ist da – in der Frage der Vernichtung der syrischen C-Waffenbestände sind sich die USA und Russland in ihrem frostigen Verhältnis nähergekommen und ziehen jetzt an einem Strang. Im Hafen des US-Marinestützpunktes Norfolk wird bereits seit einigen Tagen ein Frachtschiff umgerüstet. Eine Hydrolyse-Anlage wird installiert, die die gefährlichsten Kampfstoffe unschädlich machen soll. Noch steht der genaue Zeitpunkt nicht fest, wann das Schiff sich auf den Weg über den Atlantik und in Richtung Mittelmeer und syrischer Küste machen kann. Doch nach der politischen Grundsatzentscheidung, die syrischen C-Waffen-Bestände zu zerstören, kommt es nun auf einen Tag mehr oder weniger nicht mehr an. Jetzt muss zunächst für größtmögliche Sicherheit gesorgt werden.
    Der Fall Syrien zeigt exemplarisch, wie schwierig es grundsätzlich ist, chemische Kampfstoffe zu vernichten. Der Fall Syrien zeigt aber auch, welch immense politische Leistung die OVCW bis heute erbracht hat: Der weitaus überwiegende Teil der chemischen Kampfstoffe in der Welt ist vernichtet. Bis auf ganz wenige Länder haben sich alle Signatarstaaten sogar den Verifikationsregeln unterworfen, die Inspektionen in all jenen privatwirtschaftlichen Unternehmen zulassen, die chemische Stoffe herstellen. Weltweit tauchen in solchen Firmen internationale Inspektoren im Auftrag der OVCW auf, einmal im Jahr auch in deutschen Firmen.
    So steht die OVCW heute für ein internationales Rüstungskontrollsystem, das sich der weltweiten Ächtung und Vernichtung der C-Waffen-Bestände verschrieben hat: Fast 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der zum Symbol für die mörderische Wirkung von C-Waffen geworden ist, bekommt die Organisation für das Verbot chemischer Waffen dafür morgen den Friedensnobelpreis überreicht.