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Fritz J. Raddatz: Gottfried Benn. Leben - niederer Wahn.

Auf ganz andere Weise, jedoch ebenso vom Krieg geprägt wie das Leben Henri Dunants ist die Biographie und das dichterische Werk Gottfried Benns. Schon zwei Jahre, bevor er als Militärarzt am ersten Weltkrieg teilnahm, war sein erster expressionistischer Gedichtband erschienen - und wurde mit seiner Lyrik, die geradewegs aus der Pathologie zu kommen schien, zur literarischen Sensation. Benns dichterisches Schaffen aber ging einher mit einem elitären Chauvinismus, der ihn auch -zumindest- vorübergehend empfänglich für die Ideologie des Nationalsozialismus machte - und zu einem der umstrittensten deutschen Dichter des 20. Jahrhunderts. Eine neue Biographie aus der Feder von Fritz J. Raddatz versucht nun, Leben und Weltsicht des Dr. Gottfried Benn zu erhellen.

Brigitte Baetz |
    Um es gleich vorweg zu sagen: dieses Buch handelt von einer unsympathischen Person, einem Menschenverächter und eitlen Soziopathen, einem Menschen, der sich zum Solitär stilisierte und doch zum Mitläufer wurde. Und: von einem der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache - Gottfried Benn:

    Einsamer nie als im August: Erfüllungsstunde - im Gelände Die roten und die goldenen Brände, doch wo ist deiner Gärten Lust?

    Die Seen hell, die Himmel weich, die Äcker rein und glänzen leise, doch wo sind Sieg und Siegsbeweise aus dem von dir vertretenen Reich?

    Wo alles sich durch Glück beweist und tauscht den Blick und tauscht die Ringe im Weingeruch, im Rausch der Dinge - dienst du dem Gegenglück, dem Geist.

    Der gleiche Dichter, der hier den Geist besingt, wird sich den Nationalsozialisten andienen, also gerade denen, die mit Geist wohl am allerwenigsten anzufangen wissen. Und dabei ist dieser Gottfried Benn im Grunde ein unpolitischer Mensch, gar einer, der die Politik eigentlich verachtet. Am 6. März 1930 erläuterte er seine Weltsicht in einem Rundfunkgespräch mit Johannes R. Becher:

    Die Weltgeschichte als Ganzes ist äußerst fragmentarisch. Eine Offenbarung der Weltvernunft, die Verwirklichung einer Idee, wie es Hegel aussprach, kann man nicht feststellen. Sie fasst etwas an und dann lässt sie es liegen, sie beginnt großartig und endet namenlos, sie übersteht den Niagara, um in der Badewanne zu ertrinken und die hegelsche Ansicht vom großen Mann als dem Geschäftsführer der Weltvernunft fällt auch ins Wasser. Die Weltvernunft lässt ihn im Stich. Der große Mann ist auf sich selber angewiesen. Zweitens. Eine Frage: die soziale Bewegung. Soziale Bewegungen gab es von jeher. Die Klassenumschichtung war von jeher der eine Inhalt der Geschichte. Die Unteren wollen hoch und die Oberen wollen nicht herunter. Schaurige Welt, kapitalistische Welt, aber nach drei Jahrtausenden Geschichte darf man sich wohl dem Gedanken nähern, dass das Alles weder gut noch böse ist, sondern rein phänomenal. Knechtschaft scheint ein Zwang der Schöpfung zu sein und Ausbeutung eine Funktion des Lebendigen.

    Die Weltsicht des Dr. Gottfried Benn, Arzt für Haut- und Harnleiden, ist geprägt von Nietzsche. Nietzsches Vorstellung, dass die Wirklichkeit nur als ästhetisches Ereignis eine Berechtigung erhält, führt zu Benns Überzeugung, dass nur der Künstler es vermag, dem eigentlich sinnlosen Dasein Sinn zu geben. Sein daraus abgeleitetes Elitebewusstsein macht ihn zum Verächter der Demokratie, zum Verächter der Gleichheit zwischen den Menschen, zum Verächter aller humanistischen Bestrebungen. Mit dieser Verachtung steht er im Geistesleben seiner Zeit nicht alleine da. Auch linke Autoren der Weimarer Republik sind Zivilisationsskeptiker, doch die Menschenverachtung, das Irrationale dürfte ihn am ehesten mit den sogenannten Futuristen verbinden, die den geistigen Nährboden für den italienischen Faschismus lieferten. Und dort siedelt ihn auch der Autor Fritz J. Raddatz an:

    Benn war zu reaktionär, um Nazi zu sein. Er glich darin jenen ausgedienten Offizieren der alten kaiserlichen Armee, die Oberstleutnant a.D. auf ihre Visitenkarten druckten und von den Balkons ihrer Charlottenburger Wohnungen - hatte man reich geheiratet, langte es für Zehlendorf - Schwarz-Weiß-Rot flaggten statt der Hakenkreuzfahne. Widerstand rechts um! `Die Gosse marschiert´ dröhnte es in ihren Salons, und man schnippte `den Gefreiten´ weg, als sei Asche auf das Revers gefallen. In dem dann allerdings doch bald ein kleines Abzeichen blinkte.

