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Frontwechsel - Der Fall Otto John

2. Das Ministerium des Innern gibt bekannt: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Dr. Otto John, hat am 20. Juli 1954 mit verantwortlichen Persönlichkeiten der Deutschen Demokratischen Republik eine Aussprache im demokratischen Sektor von Berlin geführt.

Von Ed Stuhler | 20.07.2004
    Also, ich bin hierher gekommen, weil mir in allererster Linie die Wiedervereinigung Deutschlands am Herzen liegt, weil ich in der Bundesrepublik den Eindruck bekommen habe, dass man immer mehr dazu gekommen ist, … die Deutschen im Osten einfach abzuschreiben und wirklich nicht mehr gewillt ist, etwas für die Wiedervereinigung zu tun.

    Am Abend des 20. Juli 1954 taucht Otto John, Präsident der Bundesamtes für Verfassungsschutz, plötzlich und unerwartet im Ostteil Berlins auf. Ebenso plötzlich verschwindet er fünfzehn Monate später wieder aus der DDR. Die schockierte Staatssicherheit diktiert der DDR-Nachrichtenagentur ADN eine Meldung:

    Herr Dr. John, ehemaliger Präsident des Bonner Amtes für Verfassungsschutz, dem am 20. Juli 1954 Asylrecht in der Deutschen Demokratischen Republik gewährt wurde, hat die DDR verlassen.

    Schnell findet man eine Formulierung, um den herben Verlust zu erklären:

    Dr. John hatte sich schon wiederholt dahingehend geäußert, er gedenke in Westdeutschland den Kampf gegen den Neo-Faschismus zu führen.

    Was so alltäglich klingen soll, ist in Wirklichkeit eines der spektakulärsten und mysteriösesten Vorkommnisse in der Geschichte der beiden deutschen Staaten: Der doppelte Frontwechsel eines Geheimdienstchefs.
    Wer war dieser Otto John?

    Der am 19. März 1909 geboren Sohn aus bürgerlichem Hause studiert Jura und wird 1937 in Berlin als Rechtsanwalt zugelassen. Bereits vor dem Krieg hat er Kontakt zum Widerstand gegen Hitler. Im Auftrag Stauffenbergs nimmt er Verbindung zu den Briten auf. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 gelingt es ihm, sich nach Madrid abzusetzen. Während sein Bruder Hans von den Nazis in Berlin-Plötzensee hingerichtet wird, kann Otto John mit Hilfe von Freunden nach England weiter fliehen. Nach dem Krieg ist er als Gutachter, Zeuge und Dolmetscher in Kriegsverbrecherprozessen tätig. Dies bringt ihm nicht nur Anerkennung ein, sondern in bestimmten Kreisen auch den Ruf eines Verräters. Bis zum Jahre 1950 bleibt er in London als Rechtsanwalt tätig.

    Zum obersten Verfassungsschützer avanciert John 1950, vor allem, weil er die Unterstützung der Briten genießt. Die wollen ein Gegengewicht zur rein amerikanischen Organisation Gehlen, dem späteren Bundesnachrichtendienst. Reinhard Gehlen selbst ist, auch aus Konkurrenzgründen, einer seiner erbittertsten Gegner.

    Die Remilitarisierung der Bundesrepublik ist im Amt Blank und in der Organisation Gehlen verkörpert.

    … sagt Otto John drei Wochen nach seinem Übertritt auf einer internationalen Pressekonferenz, die vom Ausschusses für deutsche Einheit veranstaltet und von dessen Sekretär Wilhelm Girnus geleitet wird:

    Das Amt Blank und die Organisation Gehlen beschäftigen in ihren großen Mitarbeiterstäben SD- und SS-Führer, die über deutsche Widerstandskämpfer zu Gericht gesessen oder diese einfach umgebracht haben. Im Amt Blank und in der Organisation Gehlen werden alle die beherbergt, die mit Hitler bis zum bitteren Ende gekämpft haben. … Widerstandskämpfer sind in diesen Reihen als Eidbrecher verfemt.

