Maja Ellmenreich: "Ich habe mein ganzes Leben lang nur ein Tier fotografiert: uns selbst", sagt der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado. Er konzentrierte sich zunächst auf den Menschen – den Menschen in seiner Umwelt – und die ist auf seinen Bildern häufig von Kriegen, Klimakatastrophen und Umweltzerstörung gezeichnet. Konsequent in schwarz-weiß gehalten, gehen Salgados Bilder seit Jahren um die Welt: in großen Ausstellungen und in opulenten Bildbänden.
Der Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels verleiht Sebastião Salgado seine Auszeichnung – denn, so heißt es in der Begründung, Salgado fordere mit seinen Fotografien soziale Gerechtigkeit und Frieden und verleihe den Debatten um Natur- und Klimaschutz Dringlichkeit.
Über Sebastião Salgado habe ich mit dem Fotografen Peter Bialobrzeski gesprochen. Er ist Professer an der Hochschule für Künste in Bremen und kennt das Werk von Sebastião Salgado sehr gut. Schwarz-weiß habe ich schon als kennzeichnendes Merkmal genannt. Was macht den Stil von Sebastião Salgado aber noch aus?
Peter Bialobrzeski: Ich kenne die Arbeit von Salgado seit den 80er Jahren und bin auf ihn aufmerksam geworden in einer Ausstellung in London – ich glaube, 1989 oder 1990 -, "Photography now", wo er eine brasilianische Goldmine fotografiert hat. Das ist für mich vielleicht so ein Schlüsselwerk von Salgado: Da kriechen massenweise Menschen wie Ameisen mit beinahe metallisch scheinenden Körpern Schluchten hoch und schürfen nach Gold, und das hatte sofort etwas Bruegel- oder Goyahaftes. Also sehr präzise und er hat nie mit Pathos gespart. Er hat tatsächlich wirklich in die große Kiste gegriffen, die die Malerei auch schon lange zur Verfügung hat.
Ellmenreich: Er selbst nennt seine Fotografiearbeit beziehungsweise seine Art zu fotografieren Barock. Können Sie damit etwas anfangen, auch wenn man Bruegel wahrscheinlich nicht zum Barock zählen kann?
Bialobrzeski: Ja, ich weiß, was er meint. Aber natürlich sind die kunsthistorischen Metaphern bei Fotografien auch immer schwierig. Ich würde es tatsächlich eher als pathetisch bezeichnen.
"García Marquez in Bildern"
Ellmenreich: Und ist das ein bisschen "old school", wenn man das so sagen darf, so viel Pathos ins Bild zu bringen?
Bialobrzeski: Das kommt darauf an, wie man das Werk von Salgado betrachtet und zu welchem Zeitpunkt. Ich glaube, das Frühwerk, vor allen Dingen ein Buch, "Other Americas", was nicht mal auf seiner Wikipedia-Seite gelistet ist, ist etwas, das kam mir immer vor wie García Marquez in Bildern. Das war magischer Realismus und es waren Bilder, die lose zusammenhängend so ein Gefühl vermittelt haben, wo man nachvollziehen konnte, was so eine Kultur ausmacht. Er hat ganz einfache Leute fotografiert, Bauern, Hochzeitspaare und so weiter. Das hatte für mich eine sehr, sehr große Qualität.
Das, was sein Spätwerk ausmacht, vor allem diese Arbeit "Genesis", die ja scheinbar unberührte Natur in Schwarz-Weiß-Fotos zeigt - das ist dann auch mit digitalen Kameras fotografiert -, da geht das Korn verloren und es hat keine Ecken mehr. Es hat eigentlich keine Widersprüche mehr. Und das ist einfach so schön, dass man sich da Kalenderbilder aufhängen kann, und dann habe ich damit einfach Schwierigkeiten, weil es nicht wirklich noch zum Widerspruch einlädt und man sagt: Ja klar, ist schön, da stehen Pinguine auf der Klippe und ganz großartig.
"Er ist Aktivist"
Ellmenreich: Zu schön, zu inszeniert – dieser häufig geäußerten Kritik an Salgado schließen Sie sich an. Was halten Sie von der Auszeichnung durch den Börsenverein?
Bialobrzeski: Es ist natürlich erst mal für die Fotografie insgesamt ein Riesenschritt. Dass ein Fotograf mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird, ist tatsächlich auch ein Ritterschlag für das fotografische Medium in Buchform. Das Buch ist ja sehr, sehr wichtig geworden in der Fotografie und dafür ist es einfach ganz wunderbar. Natürlich macht Salgado tatsächlich alles richtig und er ist wohlmeinend, und er ist ja sozusagen auch Campaigner mit seiner Arbeit "Genesis".
