Wie viele Menschen lebten vor gut 7000 Jahren im Rheinland? In der Epoche, als die ersten Bauern begannen, sich überwiegend von Ackerbau und Viehzucht zu ernähren? Archäologen können es jetzt präzise sagen: Auf einen Quadratkilometer kamen im Schnitt 0,6 Einwohner. Mithilfe dieser Zahl wollen Wissenschaftler bald die Wirtschaftsleistung der Region in der Jungsteinzeit bestimmen.
Im Rheinland eröffnen sich gute Chancen, Wirtschaftssysteme der Vergangenheit zu rekonstruieren, weil im Gebiet zwischen Köln und Aachen seit vielen Jahrzehnten Braunkohle abgebaut wird. Bevor die Bagger die über Jahrtausende gewachsene Kulturlandschaft für immer zerstören, wird der Boden auf Kosten des Energiekonzerns RWE gründlich untersucht. So konnten Archäologen dort eine außergewöhnliche Fülle von Daten sammeln.
"Da haben wir tatsächlich in der Braunkohle einen Ort ausgegraben, wo alle Bewohner der Haushalte in einem Gräberfeld so beerdigt wurden, dass wir sie finden konnten."
Ein Glücksfall für Andreas Zimmermann. An diesem Gräberfeld erkannte der Kölner Professor, dass in einem Haushalt der Jungsteinzeit zwischen sieben und zehn Personen lebten.
"Es gibt dann noch andere unterstützende Argumente, man kann Familienstrukturen, wie wir sie aus der Ethnologie kennen, in Verhältnis zu Hausgrößen setzen, also ich denke, sieben bis zehn ist die richtige Marge, aber tatsächlich ist das ein Feld, das heiß umstritten ist in der Fachwissenschaft. "
Wie viele Häuser in dem Ort, ja sogar wie viele in der weiteren Umgebung standen, haben Ausgrabungen gezeigt: Weil im Braunkohlegebiet seit Jahrzehnten geforscht wird, hat man auf einer Fläche von 150 Quadratkilometern alle jungsteinzeitlichen Siedlungen gefunden. Und damit konnten Zimmermann und seine Kollegen leicht die Bevölkerungsdichte berechnen. Aus den Fehlerrechnungen, mit denen sie ihre statistische Basis abgesichert haben, ergab sich:
"Dass wir mit relativ großer Sicherheit sagen können, dass es eben 0,6 Einwohner pro Quadratkilometer +/- 0,1 war. Und wenn man diese Zahl hat, mit der Fehlermarge, dann ist es relativ unproblematisch auszurechnen, wie viel Nahrungsmittel benötigt wurden. Denn unsere Tabellen der Mediziner sagen ja, empfohlen ist, dass wir in der Größenordnung 2000 Kcal pro Tag zu uns nehmen. Und daraus kann man ableiten, wie groß ungefähr die Feldflur und dann vielleicht auch der Bereich ist, den wir für die Viehzucht brauchen."
Dieses kleinteilige Muster der Flächennutzung übertrugen die Wissenschaftler auf das gesamte Rheinland, das archäologisch viel weniger erforscht ist. Mithilfe von Simulationsprogrammen aus der Geografie, den Geoinformationssystemen, konnten sie die Region ökonomisch charakterisieren: Sie wissen recht gut, wo einst die Dörfer, Äcker und Weiden lagen, obwohl man sie nicht alle ausgraben kann. Vor allem aber liefert die Karte einen ersten Eindruck von der Wirtschaftsleistung der Jungsteinzeit: Sie verrät, wie viel Fläche der Nahrungsmittelproduktion diente, über welche Entfernungen Tauschwaren verteilt werden mussten und wie viele Menschen sie konsumierten.
"Das Verrückte ist, glaube ich, dass unsere Karten nach 150 Jahren archäologischer Arbeit im Rheinland so robust zu sein scheinen, dass wir auf dieser großen Skala sehr, sehr langsam nur noch einen Wissensfortschritt haben."
Wie entwickelte sich die Wirtschaftsregion in späteren Jahrhunderten? In der Römerzeit mit ihrer leistungsstarken Wirtschaft etwa?
In den ersten Jahrhunderten nach Christus waren im Rheinland, der Grenzregion nach Germanien, sehr viele Soldaten stationiert. Die vergleichsweise zahlungskräftigen Militärs schufen einen attraktiven Absatzmarkt für Nahrungsmittel und Konsumgüter. Gut erforscht ist zum Beispiel der Handel mit feinem Tafelgeschirr aus rotem Ton, der "Terra Sigillata" aus dem Süden Galliens. Markus von Kaenel, Archäologe an der Universität Frankfurt am Main:
"Wir haben ja folgendes Phänomen, dass die südgallische Terra Sigillata im Verlauf des ersten Jahrhunderts nach Christus einen riesigen, selbst für römische Verhältnisse einen riesigen Verbreitungsradius hat, also nicht nur am Rhein, sondern bis Britannien, in den Donauraum abgesetzt wird."
Auch dort sorgten vor allem die Kastelle der römischen Legionen für nachfrage. Einfache Tonware bezogen sie kleinen Töpfereien am Ort, doch den Markt für feines rotes, mit Reliefs verziertes Geschirr dominierte ein einziger Betrieb aus Gallien: Eine Großtöpferei aus dem heutigen La Graufesenque im Süden Frankreichs.
