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"From Trash to Treasure"

Müll ist den Deutschen bekanntlich ein Seelenthema. In der Kunsthalle zu Kiel läuft jetzt unter dem temperamentvollen Thesentitel "From Trash to Treasure" eine Ausstellung, die die Wiederverwertung von Abfällen in der Dimension der Kunst zum Thema hat.

Von Carsten Probst |
    Kann Müll Kunst sein? Ist Kunst eigentlich nur noch Müll? Der jüngst von einer Dortmunder Reinmachefrau beseitigte Bodensatz in einem Trog, der zu einer Installation von Martin Kippenberger gehörte, verleiht der Kieler Ausstellung unverhoffte Aktualität. Aber welchen Hund locken heute eigentlich noch irgendwelche künstlerischen Müllaktionen hinter dem Ofen hervor, wenn nicht gerade eine Putzfrau wieder Hand anlegt?

    Als vor Kurzem das Aachener Ludwig Forum seine große Jubiläumsausstellung der Müllästhetik der siebziger Jahre widmete, hat es bereits unfreiwillig die Antwort auf diese Frage mitgeliefert: Keinen. Die alten Provokationen erregen als traurige museale Schaustücke inzwischen eher Mitleid. Die Ausstellung in Kiel umgeht lieber gleich jeden Versuch, auch nur im Entferntesten noch das provozierende Potenzial des Mülls in der Kunst herausfordern zu wollen und setzt lieber auf kühle, saubere Systematik. Der Müll ist hier so offensichtlich und hochheilig als hochversicherte Kunst beschriftet und ausgestellt, dass mit Sicherheit keine Kieler Putzfrau je wagen würde, ihn anzurühren.

    Immerhin, wenn man genau hinsieht in dieser Ausstellung, dann lässt sich aus dieser schön sortierten Systematik herauslesen, wie sehr sich die künstlerische Resteverwertung im Verlauf der letzten hundert Jahre verändert hat. Müll ist eben doch nicht gleich Müll, wenn er erst in die Hände von Künstlern gelangt. Kurt Schwitters "Merzzeichnungen" aus den zwanziger Jahren wirken heute durchaus wie kleinformatige Preziosen, weil wir ihn ihnen noch so etwas wie die Kompositionsprinzipien eines kubistischen Ideals wiedererkennen. Auch wenn Schwitters Zeitungsfetzen und Ähnliches übereinanderklebt, denken wir mittlerweile eher an Picasso und dessen edle Fundstückeverwertung als unbedingt an Beuys tote Hasen, denen die Kunst erklärt wird. Wenn der dänische Neoexpressionist Asger Jorn in den sechziger Jahren Salonmalereien des 19. Jahrhunderts mit gewohnt wildem Pinselstich und grellen Farben übermalt und dabei betont verunstaltete Figuren entstehen lässt, sind wir heute ebenfalls geneigt, zu denken, er habe vielleicht sogar das Ursprungsbild damit verbessert. Ja wir schauen sogar interessiert und verblüfft hin, was sich manche Künstler so einfallen lassen - wie der 1946 in Krefeld geborene Gerd Rohling, der Plastikmüll zu scheinbar edlen antiken Gefäßen ummodelliert und in Vitrinen geheimnisvoll erleuchtet präsentiert, sodass wir gar nicht glauben wollen, dass diese herrlichen Karaffen und Vasen nicht mindestens aus dem Jugendstil stammen. Oder wenn die beiden Fotografen Bruno Mouron und Pascal Rostain Müll von Prominenten auflesen und von allem Schimmligen und Abstoßenden reinigen und alles das, was übrig bleibt, zu schön gerahmten Tableaus, einer Persönlichkeitsstudie in Müll werden lassen: Die von Jack Nicholson weggeworfenen Briefumschläge, Zeitschriften, Piccolofläschen, Einladungskarten zu Partys oder die von Madonna handgeschredderten Papiere, ihre Wasserflaschen, Fast Food Verpackungen und Müsliboxen. Nicht wirklich aufregend, aber doch genug, um für einen Moment zu verstehen, was die Kunstgeschichte des Mülls eigentlich im Inneren zusammenhält. Denn nicht von ungefähr ist auch sie ein Produkt der Moderne, ähnlich wie die abstrakte Malerei und Fotografie ein Resultat der Industrialisierung und der Erfindung der Tiefenpsychologie. Die Betrachtung von Müll, von Chaos, von nicht mehr Ansehnlichem hat etwas von moderner Kaffeesatzleserei. Was unser Nachbar so wegwirft, kann im Zweifelsfall aufregender sein als jede Beuys-Installation, weil wir darin ein Stück gelebtes Leben wiederfinden, ein Stück Geschichte, ein Stück voyeuristischen Einblick in das Leben der anderen. Schon deshalb geht es heutigen Müllkünstlern offenkundig nicht mehr um Provokation, sondern um Wissenschaft. Mit Akribie hat der 1979 in Berlin lebende Philip Topolovac lauter filigrane Glas- und Porzellanobjekte aus dem Berliner Untergrund geklaubt und säuberlich aufgereiht, lauter stumme Zeitzeugen aus dem Schutt des Zweiten Weltkriegs, der allenthalben in Berliner Baugruben zum Vorschein kommt.