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Frohlocken!

Vom Tegernseertal geht es hinauf auf den Riederstein. Oben auf 1207 Meter steht eine kleine Wallfahrtskirche auf einem Felskegel. Imaginär begleiten der Maler August Macke und der Schriftsteller Ludwig Thoma die Wanderer.

Von Franz Nussbaum |
    Der Tegernsee, eine am Wochenende häufig übervolle Uferstraße, mit PS-Geschubse und Parkplatznot. Wir sind auf halbem Weg zwischen den Orten Tegernsee und Rottach-Egern. Und von hier aus, so zeigt die Ausschilderung, geht es hoch zum Riederstein-Kircherl. Wir stapfen also los, unter einem farbigen Dach herbstlich-bunter Buchenbäume. Und diese Route soll auch der Schriftsteller Ludwig Thoma häufig gewandert sein, wobei ihm vielleicht einige seine bayrischen Jagergeschichten eingefallen sind. Anfangs begleiten uns noch einzelne Häuser. Und diese Häuser kann uns viel authentischer-, eben der bajuwarische Poet und gelernter Jurist Ludwig Thoma beschreiben. In seiner Art auch ein Philosoph..... in seiner Erzählung vom "Jagerloisl".:

    Das Anwesen, auf dem Loisls Mutter hauste, lag etwas außerhalb an einer Berglehne. Den angebauten Balkon, der sich um den obern Stock zog, konnte ein Mann mittleren Wuchses mit der Hand erreichen. Das Holz war braun gebrannt von der Sonne und Blumenkästen standen darauf, aus denen Nelken und Geranien herunterhingen. Eine anheimelnde Ruhe war um das Häuschen, es schien behaglich zu rasten. Loisl hatte Gewehr, Bergstock und Rucksack auf eine Bank davor gelegt, ein rotgelber Schweißhund saß als Wächter dabei. Loisl streichelt ihm freundlich den Kopf.

    Impressionen wie gemalte Literatur. Mir kommen derweil die ersten Schweißperlen vom steten Anstieg auf die Stirn. Noch ein paar Anmerkungen zu Ludwig Thoma, wir lesen:

    Von 1908 bis zu seinem Tode, 1921... lebt Ludwig Thoma hier in einem opulenten Landhaus. Hier entsteht das Meiste seiner drallen Geschichten. Thoma liegt in Rottach-Egern beerdigt, zusammen mit seinem Schriftstellerkollegen Ludwig Ganghofer.

    Den Thoma werden wir auf unserer Strecke zum Riederstein sicher noch einmal aufgreifen. Nun öffnet sich unser Wald und gibt den Blick auf den See frei. Und Jürgen Köstler, der hier jeden Jagerloisl kennt und der auch dem Riederstein-Verein anhört, schildert uns etwas den Ausblick auf seinen Tegernsee.

    Wie sehen hier den Tegernsee, speziell die Egerner Bucht. Ganz groß im Erscheinungsbild ist dort einmal links die Kirche. In Bayern ja das Wichtigste im Ort, neben der Wirtschaft. Hier gleich anschließend Rottach-Egern. Dann würde man das Hotel Bachmaier sehen.

    Franz Nussbaum: Der FC Bayern wohnt da öfter....
    Jürgen Köstler: Der FC Bayern hat da hin und wieder mal ein Trainingslager.....
    Nussbaum: Was mich wundert, keine Boote auf dem See.
    Köstler: Die halten sich weiter draußen auf dem See auf, in Richtung Gmund, weil eben dort bessere Windverhältnisse sind wie in der Egerner Bucht.

