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Früh erlernte Reaktion

Medizin. - Allergien sind auf dem Vormarsch - immer mehr Personen überreagieren gegen an sich harmlose Stoffe. Warum der Körper plötzlich so heftig auf unverfängliche Dinge wie Tierhaare, Pflanzenpollen oder Obst reagiert, ist Forschern weiterhin ein weitgehendes Rätsel. Mediziner sehen vor allem zwei Faktoren verantwortlich für die steigende Zahl an Allergien: Umwelteinflüsse sowie erbliche Dispositionen. Besondere Brisanz erhält das Thema in einer Schwangerschaft. In Weimar diskutieren seit Samstag rund 150 Experten auf einer Tagung Bedeutung und Probleme des Immunsystems in der Schwangerschaft.

09.09.2002
    Allergiker besitzen möglicherweise häufiger eine verhängnisvolle Übereinstimmung mit ihren Müttern als mit ihren Vätern. "Diese Daten wurden von einer Arbeitsgruppe in Marburg vorgestellt, die bereits seit einigen Jahren an diesem Thema arbeitet. Die Gruppe um Udo Herz stellte dabei fest, dass sich eine Allergie stärker von einer Mutter auf das Kind überträgt als vom Vater", berichtet Udo Markert von der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Universität Jena und Ausrichter der Tagung "Schwangerschaft und Allergie". Bislang hatten Forscher angenommen, das es sich bei der Weitergabe von Allergien an Nachkommen um ein normales erbliches Geschehen handele. Dann aber müssten Väter ebenso häufig wie Mütter ihre Hypersensibilität gegenüber bestimmten Substanzen an die Kinder weitergeben. Dem widersprächen aber die neuen Daten, so Markert.

    Ein Allergieschub wird von einer ausgeprägten Immunreaktion begleitet, bei der zahlreiche verschiedene Prozesse stattfinden. Erkennt das Immunsystem eine Substanz als fremd, reagiert es mit der Freisetzung von speziellen Botenstoffen, so genannten Interleukinen. Dies kann an den Schleimhäuten, aber auch an vielen anderen Orten im Körper, etwa im Kreislaufsystem, geschehen. "Offenbar können sich diese Botenstoffe auch über die Plazenta übertragen oder dort zumindest ein Milieu schaffen, das den Fetus so weit prägt, dass er später eine verstärkte Neigung zu Allergien zeigt", so Markert weiter. Dabei seien die späteren Allergien des Kindes nicht zwangsläufig dieselben wie bei der Mutter - vielmehr erwerbe das Kind eine generelle Neigung für die Entwicklung einer allergischen Erkrankung. "Selbst wenn die Mutter während der Schwangerschaft einen allergischen Schub erlebt, so lässt sich daraus nicht zwangsläufig ableiten, dass das Kind ebenso allergisch sein muss. Allerdings zeigten Tierversuche, dass eben bei allergischen Müttern, die einen Reaktionsschub in der Schwangerschaft erlebten, das Risiko für Allergien bei den Nachkommen erhöht ist."

    Im nächsten Schritt sei jetzt die Bedeutung der Plazenta, die Mutter und Kind während der Schwangerschaft gleichermaßen trennt wie verbindet, während allergischer Situationen weiter zu klären, so der Immunologe. "Die Plazenta selbst ist voll von immunaktiven Zellen. Nach der Geburt spannen wir den Mutterkuchen in ein besonderes Durchflussgerät und simulieren daran die beiden Kreisläufe von Mutter und Kind. Wir können so herausfinden, welche Substanzen über die Plazenta übertreten können und welche nicht." Vorerst rät der Experte betroffenen Müttern, in der Schwangerschaft möglichst schwere allergische Schübe zu vermeiden.

    [Quelle: Gerd Pasch]