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Früher Aufklärer

Zu Lebzeiten war er einer der bekantesten Erfolgsautoren Europas, sein Werk wurde übersetzt von Russland bis nach Schottland: Samuel von Pufendorf. Mit revolutionären Thesen setzte der deutsche Naturrechtslehrer, Verfassungsrechtler und Geschichtsschreiber die europäische Geisteswelt in Aufregung, wurde gefeiert und verboten. Seit einigen Jahrzehnten erwacht neues Interesse an dem Mitbegründer der deutschen Frühaufklärung.

Von Christian Berndt | 08.01.2007
    Der Empfang in Stockholm 1694 wird zum Triumph: König Karl zeichnet Samuel Pufendorf mit dem Titel eines Barons aus. An Fürstenhöfen fühlt sich der deutsche Rechtsgelehrte wohl, denn auf reiche Gönner ist der am 8. Januar 1632 geborene Pfarrerssohn seit seiner Kindheit angewiesen. Doch die Finanzhilfen diverser Geldgeber machen den hochbegabten Freigeist unabhängig als Forscher. Schon als Student in Leipzig stößt ihn das starre Lehrsystem ab - statt zu promovieren, tourt er lieber als Hauslehrer durch Europa und knüpft Kontakte. Seine erste Professur erhält Pufendorf 1661 in Heidelberg, nachdem er eines seiner Werke dem pfälzischen Kurfürsten Karl Ludwig gewidmet hat. Mit ihm im Rücken hat er freie Hand und verursacht mit dem Buch "Die Verfassung des Deutschen Reiches" einen Skandal. Bis heute legendär: sein Urteil über Deutschlands Verfassungszustand.

    "Es bleibt uns aber nicht anderes übrig, als das Deutsche Reich einen irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körper zu nennen, der sich im Laufe der Zeit durch die fahrlässige Gefälligkeit der Kaiser, durch den Ehrgeiz der Fürsten und die Machenschaften der Geistlichen zu einer so disharmonischen Staatsform entwickelt hat."

    Mit dem Buch düpiert Pufendorf die Fachzunft. Weil er in Heidelberg jetzt nicht mehr viel werden kann, nimmt er 1667 das Angebot des schwedischen Königs an: eine Professur für Völkerrecht in Lund. Hier veröffentlicht Pufendorf die Schriften zu seinem Lebensthema, dem Naturrecht. Naturrecht ist die Lehre von universell gültigen Grundrechten wie etwa der Menschenwürde, die angeboren sind und durch kein Gesetz aberkannt werden können. Das Naturrecht steht damit im Gegensatz zum positiven Recht, das nur Grundrechte zulässt, die ein Staat gesetzlich festlegt. 1672 erscheint Pufendorfs Hauptwerk "Vom Natur- und Völkerrecht". Das Buch wird eine Sensation und mancherorts als Gotteslästerung sofort verboten. Rainer Schröder, Professor für Rechtsgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität:

    "Sie müssen sich vorstellen, dass das Naturrecht am Firmament des darüber schwebenden Gottes festgemacht war. Und nun kommt einer und zieht aus den allgemeinen Prinzipien der Vernunft eine Rechtsordnung, die eben nicht mehr an diesen Prinzipien festgemacht ist, und insofern ist er abgelöst von allem, und er sagt, die Basis ist die gesamte menschliche Erfahrung, die sich in Prinzipien fassen lässt, aus diesen Prinzipien deduzieren wir nun bestimmte Fragen."

    Das Werk macht Pufendorf in ganz Europa berühmt und wird ein Fanal der Frühaufklärung. Erkenntnis aus menschlicher Vernunft löst göttliche Wahrheit ab, der freie Wille rückt ins Zentrum. Gleichzeitig ist der Mensch für Pufendorf ein soziales Wesen. Die Vernunft schreibt ihm ein Leben in Gemeinschaft vor und somit im Staat, der über dem Einzelnen steht. So stark Pufendorf die Menschenwürde betont, so befremdlich wirkt seine Gehorsamsforderung auch gegenüber Tyrannen.

    "Zur Vermeidung des grausamsten Unrechts durch den Fürsten ist es sicher besser, auszuwandern. Wenn die Möglichkeit der Flucht nicht gegeben ist, soll der Bürger lieber sterben als den Herrscher töten, nicht so sehr wegen des Herrschers Person, sondern wegen des ganzen Staates, der bei der Gelegenheit in schwere Wirren gestürzt zu werden pflegt."

    Die Ambivalenz der Forderungen nach Freiheitsrechten und gleichzeitig diktatorischer Staatsgewalt hat paradoxe Folgen: Pufendorfs Werk wird die Entwicklung der Menschenrechte und die Französische Revolution beeinflussen, aber ebenso als Vorbild für autoritäre Herrscher dienen. In den letzten Jahrzehnten seines Lebens arbeitet Pufendorf als Hofhistoriker in Stockholm und ab 1688 für den preußischen Kurfürsten. Als er 1694 in Berlin stirbt, ist er berühmt in ganz Europa. Ein Jahrhundert später hat man ihn vergessen. Das Naturrecht ist verdrängt worden vom positiven Recht, das keine übergesetzlichen Grundrechte zulässt, bis heute. Samuel von Pufendorf selbst hat man seit einigen Jahrzehnten wiederentdeckt.

    Schröder: "Rechtshistoriker und Rechtsphilosophen befassen sich erneut mit ihm und wundern sich über seine Modernität, zum Beispiel in Bezug auf das, was wir heute Menschenwürde nennen würden, dass er behauptet hat, es gibt eine Rechtsordnung, die dem positiven Recht gegenübergestellt wird und anhand deren man das positive Recht messen muss. Dieser Gedanke ist natürlich sehr modern und er bewegt uns heute immerzu."