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Frisches Musiktheater

Mit der Münchner Biennale des zeitgenössischen Musiktheaters öffnet zum zehnten Mal ein Experimentierraum, der in diesem Jahr mit dem Dreiklang "Labyrinth - Widerstand - Wir" als Motto antritt. Zu den Höhepunkten zählte "Barcode" von Cornel Franz und Alexandra Holtsch, die den Datenspuren der Menschen in einer Welt folgt, in der nur noch der Strichcode Bedeutung zu haben scheint.

Von Wolf-Dieter Peter |
    Reizvolle Klangwirkungen in der zwei Uraufführung der Münchner Biennale - in "Die Philosophie im Labyrinth", komponiert von dem jungen Italiener Aureliano Cattaneo. Doch zusammen mit der sehr hermetischen Lyrik des Spaniers Edoardo Sanguineti als Textgrundlage stellte sich nur der Eindruck ein: Da wird der Minotaurus-Mythos lediglich als bedeutungsschwangeres Vehikel wegen des großem Namens benutzt. Folglich gab es außer ein paar schönen Bühnenwirkungen auch viel Verkrampftes und meist sogar Verstiegenes ohne dramatische Wirkung.

    Am Ende die Uraufführung: "Gramma - Gärten der Schrift". Eine besondere Wirkung versprach sich der spanische Komponist Sanchez-Verdú davon, jeden Zuschauer an einen eigenen Lesetisch mit einem Lese- und Bildband zu platzieren, darüber das Orchester des koproduzierenden Theaters Luzern, dazu links und rechts je ein Streichquartett. Die vier Sprech- und Gesangssolisten tönten von Galeriegängen rundum in der Höhe:

    Doch der ganze Aufwand ergab höchstens eine gänzlich untheatralische Raum-Klang-Meditation für intellektuell-esoterische Exerzitien. Strengere Maßstäbe angelegt: eine problematische Resakralisierung, die sich mit mystisch-ekstatischen Textteilen dem Irrationalismus und Okkultismus nähert.

    Radikal anders in der mittleren Uraufführung der theatralisch packendste Griff ins Zeitgenössische und in die heutige Musikproduktion: Autor Cornel Franz und die auch als DJ die Musik-Kompilation steuernde Alexandra Holtsch mit ihrer "Scratchopera" "Barcode". Aktuelles Thema: Würden alle Daten unserer Chip-Karten gesammelt, ergäbe dies gläserne, gut steuerbare, letztlich uniforme Konsumenten.

    Der Verlust der eigenen "Barcodes" macht den glänzenden Bariton Thomas Bauer zum Außenseiter. Zu den gut geführten Solostimmen und den mitunter sogar schmissigen Konsum-Nummern des Ensembles steuerte Stimmakrobatin Salomes Kammer als anfangs strenge, dann liebende Wächterin reizvolle Besonderheiten bei. Den stärksten Eindruck aber hinterließ die von 5 Plattentellern kommende Musik-Geräusch-Klang-Collage, die Alexandra Holtsch als "DJ Spin-O" und Kollege Vincent Schlippenbach als "DJ Illvibe" achtzig Minuten lang produzierten: von Klassischem bis Arvo Pärt zu Phil Glass und Steve Reich war da alle Musik gleichsam Material - wie das heute auch schon mal von den DJ-Stars in den Discos und Hallen an ein großes Publikum gebracht wird. Die sonst meist elitäre Elfenbeinturm-Werke präsentierende Biennale griff da endlich einmal voll ins heutige und kommende Menschenleben mit seinen drängenden Problemen - dies auch noch gut choreografiert und gespielt - zeitgenössisches Musiktheater der besonderen Art.