    Nussbaum: Und nun geht weiter, zügig steigt es an. Wir haben bis zu unserem Ziel, diesem Riederstein Kircherl, knapp 500 Höhenmeter zu überwinden. Und in meinem Wanderprospekt steht etwas verharmlosend, gemütliche Vorgebirgswanderung, ohne Schwierigkeiten, auch für Kinder ab 8 Jahren. Und wir nähern uns anderen Riederstein-Wanderern. Sie jappen, darf das nur andeuten, Sie haben noch ein Sackerl mehr zu tragen.
    Wanderer: 50 Kilo mehr
    Franz Nussbaum: Was treibt Sie hier hoch?
    Wanderer: Die Kapelle. Wenn ich morgens am Frühstückstisch sitze, dann sehe ich jeden Morgen hier oben die Kapelle. Da habe ich zu meiner Frau gesagt, da will ich rauf. Da will ich aber schon 10 Jahre rauf. Ich habe immer Angst vor dem Berg.
    Nussbaum: Sind Sie ein religiöser Mensch?
    Wanderer: Nicht übertrieben, aber....
    Nussbaum: Hat man Zeit, auch so mal mit sich ein bisschen per du zu werden?
    Wanderer: Man ist froh, wenn sie es hinter sich habe, dass sie es gemacht, und dass sie es angefangen haben, ist man stolz auf sich.
    Nussbaum: Ich höre vom Dialekt her, Sie sind also kein Bayer.. . :
    Wanderer: Nein, Dortmund, Paderborn.
    Nussbaum: Jetzt sehe ich auch wie ihnen die Perlen runter laufen. Man könnte ja auch sagen, wer den Weg hier in anderthalb- oder zwei Stunden hinter sich hat....
    Wanderer: …der hat schon ein bisschen Buße getan...

    Nussbaum:... der kriegt einen halben Ablass. Einen guten Weg noch. Und dann öffnet sich wieder der Wald, ein grüner Hang, eine große Almwiese, mit Berggasthof. Und hier sehe ich jetzt zum ersten Mal das Riederstein Kircherl, fast greifbar nahe. Es thront wie auf einem Stiftzahn, wie eine Krone oben drauf geplombt. Ein fast senkrechter heller Kalkfelsen.
    Köstler: Das Gasthaus Riederstein, Galaun, sagt man da dazu. Da sieht man dann links unsere Kirche mit der kleinen Felswand. Und wenn wir uns umdrehen, sieht man das Kreuther-Tal. Da haben wir auf der rechten Seite den Leonardstein und ganz im Hintergrund haben wir dann schon die österreichischen Berge, die kratzen schon knapp die Zweitausender. Und da sieht man noch einen Teil der Wallbergabfahrt. Das ist also der wildeste Hang des Wallberges, da scheiden sich dann die Skifahrergeister.....
    Nussbaum: Und jetzt müssen Sie mir wieder sagen, ich weiß ja, da geht es ja noch mal böse in die Beine rein....
    Köstler: Dann kommt also der Kreuzweg und den muss man sich wirklich ergehen. Das sind nahezu 500 Stufen, die zu bewältigen san. Und da geht es noch mal gute 150 Höhenmeter rauf.
    Nussbaum: 150 Höhenmeter......Nun steigen wir über Stock und Stein. Jetzt ist es wirklich die Armsünderstrecke. Hier in den Steinen, sicherlich mühsam eingehauen, Stufen, auch über Baumwurzeln. Dann die Kreuzwegstationen. Wir sehen das Bild "Jesus fällt unter dem Kreuz". Wir sehen auch die Militärs, die auf ihn einprügeln. Und nun kommt eine Grotte, eine Marienfigur, ein Steinkreuz...
    Köstler: Eine Grotte, ganz genau. Eine Lourdes-Madonna, die also mit einem Rosenkranz umrahmt ist. Und der Grund, warum also diese Madonna hier aufgestellt wurde, ein Wilderer, der also im Oktober 1861 hier in diesem Bereich des Riedersteins zu Tode gekommen ist. Wahrscheinlich von Jägern, die ihn totgeschossen haben. Unter diesem Stein ist er gefunden worden.
    Nussbaum: Wie war das in der Bevölkerung? Waren die Wilderer in einem bestimmten Sinne populär? Wie ist das bayrisch umzusetzen?
    Köstler: Sie waren sicherlich arme Leute, die also auch wieder einmal Fleisch zum Essen brauchten. Es waren immer nur Vermutungen, dass der und der eben ein Wildschütze wär....
    Nussbaum: Gleich dahinten ist die nächste Kreuzwegtafel. Was soll der Kreuzweg, ist es eine Relaisstation?
    Köstler: ....um vielleicht auch gewisse Parallelen auch zu sich selbst zu finden. Und um ein wenig nachzudenken. Der Kreuzweg verlangt körperlich einiges ab. Und man kann durchaus auch verstehen, welche Mühen und Plagen es waren dann eben auch für Jesus Christus diesen Kreuzweg, den er damals gehen musste, zu gehen.

