Donnerstag, 16. Mai 2024

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Friedrich Knilli: Ich war Jud Süß. Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian.

Er war ein Leinwandliebling des Dritten Reiches, 22mal spielte er in UFA-Filmen wie Detlev Sirks Melodram "La Habanera" mit Zarah Leander oder an der Seite von Marianne Hoppe in Helmut Käutners berühmter "Romanze in Moll". Doch in der Erinnerung wird der Name des besagten Schauspielers , Ferdinand Marian, wohl für immer und vor allem mit einem Film verknüpft bleiben, der bis heute in Deutschland verboten ist: mit "Jud Süß", dem berüchtigten antisemitischen Machwerk des Regisseurs Veit Harlan. 1940 bei den Filmfestspielen in Venedig uraufgeführt, war "Jud Süß" propagandistische Einstimmung auf die sogenannte "Endlösung" der Judenfrage. Als Komparsen wurden Harlan vom Reichssicherheitshauptamt jüdische Ghettobewohner zur Verfügung gestellt; und Heinrich Himmler erklärte den Besuch des Films für Polizei und SS als obligatorisch. Als sich Harlan 1949 für "Jud Süß" vor Gericht verantworten mußte - er wurde freigesprochen - da war der Hauptdarsteller Ferdinand Marian bereits drei Jahre tot. Nun ist im Berliner Henschelverlag die erste Biographie über ihn erschienen. Gertrud Vossen rezensiert:

Gertrud Vossen | 18.09.2000
    Es war die Rolle seines Lebens. Joseph Süß Oppenheimer genannt Jud Süß. Auf persönlichen Wunsch des Propagandachef Goebbels schließt der Schauspieler Ferdinand Marian einen unglückseligen Pakt mit den Mächtigen des Dritten Reichs. Der Wiener Akteur übernimmt 1940 den Titelpart des Juden Oppenheimer in Veit Harlans antisemitischem Hetzfilm JUD SÜSS. Wenn auch nach heftiger Gegenwehr und sabotierten Probeaufnahmen, wie er sich später rechtfertigt. Und von Goebbels versüßt mit einem gut dotierten Schmerzensgeld. Im Film selbst gab Marian jedoch sein Bestes. In diesem demagogischen Machwerk erzählt Regisseur und Mitautor Harlan, wie der reiche Jude Süß die Prunksucht des spätbarocken Regenten Karl Alexander von Württemberg nutzt, um Zugeständnisse für seine geächteten Glaubensbrüder zu erpressen. Als Gegenleistung für die großzügige Finanzierung der herzöglichen Ausschweifungen fordert Süß: Das Schwabenland muss den Judenbann aufheben.

    O-TON MARIAN IN "JUD SÜSS" "Ich mach die Tür auf für euch alle. In Samt und Seide werdet ihr gehen. Kann sein morgen, kann sein übermorgen. Aber sein wird es!"

    Auftraggeber Goebbels war mit dem Ergebnis mehr als zufrieden und verlieh dem Film das Prädikat "Staatspolitisch wertvoll". In seinem Tagebuch, das er schon mit Hinblick auf eine Veröffentlichung führte, lobt der Schirmherr des deutschen Film JUD SÜSS enthusiastisch:

    "Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können."

    Denn auf infame Weise legitimierte JUD SÜSS die Vertreibung und Ermordung der Juden und schürte erfolgreich den Hass und die Gewaltbereitschaft gegen sie. Doch für den Süß-Darsteller Ferdinand Marian wurde der Wunschtraum eines jeden Schauspielers von der großen Hauptrolle zu einem Albtraum, der ihn sieben Jahre lang bis zu seinem frühen Unfalltod 1946 begleiten sollte.

