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Froschregen, Kugelblitze und Jahrhunderthagel

Im Jahre 1981 war die Revolution zuende. Das für den Überbau zuständige Organ "Kursbuch" widmete sich dem Wetter. Draußen tobte die Nachrüstungsdebatte, und die irritierten Kritiker verstanden das Zeichen sehr wohl - aber keinen Spaß. Sie attestierten der Themenwahl kontra-intelligente Blödsinnigkeit und sahen das Ende kritischer Publizistik angebrochen. Wie man sieht, hat das Wetter keinen guten Ruf im deutschen Feuilleton. Man hält es da mit dem berühmten Bundesbahn-Slogan: "Alle reden vom Wetter, wir nicht." Dabei möge mal einer erklären, warum politische Umbrüche unter lausigen Witterungsverhältnissen im November glücken, während die Frühjahrsaufstände seit zweihundert Jahren fehlschlagen? Auch im erwähnten "Kursbuch" von 1981 war das kein Thema - aber da wußte man ja noch nichts von der nächsten Novemberrevolution.

Florian Felix Weyh |
    Bei den Briten ist alles ganz anders. In den Leserbriefspalten der "Times" spielt das Wetter eine herausragende Rolle, und so absurde Fragen, ob es am Vortag im Südwesten Londons Kröten und Frösche geregnet habe, werden mit gebührendem Ernst erörtert. In einem Land, dessen Witterungsbedingungen das Leben in Häusern zwingend nahelegen, findet niemand etwas dabei, meteorologische Debatten den literarischen oder philosophischen ebenbürtig zu halten. Es ist intellektuell nicht ehrenrührig, sich damit zu beschäftigen, und das tut der Wissenschaftsjournalist Paul Simons nun schon seit Jahren. Seine unterhaltsame Studie "Froschregen, Kugelblitze und Jahrhunderthagel" klärt schon im Titel auf, daß vom Himmel fallende Amphibien niemanden beunruhigen sollten. Wer sein schützendes Dach überm Kopf verläßt, unterläuft der Gefahr, folgendem Bombardement ausgesetzt zu werden: Fröschen, Kröten, Fischen, Samen, Muscheln, Nüssen, Maden, Quallen und Kohlebrocken. Für die Fischfreunde seien die Arten spezifiziert. Es handelt sich um Flundern, Stichlinge, Elrizen, Flußbarsche, Großaugen und Alsen. Der technische Debakel gewohnte Mensch greift natürlich zur Flugzeughypothese - eine Ladeluke, die sich unbemerkt geöffnet habe -, aber das Phänomen ist viel älter als die Luftfahrt. Wind- und Wasserhosen sind dafür verantwortlich, lokale Luftwirbel, deren Unterdruck ganze Teiche aussaugen und in die Höhe schleudern kann. Die Angst der Gallier rund um Asterix, ihnen könne der Himmel auf den Kopf fallen, gehört also weniger ins Reich der Fabeln als der restliche Comic.

    Paul Simons Buch ist ein herrliches Sammelsurium der Wetterkuriositäten, das vielen übersinnlichen Phänomenen den Wind aus den Segeln nimmt. Was Wolken, Blitze und Luftelektrizität an Trugbildern erzeugen, kann von Unkundigen für alles gehalten werden, vom UFO bis zu Nessie. Wasserhosen etwa, deren bildlicher Name schon ihre Gestalt verrät, erzeugen die langen Hälse der legendären Seeungeheuer und Seeschlangen. Der "Fliegende Holländer" war eine Luftspiegelung und die hollywoodreifen Lichtsäulen, in denen UFO's auf die Erde schweben, beruhen auf Eiskristallen, die in den Wolken wie kleine Scheinwerfer wirken. Auf fast jeder Seite lernt man etwas, und weil es so verblüfft, behält man es auch gleich. Simons Buch ist eines jener vom Aussterben bedrohten naturkundlichen Werke, die Lust auf eigene Beobachtungen machen. Leider verwendet der Verlag stark hygroskopisches Papier, man sollte das Buch in Plastik hüllen, bevor man ins Freie geht. Und dann ist es durchaus ratsam, nicht jede Wetterlage als Ansporn für den eigenen Forscherdrang zu nehmen. Denn Paul Simons verschweigt durchaus nicht die destruktive Kraft von Gewittern, Stürmen und Flutwellen. Diesen tobenden Gewalten ist der schwache menschliche Leib nicht mal sekundenlang gewachsen, und jede Hochnäsigkeit gegenüber den Elementen rächt sich auf dem Fuß. Das Oderhochwasser wird kein Einzelfall bleiben.

    In diesem Sinne ist "Froschregen, Kugelblitze und Jahrhunderthagel" ein gelungenes memento mori ohne erhobenen Zeigefinger. Daß es sich auf britische Verhältnisse bezieht, stört dabei weniger als die manchmal überdeutlichen Stilanleihen ans "Guiness' Buch der Rekorde"; man muß nicht wissen, daß die größte Schneeflocke aller Zeiten 38x20 Zentimeter maß und eine durchschnittliche Wolke zehn Minuten alt wird. Wirklich ärgerlich hingegen die Sparsamkeit des Verlages bei den Abbildungen. Schlechte Schwarzweißfotos verhüllen oft mehr vom erwähnten Phänomen, als sie zeigen sollen; Farbtafeln wären unbedingt angebracht gewesen. Eines der bizarrsten Wettereignisse trug sich erst nach Abschluß des Buches zu. Im November 1996 brannten in Holland hunderte von Kaffeemaschinen durch. Ein extrem niedriger Luftdruck hatte den Siedepunkt des Wasser gesenkt und die Überhitzungs-Sicherungen gaben ihren Geist auf. Also: Erst aufs Barometer schauen, dann die Kaffeemaschine einschalten.