    Nussbaum: Und wieder kommt mir der "Jagerloisl" in den Sinn. Ludwig Thoma beschreibt darin ja auch eine Jager- und Wildschütz-Geschichte. Und zwischen all den frommen Stationen und der Grotte erinnert mich dieser Jagerloisl auch an einen himmlischen Loisl. Ludwig Thomas brillante Satire vom Münchener Dienstmann, den es dann irgendwann in den Himmel verschlagen hat. Vielleicht hat ja der Thoma den Einfall zu dieser himmlischen Geschichte nicht am Schreibtisch... sondern vielleicht hier am Riederstein, als Eingebung von oben empfangen? Wir lesen über den "Münchner im Himmel"....

    Alois Hingerl, Münchner Dienstmann und Gepäckträger mit der Nummer 112 auf der Mütze, ist wohl das bekannteste derb-komische Stück, dass Thoma in seiner Tegernseer Zeit, auf nur knapp elfeinhalb Seiten zu Papier bringt. Aus dem grob ge-strickten Dienstmann ist nach seinem Ableben der Engel Aloisius geworden. Petrus hat ihn als himmlischen Harfenspieler eingeteilt- und der hat nach Dienstplan jeden Tag von acht bis zwölf zu frohlocken und dann, ohne Mittagspause und ohne seine gewohnte Maß Bier, von zwölf bis um acht "Hosiana" zu singen. Das geht dem Engel Aloisius auf den Senkel. Und deswegen legt er sich sowohl mit dem ehrwürdigen Apostelfürsten Petrus, und sogar mit dem an sich unantastbaren lieben Gott persönlich an.

    Nussbaum: Wem am Riederstein-Kircherl die Stunde schlägt. Nun sind wir fast auch im Himmel angekommen, sprich bis zum Riederstein-Kircherl hoch gekraxelt. Eine Kapelle, .... sie ist, wie ich hier lesen kann, in einer ersten Version 1841, also vor 170 Jahren errichtet worden. Und der Zulauf von Marienverehrung und Wallfahrern muss in der Folgezeit beträchtlich gewesen sein, sodass das Kircherl immer weiter umgebaut und erweitert werden musste. Heute mag es vielleicht 10 Besucher fassen, mehr Platz ist auf diesem spitzen Kegel nicht möglich. Das heißt, die Andachtsfeiern und das öffentliche Rosenkranzbeten findet hier wohl draußen, also zwischen Felsen und Bäumen, Open AIR statt.

    Im Innern sehen wir Votivtafeln und bebilderten Dankadressen. Und über dem kleinen Altar ist eine Pieta, Maria mit ihrem toten Sohn angebracht. Jetzt will ich Sie hier in ihrer Besinnung nicht stören. Was haben Sie für eine Beziehung hier zu dieser Kapelle?

    Besucher: Als Einheimischer... man geht ein-, zweimal im Jahr auf diese Kapelle hinauf. Um vom Tal ein bisschen entfernt zu sein, um sich Gott näher zu fühlen....
    Nussbaum: Ich habe sie eben hier gesehen an einer Kerze...
    Besucher: Ja, da meine Frau, vor einigen Jahren eine sehr schwere Erkrankung hatte, einen Herz- und Atemstillstand, einen sogenannten Sekundentod. Und durch perfekte Notarzt Reanimation konnte meine Frau wieder ins Leben zurückgeführt werden. Insofern war es für mich ein persönliches Anliegen noch einmal zu danken, indem ich eine Kerze hier herauf, auf diesen Riederstein getragen hab.
    Nussbaum: Dann habe ich gehört, dass es hier also auch so eine Rosenkranztradition
    gibt?
    Besucher: Diese Kirche ist ja der Muttergottes geweiht. Und zu dem entsprechen-den Brauchtum in unserer Gegend gehören eben Maiandachten, Rosenkränze. Und wo kann man die denn besser abhalten, und noch dazu an so wunderschöner exponierter Lage. Sie brauchen sich nur umschaun und die Berge in unserer Gegend bewundern....