    Ferdinand Marian wird am 14. August 1902 in Wien als Ferdinand Haschkowetz geboren. Der Sohn eines kaiser- und königlichen Bassisten und einer Gesangsprofessorin reißt nach einem abgebochenen Ingenieursstudium von zu Hause aus und schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten als Hausdiener und Musiker durch. Ohne Schauspielausbildung fängt er in Graz als Kleindarsteller an. Er arbeitet sich hoch und reüssiert in Klassikern wie "Wilhelm Tell" und den "Räubern". Es folgen Engagements in Trier, Aachen, am Hamburger Thalia Theater und an den Münchner Kammerspielen. 1934 die erste kleine Filmrolle als Arbeiter in DER TUNNEL. 1939 schließlich das Angebot für die Titelrolle im JUD SÜSS. Marian weigert sich und gibt vor, den Part darstellerisch nicht bewältigen zu können. Bei Probeaufnahmen spielt er so schlecht, wie er nur kann. Mit Erfolg, bis zu einem persönlichen Gespräch mit Goebbels, das Marian nach dem Krieg zu Protokoll gibt:

    "Goebbels wusste natürlich [...], dass meine Bitte nicht aus künstlerischen, sondern aus weltanschaulichen Gründen kommt. Er sagte, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug, schließlich: [...] Harlan verbürgt sich für Ihre Eignung zu dieser Rolle. Das genügt mir. Den Film brauche ich. Und zwar sofort."

    Und laut Marian fuhr der Chefpropagandist fort:

    "Solche Filme werden jetzt laufend hergestellt. [...] Von heute ab müssen alle ran. Sie sind der Erste."

    Unter den Nazis war Marian umworben und gefeiert, erfolgreich im Kino, im Rundfunk, auf der Bühne. Nach dem Krieg folgten Ächtung und Berufsverbot. Heute sagt sein Name allenfalls älteren Deutschen und Cineasten noch etwas. Seine Filmrolle des Jud Süß jedoch hat ihn als Inbegriff filmischer Hetzpropaganda überlebt. Zu seiner Zeit verkörperte der hochgewachsene und dunkelhaarige Marian wie kein zweiter das Rollenfach des schurkischen, aber eleganten Frauenhelden. Fesch und gefährlich zugleich, mit Schlafzimmerblick aus Reptilienaugen. Er gab den Bonvivant, der er auch im privaten Leben war: Ferdinand Marian liebte die Frauen und die Feinkost. Geradezu süchtig war er nach dem Aufputschmittel Kaffee.

    In seinen Rollen für Bühne und Kino personifizierte Marian immer wieder den Fremden und Außenseiter, hinter dessen charmantem Lächeln und Kavaliersmanieren Kälte und Berechnung lauern. Das prädestinierte den Schauspieler, auf der Leinwand den Feind von Außen und den Feind von Innen zu verkörpern. So zum Beispiel den typischen Engländer im antibritischen Propagandastreifen OHM KRÜGER. Und schließlich den karriere- und machtbewussten Finanzienrat in JUD SÜSS. Marian überzeugt in dieser Rolle seines Lebens sowohl als bärtiger Klischee-Jude im Kaftan als auch als assimilierungswilliger Aufsteiger, den Gewänder aus Gold und Silber und eine weißgepuderter Perücke zieren.

    Der Berliner Literatur- und Medienwissenschaftler Friedrich Knilli zeichnet in seiner Marian-Biographie detailliert nach, wie der Akteur ein frühes Opfer des Typecastings wurde. Vor 1933 spielte Marian auf der Bühne viele kleine Judenrollen, darunter auch einen Ahasver, sowie einen Jago mit levantisch-jüdischem Hintergrund. Knilli konstruiert ein unbewusst-schicksalshaftes Zustreben des Schauspielers auf die Rolle des Jud Süß. Zugleich bedient sich der Autor des berühmt-berüchtigten Namens und vermarktet sein Buch unter dem Aufmerksamkeit sichernden Titel: "Ich war Jud Süß". Die Ich-Form ist symptomatisch für die letztlich unwissenschaftliche Nähe des emeritierten Medienprofessors zu dem Objekt seiner Betrachtungen, die das Resultat einer mehr als dreißigjährige Recherche und Beschäftigung ist.

    "Marian wurde mir so vertraut, dass ich mich mit ihm im Traum telefonierte, ihn Papa rief und allmählich aufhörte, ihn zu siezen. Heute ist er nur noch der Ferdl und eine Art Freund, und ich sein Ben Matlock, sein unermüdlicher Anwalt."