    Für die junge Bundesrepublik ist der Übertritt ihres Geheimdienstchefs eine herbe Niederlage im Kampf der Systeme. Doch Bundeskanzler Adenauer wiegelt ab:

    Lange, meine Zuhörer und Zuhörerinnen, hat nichts mehr so die Öffentlichkeit in Deutschland beschäftigt, wie der Fall John. Der Übergang des Präsidenten des Verfassungsschutzes der Bundesrepublik in die Sowjetzone ist erschreckend, aber ich bitte, meine Zuhörer und Zuhörerinnen, davon überzeugt zu sein, dass der Schaden, den er anrichten kann, nicht so groß ist, wie es sich mancher zunächst gedacht hat.

    Und Bundesinnenminister Gerhard Schröder beeilt sich zu erklären:

    Die Tatsachen … und weiteres wichtiges Material, über das ich, wie sie verstehen werden, wegen der laufenden Ermittlungen noch nichts sagen kann, sprechen nicht dafür, dass Dr. John in verräterischer Absicht die Sektorengrenze nach Ostberlin überschritten hat. … Es spricht manches dafür, dass Dr. John durch eine List … über die Sektorengrenze gelockt worden ist.

    Also eine Entführung? Schlüsselfigur, so Schröder, sei der Westberliner Arzt Dr. Wolfgang Wohlgemuth, von der Presse oft als Nachfolger von Hitlers Leibarzt Morell bezeichnet, weil er nach dem Krieg dessen Praxis übernommen hat. Der Bundesinnenminister:

    "Mit Dr. Wohlgemuth stand Dr. John seit dem Jahre 1942 in engerer Verbindung. Der Bruder Johns, Hans John; lag damals mit einer schweren Verwundung in der Berliner Charité. Die Behandlung leitete Professor Sauerbruch. Dr. Wohlgemuth, damals dessen Assistent, bemühte sich in aufopfernder Weise. … Dr. John hielt Dr. Wohlgemuth für einen besonders befähigten Arzt, dessen kommunistische Ideen sah er als "edelkommunistisch" an und nahm sie nicht ernst.

    John weiß nicht, dass sein Freund Wohlgemuth für den sowjetischen Geheimdienstes arbeitet. Fest steht, dass John am Abend des 20 Juli die Praxis Wohlgemuths aufsucht. Mit dem PKW des Arztes fahren sie gegen 20.30 Uhr in den Ostteil der Stadt. Ein Zollbeamter, der den Wagen gegen 21.00 Uhr kontrolliert, wird später aussagen, dass er die Wageninsassen, die als Ziel die Charité angaben, darauf aufmerksam gemacht hätte, dass sie jetzt in den Ostsektor führen. Darauf hätte er zur Antwort bekommen: Da wollen wir ja hin.

    Unmittelbarer Auslöser für Johns Fahrt über die Sektorengrenze war wohl seine Teilnahme an der hoch emotionalen Gedenkfeier zum 10. Jahrestag des Attentats auf Hitler in Plötzensee. Augenzeugen berichten, dass John bei dieser Veranstaltung überaus bewegt gewesen sei und laut schluchzte. Anzunehmen ist, dass der Grund dafür nicht allein die Trauer um den hingerichteten Bruder, sondern vor allem die Sorge über die Entwicklung in Deutschland war. Vier Tage später wird er im Ostberliner Rundfunk erklären:

    An meine deutschen Mitbürger: Deutschland ist in Gefahr, durch die Auseinandersetzungen zwischen West und Ost auf ewig zerrissen zu werden. Es bedarf einer demonstrativen Aktion, um alle Deutschen zum Einsatz für die Wiedervereinigung aufzurufen. Deshalb habe ich am Jahrestag des 20. Juli einen entschlossenen Schritt getan und die Verbindung mit den Deutschen im Osten aufgenommen.

    Und in einer weiteren Rundfunkerklärung am 28. Juli:

    Es genügt nicht mehr, nur zu warnen, sondern es muss gehandelt werden. Ich bin der Stimme meines Gewissens gefolgt und überzeugt, dass ich den richtigen Weg gewählt habe.