    Nussbaum: Und es gibt von hier oben eben diesen 5-Sterne-Blick auf den See und das Tegernseer-Tal tief unter uns. Und wieder darf ich, statt es selbst zu versuchen ...einen Künstler bemühen. Als der Ludwig Thoma drunten sein Haus einrichtet, kommt 1909 auch der Bonner Maler August Macke, 22 Jahre jung, eher zufällig an den Tegernsee. Er malt, ich habe es in einer postkartengroßen Kopie dabei, er malt auch einen Blick auf den Tegernsee. Zugegeben, es ist kein Blickwinkel von diesem hohen Riederstein hinab. Es darf auch sicherlich festgehalten werden, dass Macke alleine oder gar mit seiner hochschwangeren Frau wohl kaum auf den Riederstein gestiegen ist. Macke zeichnet den See wie einen Spiegel. Zwei Segelboote spiegeln ihre weißen Segelflächen. Und die Kunst, wie Macke durch die Nuancierung des Grüns der Bäume seinem Bild Tiefe, also Nah und Ferne gibt.... Auf der gegen-überliegenden Seeseite sieht man wie hingetupft braun-roten Dächer. Und das Mackebild strahlt jene Ruhe aus, die man heute, einhundert motorisierte Jahre später, wahrscheinlich unten am Ufer vergeblich suchen würde. In der Ruhe und Abgeschiedenheit Tegernsees explodiert förmlich Mackes lange aufgestaute schöpferische Energie. Er wird vom Zeichner zum Maler und er schreibt dazu:

    Ich bin jetzt furchtbar am Arbeiten. Das heißt, bei mir ist Arbeiten ein Durchfreuen der Natur, der Sonnenglut und der Bäume, Sträucher, Menschen, Tiere, Blumen..... Ich vertiefe mich in das freundliche Nicken des Schneeglöckchens, in den Rhythmus der mit Vögeln besetzten Zweige, die in der Sonne schaukeln; in das behäbige Lächeln rotbackiger Äpfel.

    Nussbaum: Poetische Reisenotizen, die August Macke natürlich nicht nur schreibt, auch gemalt hat. Während wir nun von hier den Abstieg, den Rückweg vom Riederstein einschlagen.... dabei sicher noch einen kalorienstarken Kaiserschmarren am Gasthaus am Galaun einplanen...muss noch etwas klar gerückt werden. Wieso August Macke und seine jung geheiratete Frau Elisabeth ihre Hochzeitsreise, von Bonn, über Bern, dann Paris, schließlich noch um einen einjährigen Tegernseeaufenthalt verlängern "müssen"?

    Am 05. Oktober 1909 findet in Bonn im engsten Familienkreis die Hochzeit statt. Die gehobene Bonner gutbürgerliche Gesellschaft könnte sich sonst an der "vorehelichen" Familiengründung des Paares stören. Die Braut ist schwanger. Die Schwiegermama ist entsetzt. So brechen die Hochzeiter über Frankfurt, Basel, Colmar, über Bern und Paris zu einer versteckten und "langen" Hochzeitsreise auf. Durch einen Zufall bekommen sie in Paris eine Einladung an den Tegernsee, wo das Paar seine erste Wohnung bezieht. Im April 1910 wird der Sohn Walter in Tegernsee geboren. Die junge Familie bleibt noch ein halbes Jahr länger am See und kehrt dann im November nach Bonn zurück.

    Nussbaum: Reisenotizen einer langen Hochzeitsreise. Und nur zur Ergänzung, August Macke porträtiert auch seinen Sohn, da ist der Kleine drei Tage alt, mit roten Apfelbäckchen. Und er notiert dazu "das schönste Bildwerk ist doch der Mensch, das Herz lacht einem.

    Und die Herzen der Kunstwelt ergötzen sich an August Mackes Aufblühen am Tegernsee,.... wo er viele Künstler, Maler und Stilrichtungen kennenlernt. Wir werden noch ein Stündchen brauchen bis wir vom Riederstein die 500 Höhenmeter abwärts und um einige Impressionen reicher- unten ankommen.