    Seine Begeisterung lässt Knilli auch unkritisch mit den zeitgenössischen Quellen umgehen. So zitiert er ebenso eifrig wie naiv die gleichgeschaltete deutsche Presse, um die Größe und Einzigartigkeit des Schauspielers Marian zu belegen. Der Autor versteigt sich sogar dazu, mögliche biografische Berührungspunkte mit seinem steirischen Landsmann Marian durchzuspielen, so dass nur wenig gefehlt zu haben scheint und Marian wäre sein Vater geworden. Dieser unkritische Männerbund mit dem Toten wirkt sich jedoch kontraproduktiv auf Knillis Anliegen aus, als Anwalt für Marian aufzutreten und ihn von dem Gesicht des Joseph Süß Oppenheimers zu befreien:

    "Marian wurde das überlebensgroße Gesicht seines immer wieder aufgeführten Oppenheimer nicht los. Marians Jude wird seit einem halben Jahrhundert gehenkt und gehenkt und gehenkt, in jeder einzelnen Filmvorführung aufs Neue, wie der Märtyrer in einem katholischen Passionsspiel. Der Filmschauspieler verlor durch die permanente technische Reproduktion sein Antlitz."

    Man tut sich schwer, Knillis Passion, ja Obsession für den guten, aber nicht begnadeten Schauspieler nachzuvollziehen. Noch schwerer fällt dies angesichts von Knillis Versuchen, Marians Wiener Diktion zu imitieren. Nicht zuletzt weil dies auch zu einigen derben Ausrutschern führt. Besonders angetan hat es Knilli das Wort geschlechtshungrig, das er sowohl auf Marian und seinen Süß anwendet, erhellenderweise aber auch auf seine eigene Mutter und sich selbst. So erstaunt es denn nicht, dass gerade das unterschwellig Sexuelle Knilli an Marians Darstellung gereizt hat:

    "Mir fiel die doppelte Sexualmoral des Films auf. Die Antisemiten ermorden Süß wegen sexueller Vergehen, und zwar mit einer Wollust der Ehrbarkeit, die einen förmlich lüstern macht. Von Anfang an blickt der Kameramann schamlos und ohne Konsequenzen fürchten zu müssen auf nackte Brüste und Oberschenkel der Frauen und in erregte Männervisagen. Um diese doppelzüngige Sexualität aufzuklären, begann ich alles über Süß zu sammeln."

    Knillis Überbetonung des Sexuellen im JUD SÜSS kann man sich nur schwer anschließen. Sie ist jedoch die Voraussetzung für seine Interpretation von Marians Süß als "tragischer Liebhaber, ebenbürtig den großen Charakteren Shakespeares", wie Knilli formuliert.

    "Marian zeigt den Deutschen einen jüdischen Liebhaber, dessen einzige Schuld es ist, Deutscher sein zu wollen. Marian erreicht damit, dass der Film auch als tragische Lovestory gelesen werden kann und nicht nur als sadistischer Himmlerbefehl an alle, jüdische KZ-Häftlinge zu prügeln. Sein Süß ist die Kinoikone einer tragischen Liebesaffäre zwischen einem assimilierten Juden und einer Deutschen inmitten des Holocaust."

    In seinem Bemühen, posthum Marians Ehre zu retten, übersieht Knilli, dass gerade in der Vielschichtigkeit der Figur die propagandistische Raffinesse von Marians Darstellung liegt.

    "Der Schauspieler Marian zeigt nicht die befohlene antisemitische Karikatur, sondern Szene für Szene und Satz für Satz einen Juden, der nicht Abscheu, sondern Mitleid und Mitgefühl erweckt."

