Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Frontalangriff auf Bezahlsender

Bisher war es für Fans internationaler TV-Serien schwierig, an das Objekt ihrer Begierde zu kommen. Umso schöner, dass immer mehr Online-Portale Serien wie "The Wire" als kostenpflichtigen Download oder Stream anbieten - oder sogar anfangen, sie selbst zu produzieren.

Von Anja Reinhardt | 22.02.2012
    Fangen wir mal an der Oberfläche an: Es gibt haufenweise Serien, die unterhaltsamer, anspruchsvoller, ambitionierter und interessanter sind als das zeitgenössische Kino.

    "An alle Einsatzkräfte, dies ist kein Schuldeingeständnis. Macht’s gut."

    Serien wie "Breaking Bad", die eine Geschichte über einen sehr weiten Bogen erzählen, die ihre Protagonisten so detailliert und ambivalent zeichnen, dass sie sich hinter fiktionaler Prominenz von Emma Bovary bis Hans Castorp nicht verstecken müssen. "The Wire", "Breaking Bad" oder "Mad Men" – die Liste wäre um ein Vielfaches ergänzbar. Den ausstrahlenden Sendern, den Produktionsfirmen und den Verleihern bringt das Punkte aufs Imagekonto, zumal "Breaking Bad" und Co. mit Preisen überhäuft werden. So weit, so verständlich. Nun leben wir in einer Welt, in der man alles, was man haben möchte, sofort bekommen will - oder zumindest sehr schnell. Mit ein paar Klicks. Nachrichten, Wetterinfos, Bücher, Musik, Kleidung und eben auch Filme oder Serien. Und ab jetzt wird es kompliziert. Es ist überhaupt kein Problem, ein paar Schuhe zu bestellen, die in einem Laden in New York stehen, es ist lächerlich einfach, sich das neue Album von M.I.A. am Erscheinungstag auf den Rechner zu laden. Aber es ist verdammt schwer, zum Beispiel an David Simons aktuelle Serie "Treme" zu kommen, und zwar legal. Simon ist auch der Autor einer der großartigsten Serien der letzten zehn Jahre: "The Wire", der sich nun mit "Treme" dem Thema Katrina, New Orleans und die Folgen, widmet.

    "Ich hab den Regen in meinen Adern, das Flutwasser in meinem Blut macht meinen Herzschlag härter. Ich rieche den Geruch von Tod und Niedergang im Wind, der mir in die Nase und unter die Haut kriecht."

    Klar, ich kann mir als Import bei einem großen Onlinekaufhaus die erste Staffel bestellen – für wahnwitzige 50 Euro. Noch einfacher wäre es ja, könnte ich den amerikanischen Bezahl-Sender HBO, der die Serie ausstrahlt, auch hier empfangen. In Polen oder Kroatien jedenfalls ist das möglich. Geht aber nicht. Ich muss darauf warten, dass sich irgendwelche Leute, die in wichtigen Positionen sitzen, mit anderen wichtigen Leuten einigen. Es wird um Beträge gefeilscht, um Ausstrahlungsrechte, um Profitmaximierung. Und: Die Intelligenz des durchschnittlichen Zuschauers wird immer noch sträflich unterschätzt, viele dieser tollen Serien werden hier erst gar nicht ausgestrahlt, weil es offenbar ein ungeschriebenes Gesetz gibt, dass der Durchschnittsdeutsche lieber "Frauentausch" oder die dreihundertste, gähnend langweilige Casting-Show sehen mag. Aber gut, wer weiß, wie lange es das Fernsehen, wie wir es kennen, überhaupt noch gibt. In den USA fangen die ersten Film-Portale mit der Eigenproduktion von Serien an, die zuerst im Netz laufen. Ein klarer Angriff auf Edelbezahlsender wie HBO an. Aktuelles Beispiel: Netflix. Der Renaissance-Kracher "Borgia" lief auf der Plattform als Erstausstrahlung, "Fight-Club"-Regisseur David Fincher und Oscar-Preisträger Kevin Spacey sind gerade für ein neues Projekt verpflichtet worden. Mit "Lilyhammer" strahlt das Unternehmen schon seine erste eigene Serie aus. Eine Geschichte um einen Ex-Mafioso im Zeugenschutzprogramm, dessen neues Zuhause der norwegische Olympiaort Lillehammer ist.

    "You must be the new neighbour!"

    Schon die Idee klingt nach sehr viel Spaß: Amerikanischer Pate aus New York in der verschneiten Einöde. Nur: Auch Netflix ist in diesem Land nicht verfügbar. Aber, das ist mal eine gute Nachricht, in "Lilyhammer" hat auch ein deutsches Unternehmen Geld investiert, eine Ausstrahlung sollte also in naher Zukunft möglich sein. Noch schöner wäre, wie gesagt, ein Zugang zum Portal selbst. Aber klar, die Sache ist kompliziert, die Musikindustrie hat es vorgemacht: Aus lauter Angst vor Raubkopien kümmert man sich erst mal um noch mehr Gesetze und macht Unternehmen, die neue Wege beschreiten, das Leben schwer. Rechteinhaber, Anbieter und Verwertungsgesellschaften liegen im Clinch, der Nutzer hat das Nachsehen. Wohin das führt, abgesehen von frustrierten Nutzern, ist klar: zu gar nichts. Zu gar nichts. Wir können das Rad der Technik nicht umdrehen, aber wir können sehr wohl neue Modelle entwickeln. Blöderweise nur fühle ich mich im Moment noch so wie die Cops der Serie "The Wire", die gegen ein undurchschaubares Polizei- und Politiksystem, gegen die Bürokratie kämpfen.

    "Fuck, fuck, fuck, fuck, fuck, fuck …"