Ellmenreich: Er ist ein Aktivist, könnte man sagen?
Bialobrzeski: Genau! Er ist Aktivist. Und ich denke, für diesen Aktivismus ist er dann auch ausgezeichnet worden. Er hat ja nicht nur dieses Buch gemacht, sondern er hat mit seiner Frau ein riesiges Aufforstungsprojekt in der Nähe seines Elternhauses betrieben, so ein ganzes Tal. Da findet man auch in den sozialen Medien, kann man auch googlen, eine ganze Reihe von Vorher-Nachher-Bildern, wo wirklich eine sehr karge Landschaft jetzt wieder stark bewaldet ist, und das hat er mit seinen Fotografien erreicht. Vielleicht ist auch die "Marktfähigkeit" seiner Fotografien auch ein Teil des Erfolges, der dann auch wieder in diese ökologischen Kampagnen fließt.
Ellmenreich: Das wollte ich gerade fragen. Was sagt der überragende Erfolg dieser Bilder, dieser sehr schönen, sehr ästhetischen Bilder aus über die Rezeption von Fotografie in unserer Zeit?
Bialobrzeski: Na ja, es ist erst mal die Aufladung. Es ist natürlich das Thema. Und wir haben es die ganze Zeit mit Negativmeldungen zu tun. Wir sind ja eher dystopisch als utopisch unterwegs im Augenblick, und wenn sich jetzt jemand des Themas annimmt und es erst mal ohne Widersprüche zelebriert, wo wir hier leben, dann funktioniert das ganz gut. Bloß, natürlich kommt er ja nun aus einer Zeit, wo die Zeitschriften ihn eigentlich berühmt gemacht haben und ihn in die Welt getragen haben. Der letzte Teil jetzt, dieser Band "Genesis" und die Ausstellung - sie ist, glaube ich, gerade in Zürich; ich war vorgestern in Zürich, da habe ich die Plakate gesehen -, die ist dann natürlich der letzte Schritt. Ohne diese Aufladung, die er schon erfahren hat als Fotograf, wäre dieses Projekt natürlich auch nicht so erfolgreich geworden.
"Ein bisschen illustrierte Bibel"
Ellmenreich: Kommen wir noch mal zurück zu den ersten Bildern, die Ausbeutung von Arbeitern, von Wanderarbeitern. Kriegsopfer hat er fotografiert. Da stellt sich auch immer die Frage, ob man leidende Menschen überhaupt auf diese Weise zur Schau stellen darf. Wie beantworten Sie für sich als Fotograf diese Frage?
Bialobrzeski: Das ist gerade etwas, was sehr stark diskutiert wird. Ich habe tatsächlich das erste Mal, nachdem ich Salgado sehr verehrt habe, '91, dann eine Ausstellung gesehen über die Sahelzone, die in der Londoner Photographers' Gallery gezeigt wurde, und da bekam ich schon meine ersten Schwierigkeiten damit. Da habe ich gedacht, das ist alles ein bisschen illustrierte Bibel, das hat eine Form von Ästhetik, die über dieses Pathos natürlich auch wieder Leidensbilder sind, also fast zu Allegorien werden und eigentlich die Menschen, die da drauf sind, nur noch zur Staffage machen. Aber es ist sowieso sehr schwierig, mit diesen Themen umzugehen: Wie ist man voyeuristisch, wie ist man humanistisch und so weiter.
Ellmenreich: Noch eine Frage zu seinem Werdegang. Er ist ja Autodidakt, hat erst mal Wirtschaftswissenschaft studiert. Er war dann während der brasilianischen Militärdiktatur in der linken Oppositionsbewegung tätig und hat dann als Ökonom Entwicklungshilfeprojekte geleitet. Doch er hat erst Anfang der 70er sich selbst das Fotografieren beigebracht. Ist er dennoch ein großer Fotograf?
Bialobrzeski: Ja, natürlich ist er ein großer Fotograf. Man muss sein Werk nicht mögen, aber das ist er selbstverständlich. Er hat wirklich wichtige Preise gewonnen, in wichtigen Magazinen publiziert. Und wie gesagt: Man kann auch sehen, wenn man in diese Ausstellung geht, dieser Arbeiterzyklus - ich erinnere mich an die Ausstellung in den Deichtor-Hallen in Hamburg in den 90er-Jahren -, das spricht die Menschen an und macht was mit ihnen. Das ist natürlich so: Der Normalbetrachter geht nicht mit kunstwissenschaftlichem Interesse da heran, oder reflektiert über die Zusammenhänge, sondern lässt sich natürlich einfangen von dem, was Salgado da spielt, und er beherrscht sein Handwerk unglaublich gut.
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