    Außerdem befürchtet John, sein Amt zu verlieren:

    In der Bundesrepublik ist mir die Grundlage für eine politische Aktivität entzogen worden. Nachdem ich in meinem Amt fortgesetzt von den sich überall im politischen und auch im öffentlichen Leben wieder regenden Nazis angeprangert worden bin. Hat nunmehr der Herr Bundesinnenminister mir die weitere Arbeit in meinem Amt unmöglich gemacht, indem er vor der Presse erklärte, dass man nach Erlangung der Souveränität freie Hand und die Möglichkeit haben werde, "Persönlichkeiten mit Verfassungsschutzaufgaben zu betrauen, die wirklich über alle Zweifel erhaben sind.

    Gute Freunde hatten John darauf hingewiesen, dass nur er mit dieser Meinungsäußerung Schröders gemeint sein könne. "Es ist in der Bundesrepublik längst keine Empfehlung mehr," stellt er nun bitter fest, "sich als Verfolgter des Naziregimes oder gar als Widerstandskämpfer auszuweisen".

    Die deutsche Teilung ist zu diesem Zeitpunkt schon weit fortgeschritten, scheint aber noch nicht unumkehrbar zu sein. John ist überzeugt davon, dass Adenauers Politik der Anbindung an Westeuropa eine Wiedervereinigung in weite Ferne rücken wird:

    Ich stehe hier, weil mich die Sorge um das Schicksal des deutschen Volkes bewegt. Ich habe mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, in die DDR zu gehen und hier zu bleiben, weil ich hier die besten Möglichkeiten sehe, für die Wiedervereinigung Deutschlands und gegen die Bedrohung durch einen neuen Krieg tätig zu sein.

    Sagt John auf der internationalen Pressekonferenz. Und auf Nachfrage eines Journalisten antwortet er, spontan und offensichtlich von niemandem beeinflusst:

    Ich bin der Überzeugung, dass ich diesen Kampf in Deutschland aufnehmen musste und dass es hier eine Basis dafür gibt. Und dass ich damit, wenn ich einen demonstrativen Schritt nach Osten tue und mich selbst mitten in diese gefürchtete bolschewistische Welt begebe, dass ich dadurch den Menschen am überzeugendsten klarmachen kann, dass man auch mit dem Osten zusammenleben kann.

    Der Staatssicherheitsdienst der DDR hat den Fall John in 24 dickleibigen Bänden auf das Genaueste dokumentiert. Nirgends taucht auch nur der geringste Hinweis auf, dass John nicht freiwillig in den Osten gekommen ist. Auch nicht darauf, dass es vorher irgendwelche Absprachen gegeben hätte. Ganz im Gegenteil, die Genossen Tschekisten sind aufs höchste überrascht über diesen unerhofften Fang und halten am 21. Juli um 11.45 Uhr in einer Geheiminformation, die nur in sechs Exemplaren ausgefertigt wird und offensichtlich der Information des engsten Führungszirkels dient, fest:

    Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Herr Dr. Otto John, hat am 20. Juli im Anschluss an die Heuß-Rede anlässlich des 10. Jahrestages des 20. Juli 1944 mit verantwortlichen Persönlichkeiten der DDR eine Aussprache im demokratischen Sektor geführt. … Das Staatssekretariat für Staatssicherheit untersucht zur Zeit die näheren Beweggründe, die Herrn John veranlasst haben, mit Vertretern der Staatsmacht der DDR Verbindung aufzunehmen.

    Am 27. Juli erarbeitet die Staatssicherheit in aller Eile "operative Schlussfolgerungen". Der Fall John sei:

    Ausdruck des Bankrotts der Politik der Stärke, zeugt von zunehmender Zersetzung im Lager des Imperialismus und vom Gegensatz zwischen den Engländern und Amerikanern.

    Als politische Aufgabe wird die Verschärfung der Gegensätze im westlichen Lager durch die politischen Erklärungen von John formuliert. Dass Otto John nicht bereit ist, Geheimnisse irgendwelcher Art zu verraten, muss den Genossen Tschekisten zu diesem Zeitpunkt schon klar gewesen sein. Sie formulieren diese Hoffnung nicht einmal in ihren "operativen Schlussfolgerungen". Tatsächlich ist John ohne irgendwelche Unterlagen oder Aufzeichnungen in die DDR gekommen. Selbst sein Notizbuch hat er in Westberlin gelassen. Er bekommt den Decknamen "Keller". Der Staatssicherheitsdienst führt verschiedene Befragungen durch, so zum Stand des KPD-Verbotsverfahrens, zu seiner Reise in die USA im Juni 54 und zur Organisation Gehlen. Die Ergebnisse sind sehr dürftig, wie die erhaltenen Protokolle zeigen:

    Auf die Frage, was ihm über die Versuche der westlichen Spionageorganisationen, einen der leitenden Funktionäre der DDR oder der SED zum Übergang nach dem Westen oder zum Verrat zu gewinnen, bekannt sei, erklärte "KELLER" am 23.9.54, dass ihm keinerlei Maßnahmen dieser Art bekannt seien.

