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Frühe Frucht einer Italienreise

Was das Alter betrifft, da gibt es einen Durchschnittsmaßstab, also unseren, und den Geniemaßstab: Der 14-jährige Mozart etwa hatte schon mehr als eine Oper komponiert, als er in Mailand den Durchbruch gegen alle Sänger- und Musikerintrigen schaffte: mit der Oper Mitridate, uraufgeführt am 2. Weihnachtstag 1770 im Teatro Regio Ducale. Mitridate ist heuer die 2. Premiere der Salzburger Festspiele, in der Regie von Günther Krämer, Marc Minkowski dirigiert die Musiciens du Louvre aus Grenoble.

von Frieder Reininghaus |
    Im Salzburger Residenzhof läßt sich durchaus Theater spielen. Brilliante oder sogar fast geniale Produktionen haben hier stattgefunden wie Herbert Wernickes Inszenierung des Gluckschen "Orfeo". Doch wenn sich einen vollen Sonnentag lang die Wärme unter dem Zeltdach aufstaut und selbst nach 20 Uhr das Thermometer noch knapp unter 40° steht, dann wird die Wahrnehmungsmöglichkeit der Zuschauer doch erheblich eingeschränkt.

    Das Kleine Festspielhaus, in dem "Mitridate" in früheren Jahren anberaumt wurde, steht nicht mehr zu Verfügung. Es wurde aus dem Gebäudekomplex herausgebrochen. In der Lücke entsteht ein "Haus für Mozart", das derzeit als Betonkern den Charme einer frisch eingeweihten Bedürfnisanstalt an der Autobahn versprüht. Aber bis zum kommenden Sommer, wenn das Superjubiläum des 250. Komponistengeburtstags zum Feiern ansteht, soll das kleine Wunder dann doch noch vollbracht, die neue Musik-Abfüllstation einsatzfähig werden.

    Im Residenzhof engagierte sich jetzt Marc Minkowski, gestützt auf seine Musiker aus Grenoble, mit Leib und Seele für das Jugendwerk des vierzehnjährigen Mozart, das eine frappierende Professionalität aufweist und die Handlung von Jean Racine mit intensivstem Ernst in eine Musikform brachte, in der verschiedene Einflüsse zu etwas bereits sehr Eigenem verschmolzen: Mithridates VI., König eines Reichs an der Nordküste des Schwarzen Meers um die Wende zum 1. Jahrhundert v.Chr., führte sein Leben lang einen entschiedenen Kampf gegen die römische Hegemonie auch über Vorderasien; nach dem für ihn ungünstigen Ausgang einer der vielen Schlachten ließ er die Nachricht verbreiten, er sei gefallen – um seine Söhne und die in Ninfea zurückgelassene junge Braut auf die Probe zu stellen.

    In der Tat nutzten der offen machtgierige Farnace – so das Opern-Libretto von Giuseppe Parini – und der subtil-verschlagene Sifare die Situation des Machtvakuums nicht nur für einen handfesten Erbstreit, sondern insbesondere auch zur mehr oder minder erfolgreichen Belagerung der schönen Prinzessin Aspasia, die sich doch für den alten Mitridate hätte frisch halten sollen. Und dann kommt der König zurück, der ja nicht nur ein tyrannischer Vater, sondern überhaupt ein asiatischer Despot ist und mit Härte durchgreift.

    Günter Krämers Inszenierung bezieht sich zunächst auf das Entstehungsjahr 1770 der Oper: Zur Sinfonia tritt eine Phalanx von Höflingen in roten Uniformen auf einen schmalen Grat – alle ausgestattet mit gläsernen Augen ("Glotzböbbeln", wie man auf Schwäbisch sagt). Sie erklimmen die Vorderkante von Jürgen Bäckmanns Bühneninstallation über eine schräge Ebene, die von den Zuschauern vermittels eines schräg montierten Riesenspiegels einsichtig ist; auf diesem torfbedeckten Abhang gleiten sie dann auch wieder in die Tiefe, kommentieren pantomimisch einige Aspekte der statischen Handlung; und dort wird am Schluß auch der König, der mit seinem Großversuch scheiterte, sein Leben enden. Im übrigen spielt die private wie politische Intrige auf einem schmalen Korridor vor einer glatten hellen Fläche, aus der sich einzelne Segmente als Türen herausdrehen und dann Durchblick in Palast-Katakomben eröffnen.

    Getragen wird dieser überraschend gut gelungene "Mitridate" von einem Sänger-Team, das sich zu einem kontrastreichen Ensemble von insgesamt hohem Niveau fügt: Netta Ors Sopran hat Kraft und Präzision des wechselnden Ausdrucks für Aspasia, Richard Croft vermag nicht nur polternd zu herrschen, sondern fast bedrohlicher noch durch Momente des verschlagenen Innehaltens. Miah Persson berückt durch ihr Piano und insbesondere blitzsaubere Kadenzen als Prinz Sifare:

    Sehr genau führt Günter Krämer die einzelnen Figuren, die in kurzen Hosen oder sonst ganz gegenwärtlich bekleidet sind, durch die Wirrungen und Enthüllungen, die die schönen Aussichten, die ungemütlichen Ermittlungen sowie das Wüten des Königs bescheren. Es ist, nach einer Reihe blasserer Arbeiten, eine Inszenierung mit feinem Witz und den Konturen klarer Verständlichkeit, sinnvoller Deutung der disparaten Handlungsstränge, die nun wie selbstverständlich und plausibel zusammenlaufen.