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Frohgemute und enttäuschte Computer

Über Computer und Intelligenz, hilfreiche Vorbilder aus der Natur und die Folgen der aktuellen Entwicklungen auf diesen Feldern für Internet und industrielle Produktion, diskutierten Experten für Fuzzy-Systeme, Neuronale Netze und Data-Mining in dieser Woche auf einer Fachtagung des VDI in Baden zum Thema Computational Intelligence. Forscher präsentierten am Rande der Tagung Computerprogramme, die Rechnern Bewusstsein und Gefühle verleihen und menschlichen Gemütsäußerungen zum Verwechseln ähnlich sind.

Klaus Herbst, Bernd Schürmann, Otto Rössler |
    "Im Grunde könnten wir unsterblich werden, wenn wir nur in der Lage wären, das gesamte Wissen unseres Gehirns inklusive Bewusstsein abzuspeichern", spekuliert der Münchener Professor Bernd Schürmann. Der Kybernetiker erforscht, inwieweit moderne Software, die sich in Struktur und Funktionsweise am Modell des menschlichen Gehirns orientiert, möglicherweise auch in der Lage ist, Bewusstsein und Emotionen zu entwickeln.

    Sehr viel greifbarere Fortschritte präsentierten Experten anläßlich der Tagung auf den Sektoren der Fuzzy-Systeme, neuronaler Netze, evolutionärer Algorithmen und des Data Mining. Moderne Methoden prognostizieren etwa das nichtlineare und daher schwer vorhersagbare Verhalten von Hydraulikbremsen oder optimieren die Form von Flugzeugtragflächen. Eine weitere praktische Anwendung findet sich etwa in der Produktion von Stahlblechen: "Die Bleche sollen schnellstmöglich und unter konstant hohen Qualitätsanforderungen hergestellt werden, gleichzeitig soll der Ausschuß minimiert werden", schildert Schürmann. Von zentraler Wichtigkeit sei dabei die exakte Justage der Kräfte, mit denen die Doppelwalzen den Stahl auf die gewünschten Maße zwingen. Neuronale Netze bewerkstelligten heute diese Steuerung, indem sie aus einer Vielzahl von vergangenen Walzvorgängen lernen und daraus Schlußfolgerungen für die nötigen Einstellungen bei neuen Blechformaten ziehen könnten. Die Kosten der Blechfertigung habe so beträchtlich gesenkt werden können.

    Erstmals stellten Experten in Baden-Baden auch ein neues Werkzeug vor, das Webseiten noch besser auf die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen hilft. "Unter den Gesichtspunkten von E-Commerce und Business-to-Business-Vermarktung ist heute die Kundenorientierung einer Internetpräsenz sehr wichtig", konstatiert Schürmann. Um die Wünsche der Kunden exakt zu erfassen, ermitteln eigens entwickelte Programme, so genannte Web-Mining-Tools, detaillierte Profile der Internetbesucher.

    Noch Zukunftsmusik ist dagegen das Auslesen von Informationen aus dem menschlichen Gehirn über neue bildgebende Verfahren. Gelänge dies, könnte beispielsweise die Wirkungsweise von Prothesen optimiert sowie Teleoperationen zielsicher vorbereitet und durchgeführt werden: "Ein solches Verfahren würde auf die Implantation eines Neurochips verzichten und statt dessen die Informationen aus der Distanz erfassen. Ein künstliches System könnte so den Patienten simulieren und zeitlich sowie räumlich unabhängig als Grundlage etwa für die Planung eines chirurgischen Eingriffs dienen", erklärt Bernd Schürmann.

    Ein Novum präsentierte der theoretische Biochemiker Professor Otto Rössler von der Universität Tübingen: Seine Experimente zielen darauf ab, in Rechnern Gefühle zu generieren. Für Hoffnung und Enttäuschung sei ihm dies bereits gelungen. Das Wissen über potenziellen Erfolg oder Misserfolg könne den Orientierungssinn von Robotern weiter kräftigen. "Ob man überhaupt Gefühle in einem Computer erzeugen kann und ein künstliches Bewusstsein möglich ist, ist sehr fraglich", meint Rössler. Doch so absurd, wie es auf den ersten Blick wirke, sei das Problem tatsächlich nicht. Nicht nur Hoffnung und Enttäuschung ließen sich auf Rechnern zumindest nachbilden: Auch Freude und Angst, abstoßende und anziehende Gefühle, ja sogar Erotik und der Trieb, sich an andere zu binden, könnten dereinst Robotern zu mehr Menschlichkeit verhelfen.