    In Vorbereitung seiner öffentlichen Erklärungen notiert John:

    Aus dem Verhalten der Bundesregierung und der Geheimorganisationen … ist klar zu erkennen, dass man dort in großer Sorge über das Schicksal der Agenten ist. Das ist jedoch nicht meine Sorge. Meine Sorge betrifft das Schicksal des deutschen Volkes, die Frage der nationalen Existenz des deutschen Volkes.

    John nennt keine Namen. "France Presse" berichtet am 6. August über eine Geheimsitzung aller leitenden Beamten der Verfassungsschutzämter und der alliierten Geheimdienste:

    Die westliche Abwehr hat festgestellt, dass einige ihrer Mitarbeiter in der Sowjetzone durch die propagandistische Auswertung des Falles John in der Sowjetzone geglaubt hätten, John würde nun auspacken und ihre Namen preisgeben. Als sie in nervöser Eile ihre Flucht in den Westen vorbereitet hätten, seien sie durch eigene Unvorsichtigkeit in das SSD-Netz gegangen. John selbst hat damit nichts zu tun, da er vor seinem Übertritt alle wichtigen Geheimpapiere zurückgelassen habe und auch keine Informationen über die in Mitteldeutschland arbeitenden Agenten eingeholt habe, wozu er zweifellos die Möglichkeit gehabt hätte.

    Die Betreuung "Kellers" übernimmt die Hauptabteilung V des Staatssicherheitsdienstes, Leiter: Bruno Beater. Es wird vorgeschlagen:

    J. im Ausschuss deutscher Einheit ein Büro zur Verfügung zu stellen, damit er sich dienstlich gebunden fühlt und arbeitsmäßig glaubt, einen festen Stand zu haben. … Dazu wird ihm eine Sekretärin (von uns) … zur Verfügung gestellt. Ebenfalls muss der Ausschuss deutscher Einheit eine Schreibmaschine und Schreibmaschinentisch sowie Schreibmaterial ihm stellen (das sieht arbeitsmäßig besser aus). Ausschuss deutscher Einheit hat auch die finanzielle Seite zu erledigen, diese Summe darf nicht unter 2500.—Mark monatlich liegen.

    Sekretär des "Ausschusses für deutsche Einheit" ist das spätere Politbüromitglied Prof. Albert Norden. Der Ausschuss ist das Gegenstück zum westdeutschen Ministerium für innerdeutsche Beziehungen. Später wird er im Staatssekretariat für gesamtdeutsche Fragen aufgehen..

    Auf Weisung von Generalleutnant Erich Mielke wird Otto John im November 1954 nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern auch ein Dienst-Mercedes und ein Haus in Berlin-Schmöckwitz "mit direktem Zugang zum Wasser" zur Verfügung gestellt. Es ist, wie die Tschekisten erfreut festhalten, nur ca. 24 km von der Stasizentrale entfernt.

    Es wird vorgeschlagen, ein Ehebar...

    ...Beater buchstabiert Paar tatsächlich mit B, A, R...

    ..., die beide Angestellte des Staatssicherheitsdienstes sind, in der oberen Wohnung einziehen zu lassen.

    Johns ständige Begleiter, Sekretärin, Haushälterin, Fahrer – es sind alles treue Tschekisten.

    Neben dem Zimmer des John wird das Zimmer des ständigen Begleiters eingerichtet, das mit Sicherheitsschlüssel besonders gesichert in einem Panzerschrank fest eingebaut eine Abhöreinrichtung enthält, die von dem Begleiter während der Dienstzeit des John bedient wird. … Die gleiche Anlage wird auch im Wohnhaus des John und in seinem Wagen eingebaut.

