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Frühe Aufnahmen von Diane Arbus in New York
Die Frau mit der Kamera

Als die Kuratoren des New Yorker Metropolitan Museum 2007 das Fotoarchiv von Diane Arbus übernahmen, waren sie überrascht, denn die meisten dieser Arbeiten waren unbekannt. Fast die Hälfte war zwischen 1956 und 1962 entstanden. Das Met Breuer zeigt erstmals Aufnahmen aus dieser Zeit: „diane arbus: in the beginning“ heißt die Ausstellung.

Von Sacha Verna |
    Als Diane Arbus 1956 eine Rolle Film mit "Nummer 1" beschriftete, fing sie neu, aber nicht von vorne an. Sie war 33 und hatte bereits ein Jahrzehnt als erfolgreiche Modefotografin hinter sich. Nun wollte sie hinaus aus dem Hochglanz-Palast von Vogue und Harper’s Bazaar auf die Strasse. Dort war es, als hätte sie nie etwas anderes fotografiert. Kinder an New Yorks Lower East Side, Damen beim Schaufenster-Gucken an der Fifth Avenue, Zirkusartisten auf Coney Island: Diane Arbus fand die Motive und Kulissen auf Anhieb, die man heute mit ihr als Ikone der sogenannten "Streetphotography" assoziiert.
    Fast hundert neu entdeckte Aufnahmen
    Umso erstaunlicher ist es, dass die meisten Arbeiten aus den ersten sieben Jahren ihrer zweiten Karriere bisher unpubliziert geblieben und viele davon noch nie ausgestellt worden sind. Das gilt für über drei Viertel der rund hundert Aufnahmen, die das Met Breuer jetzt präsentiert. Kurator Jeff Rosenheim: "Diese Bilder wurden erst Jahre nach ihrem Tod 1971 in Schachteln in ihrer Dunkelkammer an der Charles Street im West Village entdeckt und inventarisiert."
    Hinzu kommt, dass der Katalog zur Retrospektive, die das Museum of Modern Art auf Diane Arbus 1972 veranstaltete, lediglich Bilder aus der Zeit nach 1962 enthielt. Das sind die Aufnahmen im berühmt gewordenen Arbus-Format von vierzig mal vierzig Zentimetern. Die Fotografien in dieser Ausstellung haben dagegen alle möglichen Grössen und wirken dadurch weniger programmatisch: Ein Mädchen, das am Rand des Bürgersteigs auf den Schulbus wartet, ein altes Ehepaar auf einer Parkbank, ein jüngeres, das streitend durch ein Vergnügungsviertel läuft.
    Von Zeitgenossen wie Walker Evans, Helen Levitt und Lee Friedlander unterschied sich Diane Arbus weniger durch das, was, als dadurch, wie sie fotografierte.
    "Alle diese Künstler versuchten, die Welt zu zeigen, aber sie nicht zu beeinflussen. Auf dieser Idee basiert die 'Streetphotography'. Diane Arbus hingegen wollte die Welt beeinflussen. Häufig wartete sie, bis ihre Sujets Blickkontakt mit ihr aufnahmen."
    Zufällige Motive erscheinen wie eine Inszenierung
    Die Entwicklung dieser Herangehensweise wird in dieser Ausstellung erkennbar. Ein Taxifahrer starrt durchs Fenster seines Wagens direkt in die Kamera. Ebenso ein Barbier durch die Glastür seines Geschäfts und ein Obdachloser, der demonstrativ eine Dollarnote hochhebt. Auch wo die Motive zufällig scheinen, haben die Aufnahmen etwas Inszeniertes an sich. Ein Kuss auf einer Kinoleinwand, ein kleiner Mann, der einer Matrone an einem Strassenfest in den Busen beisst.
    Die Exzentrik, das leicht Überdrehte vieler ihrer Fotografien, hat Diane Arbus manche Kritik eingebracht. Ihre Motive dominieren den Bildausschnitt, während in den Aufnahmen eines Garry Winogrand oder in denen eines Robert Frank die Motive sich oft erst aus dem gewählten Bildausschnitt heraus ergeben.
    Fotografien sind Übertragungen der Wirklichkeit. Diese Ausstellung zeigt, dass Diane Arbus’ Interpretationen ihrer Umwelt an Gültigkeit gewinnen, je konsequenter sie sich ihrer Methode bediente. Die Filmrolle, die sie einst mit "Nummer 1" beschriftete, stellte tatsächlich den Beginn einer neuen und immer wieder überraschenden Bildsprache dar.