    Gottfried Benn, zu Beginn der 30er Jahre ein in Fachkreisen zwar anerkannter und gerühmter Dichter, dem breiten Publikum aber weitgehend unbekannt, wird am 15. Februar 1933 als Nachfolger des zurückgetretenen Heinrich Mann zum kommissarischen Vorsitzenden der Sektion für Dichtung der Preußischen Akademie der Künste ernannt. Und er nimmt an, obwohl 15 der prominentesten Mitglieder ausgeschlossen werden. Nur wenige Wochen danach brennen auf dem Platz vor der Berliner Universität die Bücher. Gottfried Benn, der die Kunst doch so hoch hält, ist mitleidlos. Nicht nur, dass er über den Berliner Rundfunk eine so genannte "Antwort an die literarischen Emigranten" verliest, die - wie Raddatz schreibt - "blitzend vor Bosheit" ist, seine Verachtung für die oppositionellen Künstler ist grenzenlos. 1933 schreibt er an die Frau des Komponisten Paul Hindemith:

    Es ist der Kampf um die neue Substanz, von dem wir so oft gesprochen u. geschrieben haben. Darum bin ich dabei. Nicht für mich. Mir persönlich könnte alles schnuppe sein, ich habe meine Gonorrhöen u. meine Lyrik, basta.... Wenn jetzt die Abgetakelten schrein: was wird aus der Kunst, denke ich bei mir: die Epigonen des II. Reichs sind nicht schutz- und pflegebedürftiger als die Dilettanten im III. Wer damit nicht fertig wird, soll die Schn... halten, wer was ist, wird damit fertig. Hier ist Stoff u. inneres Erlebnis - ran! Hier ist Geschichte - ertrage sie. Hier ist Schicksal - friß Vogel oder stirb!

    Gottfried Benn, der die Spießbürger hasst wie kein Zweiter, will auf einmal Teil der völkischen Gemeinschaft sein. Doch - Ironie des Schicksals und doch zu erwarten - die völkische Gemeinschaft kann gut auf ihn verzichten. "Geistesverblödung" wirft man dem Dichter mit der düsteren Bildsprache vor. Er könne nicht in Anspruch nehmen, den Geist der Bewegung zu vertreten. 1938 wird er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Die Fürsprache Heinrich Himmlers bewahrt ihn vor weiteren Sanktionen. Benn flüchtet in den Dienst bei der Armee und führt weiterhin ein Leben zwischen Zivilisationsekel und der ständigen Jagd nach Lebensgenuss. Doch damit ist die Karriere des Gottfried Benn nicht beendet. Nach dem Krieg wird er als Dichter wieder entdeckt, ja sogar erst richtig berühmt. Die jungen Kollegen, egal welcher Couleur, verehren ihn als einen der Großen der deutschen Sprache. Anders als seine Pendants in anderen Ländern, die dem Faschismus nahe standen - Céline in Frankreich etwa oder Ezra Pound für die USA - wird er nicht geächtet oder mit Sanktionen belegt. Und das, obwohl er seinen Positionen von damals nie öffentlich abgeschworen hat. Auch sein Biograph Raddatz verteidigt ihn, auch wenn er keine seiner Schwächen verschweigt. Benns Verhalten im 3. Reich unmoralisch und undemokratisch zu nennen, so seine Erkenntnis, gehe an den Tatsachen völlig vorbei, denn Moral und Demokratie waren für Benn eben überhaupt keine Kategorien. Ein Fazit, das nicht ganz überzeugt, denn auch ein Künstler kann sich nicht selbst zum Herren über Gut und Böse machen. Doch wie die "Geburt der Barbarei aus dem Geiste der Poesie", wie Raddatz das selbst nennt, funktioniert, wie die Selbstüberschätzung eines sogenannten Geistesmenschen dazu führt, sich einem Terrorregime anzudienen, sich im wahrsten Sinne des Wortes gemein zu machen das beschreibt Fritz J. Raddatz sehr eindrucksvoll. Ein Buch, das nicht als politisches Buch geschrieben wurde, aber durchaus als politisches Buch zu lesen ist.

    Fritz J. Raddatz: Gottfried Benn. Leben - niederer Wahn. Erschienen im Propyläen Verlag Berlin, 320 Seiten für 44,89 DM.