    Doch all diese Maßnahmen, stellt Beater abschließend fest, seinen nicht geeignet, John, falls er diesen Plan hegt, an einem freiwilligen Absetzen nach dem Westen zu hindern.

    Keller will auf keinen Fall auf lange Zeit abgeschieden leben, sondern im Gegenteil am öffentlichen Leben teilnehmen, Veranstaltungen besuchen, mit vielen Menschen zusammenkommen.

    Er reist herum und hält Vorträge, unter anderem in Gera, Schwerin, Wolfen, Leipzig, Arnstadt, Altenburg. Seine Bewachung erweist sich zunehmend als schwierig, wie in den täglichen Berichten seiner Begleiter nachzulesen ist. Im Juni 1955 fährt John nach Weimar, um an den Feierlichkeiten zum 150. Todestag Friedrich Schillers teilzunehmen. Sein Bewacher, Unterleutnant Herbert Bauch, berichtet über ein Vorkommnis an der Rezeption des Hotels "Elephant":

    Als ich fragte, ob es möglich ist, dass der Fahrer mit hier schlafen kann, sagte "Keller" zu der Dame, dass wir seine Begleiter von der Staatssicherheit sind. Es war so leise gesprochen, dass ich es gerade noch hören konnte. … Nach dem Theater saß Keller im Cafe zirka 2 Stunden mit dem Journalisten (Name geschwärzt) zusammen.

    Es ist ein Journalist aus der Bundesrepublik. Er heißt Karl Wittig und bezeichnet sich selbst als Nachrichtenhändler. In der Pfingstausgabe der Frankfurter "Abendpost" veröffentlicht er sein Interview und zitiert John wie folgt:

    Ich bin seit längerer Zeit ohne Begleitung und kann mich innerhalb der DDR frei bewegen. … Niemand würde mich daran hindern, wenn ich jetzt mit Ihnen zusammen in die Bundesrepublik zurückkehren würde.

    Otto John sagt nicht die Wahrheit. In Wirklichkeit weiß er, dass er ständig überwacht wird und hat dies gründlich satt. Dazu kommt eine gewisse Desillusionierung. Er muss feststellen, dass auch in der jungen DDR ehemalige Nazis Führungspositionen bekleiden. Sein seelischer Zustand ist labil. Immer deutlicher, und oft unter dem Einfluss von Alkohol, äußert er die Absicht, die DDR wieder zu verlassen. Einen Tag nach seiner erneuten Flucht in den Westen wird Erich Mielke konstatieren:

    Seine Stimmung war denkbar schlecht, er protestierte gegen die ständige Begleitung.

    Im November startet der Staatssicherheitsdienst einen letzten Versuch, John zu halten. Es soll unter seiner aktiven oder passiven Mithilfe ein Film über den Fall John gedreht werden. Mielke schreibt an Walter Ulbricht:

    Die Ausarbeitung des Drehbuches würde Dr. John stark in Anspruch nehmen und er dadurch in seinem Selbstvertrauen gestärkt und seine schwankende Haltung zum Teil behoben werden. Ein solcher Film würde auch dazu beitragen, Dr. John fester an die DDR zu binden, wenngleich das natürlich nur relativ ist.

    Sehr relativ. Mit Hilfe eines dänischen Journalisten trickst John seine Bewacher am 12. Dezember 1955 aus, lässt sich nach Westberlin fahren und von dort sofort in die Bundesrepublik ausfliegen. Hier stellt er sich der Bundeskriminalpolizei.
    Von diesem Tage an wird Otto John behaupten, von Dr. Wohlgemuth unter Drogen gesetzt und in die DDR entführt worden zu sein:

    Es geht mir einfach darum, dass festgestellt wird vom Gericht: Ich bin nicht freiwillig zum Osten übergegangen.

    Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe glaubt ihm nicht und verurteilt ihn am 22. Dezember 1956 wegen Landesverrats zu vier Jahren Zuchthaus. Am 25. Juli 1958 wird er vorzeitig aus der Haft entlassen.

    Im gleichen Jahr wird Wolfgang Wohlgemuth in Westberlin festgenommen und unter Anklage gestellt. Der Prozess endet mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen.
    Otto John versucht mehrmals eine Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erreichen. Bis zu seinem Tod 1997 wird er um seine Rehabilitierung kämpfen - erfolglos.