    Knilli beklagt ausgiebig, dass "sein Ferdl" immer wieder auf die Paraderolle als Süß reduziert wurde und wird. Er tut jedoch genau dasselbe auf den 200 Seiten seiner Monographie. Ein grundsätzlicher Widerspruch, dessen sich der Autor nicht bewusst ist. Beispielsweise druckt Knilli nur Bildmaterial zu JUD SÜSS ab. Marians 22 weitere Auftritte im Ufa-Kino interessieren ihn hingegen kaum als eigenständige Darbietungen von Marians Schauspielkunst, sondern nur hinsichtlich der Süß-Rolle. Kein Wunder also, dass Knilli Marians Filmografie in ein "vor" und ein "nach" JUD SÜSS aufteilt, als wären alle anderen Rollen nur Vorbereitung auf den einen ganz großen Auftritt oder dessen Nachhall.

    Unter dem Strich bleibt das von Knilli vermittelte Bild des Ufa-Stars diffus, als Künstler wie als Mensch. Zumal Knilli mit wenig wirklichen Neuigkeiten aufwarten kann, außer pikanten Enthüllungen. Beispielsweise dass Marians Sohn gar nicht von ihm stammen könne, weil Marian impotent gewesen sei. Offen bleibt, was Marian in seinem Innersten bewegt hat. Denn Knilli gelingt es nicht, aus den biographischen Details und Rollenbeschreibungen heraus Marians Persönlichkeit eine nuancierte Gestalt zu geben, was der Akteur selbst so meisterlich in seinen Darbietungen verstand. Auch und nicht zuletzt im JUD SÜSS, beispielsweise als er trotz seiner edlen Ausstaffierung vom Aktuarius Faber physiognomisch als Jude geoutet wird:

    O-TON MARIAN UND MALTE JAEGER ALS FABER IN JUD SÜSS Faber: "Mein Herr, ich möchte Euch empfehlen, die nächste Post nicht zu versäumen." Jud Süß: "Warum? Es eilt mir nicht, ich habe noch Geschäfte in Stuttgart. Im Gegenteil, ich wollte mich gerade erkundigen, ob er mir einen Gasthof empfehlen kann." Faber: "In der Residenz Stuttgart gibt es keine Judenherbergen." Jud Süß: "Mein Kompliment zu Eurer Menschenkenntnis, mein Herr. Aber ich bin der liebenswürdigen Demoiselle zu so großem Dank verpflichtet, dass sie verstehen wird, wenn ich die Antwort schuldig bleibe."

    Löblich an Knillis Buch ist, dass es auf antisemitische Umtriebe im Internet aufmerksam macht und sie in die traurige Geschichte antisemitischer Figuren und Motive einordnet. Das ist in den Zeiten der öffentlichen Diskussion rechtsradikaler Umtriebe wichtiger denn je. Ins Internet hat Knilli auch das umfangreiche Quellenmaterial gestellt. Grundsätzlich eine interessante Neuerung, aber zum einen kein Rechtfertigung, keine einzige Quelle oder Beleg im Buch selbst anzugeben, da es in erster Linie für sich alleine stehen solle. Und zum anderen völlig indiskutabel, wenn es die angegebene Web-Seite noch gar nicht gibt. Was von "Ich war Jud Süß" zurückbleibt, ist der Nachgeschmack so vieler Autobiografien von Vorzeigekünstlern und Publikumslieblingen des Dritten Reichs, ob sie nun Marika Rökk, Kristina Söderbaum oder Veit Harlan heißen. Es geht um die bekannten Rechtfertigungen, lavierende Verweise auf die Umstände und nicht zuletzt die unpolitischen Haltung eines Künstlers. So auch Knilli:

    "Von allen Gründen, die Marian dazu bewegt haben, die Rolle schließlich doch anzunehmen, liegt der wohl entscheidende in dem in der Adoleszenz so tief eingeschliffenen Schema vom Immer-wieder-Aufbegehren und letztlich doch Immer-wieder-Unterordnen unter die Autorität begründet."

    Sein selbstgestecktes Ziel, den Schauspieler Marian ein anderes Gesicht als das des Jud Süß zu geben, verfehlt Knilli mit diesem biografischen Leichtgewicht.

    Gertrud Vossen über Friedrich Knilli: Ich war Jud Süß. Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian. Erschienen ist der 200 Seiten starke Band im Henschelverlag Berlin zum Preis von DM 39,80.