In quasi-industriellem Maßstab wurde auch im Bergbau produziert. Das lässt sich verblüffenderweise an der Luftverschmutzung zu römischer Zeit erkennen: Der Schmutz wurde vom Wind bis nach Grönland getragen und schlug sich dort auf dem Eis nieder. Heute wird die Luftqualität früherer Jahrhunderte systematisch an den Schichten des Eises ermittelt:
"Vor einigen Jahren, im Grönlandeis, bei diesen Bohrungen im Grönlandeis, hat man die Entwicklung der Luftverschmutzung über Jahrtausende verfolgt. Und da zeigt sich, dass sie im 1. und im 2. Jahrhundert nach Christus einen Grad erreicht hat – sicher von heute aus gesehen noch bescheiden, aber in der gesamten Antike der absolute Peak. Und dann ging es runter das Ganze Mittelalter und man hat dann diesen Verschmutzungsgrad erst wieder mit der Industriellen Revolution erreicht."
Die römische Wirtschaft trug in manchen Bereichen bereits vorkapitalistische Züge. Das zeigt die gewaltige Menge an Arbeitskräften, die hochentwickelte Technik, die weit gestreuten Absatzmärkte, die hohen Investitionen, die gerade die Großbetriebe benötigten. Aber da, sagt Professor Kaenel, stößt die Forschung auch an Grenzen: Denn nicht alles war im heutigen Sinn ökonomisch optimiert, nicht einmal in der Geschirr-Großproduktion von La Graufesenque:
"Ein großes Produktionszentrum, was ökonomisch gesprochen völlig am falschen Ort liegt, denn das liegt hinter der ersten Gebirgskette des Massif Centrale, also die ganze Keramik musste mühsam auf dem Rücken von Maultieren in Kisten verpackt an einen Orte gebracht werden, wo sie weiterverhandelt werden konnte. Also das ist Ort, würde man heute sagen, da kann man nicht produzieren."
Offenbar weiß man noch nicht genug, um das römische Wirtschaftssystem wirklich beschreiben zu können, meint Kaenel. Selbst bei der Töpferei ist er skeptisch:
"Ich muss eine Vorstellung haben, wie viel Gefäße sind gebrannt worden. Also da gibt es natürlich Zahlen und da greift man immer wieder auf ethnologische Parallelen zurück und sagt, wenn das in Afrika so ist, dann wird das in römischer Zeit ähnlich gewesen sein. Aber das ist eben alles eine Frage, die nicht so mit ja und nein beantwortet werden kann."
Andreas Zimmermann dagegen ist stolz, dass er annähernd die Bevölkerungsdichte der Jungsteinzeit ermitteln kann. Er kennt auch Beispiele, wo man die Produktion sogar quantifizieren kann: Im Aachener Raum wurden in 500 Jahren rund 300.000 Beilklingen aus Feuerstein hergestellt und in den umliegenden Gebieten abgesetzt. Mithilfe solcher Zahlen hofft er, eines Tages eine systematische "Wirtschaftsarchäologie" entwickeln und Wirtschaftsleistungen verschiedener Epochen vergleichen zu können.
"Meine Vision langfristig ist, dass man sich überlegt, wie groß war der Aufwand in der Jungsteinzeit für die Beile zum Beispiel im Verhältnis zur Lebensmittelproduktion, wenn wir das mal mit ganz anderen Zeitabschnitten vergleichen."
Im Rheinland eröffnen sich gute Chancen, Wirtschaftssysteme der Vergangenheit zu rekonstruieren, weil im Gebiet zwischen Köln und Aachen seit vielen Jahrzehnten Braunkohle abgebaut wird. Bevor die Bagger die über Jahrtausende gewachsene Kulturlandschaft für immer zerstören, wird der Boden auf Kosten des Energiekonzerns RWE gründlich untersucht. So konnten Archäologen dort eine außergewöhnliche Fülle von Daten sammeln.
"Da haben wir tatsächlich in der Braunkohle einen Ort ausgegraben, wo alle Bewohner der Haushalte in einem Gräberfeld so beerdigt wurden, dass wir sie finden konnten."
Ein Glücksfall für Andreas Zimmermann. An diesem Gräberfeld erkannte der Kölner Professor, dass in einem Haushalt der Jungsteinzeit zwischen sieben und zehn Personen lebten.
"Es gibt dann noch andere unterstützende Argumente, man kann Familienstrukturen, wie wir sie aus der Ethnologie kennen, in Verhältnis zu Hausgrößen setzen, also ich denke, sieben bis zehn ist die richtige Marge, aber tatsächlich ist das ein Feld, das heiß umstritten ist in der Fachwissenschaft. "
Wie viele Häuser in dem Ort, ja sogar wie viele in der weiteren Umgebung standen, haben Ausgrabungen gezeigt: Weil im Braunkohlegebiet seit Jahrzehnten geforscht wird, hat man auf einer Fläche von 150 Quadratkilometern alle jungsteinzeitlichen Siedlungen gefunden. Und damit konnten Zimmermann und seine Kollegen leicht die Bevölkerungsdichte berechnen. Aus den Fehlerrechnungen, mit denen sie ihre statistische Basis abgesichert haben, ergab sich:
"Dass wir mit relativ großer Sicherheit sagen können, dass es eben 0,6 Einwohner pro Quadratkilometer +/- 0,1 war. Und wenn man diese Zahl hat, mit der Fehlermarge, dann ist es relativ unproblematisch auszurechnen, wie viel Nahrungsmittel benötigt wurden. Denn unsere Tabellen der Mediziner sagen ja, empfohlen ist, dass wir in der Größenordnung 2000 Kcal pro Tag zu uns nehmen. Und daraus kann man ableiten, wie groß ungefähr die Feldflur und dann vielleicht auch der Bereich ist, den wir für die Viehzucht brauchen."
Dieses kleinteilige Muster der Flächennutzung übertrugen die Wissenschaftler auf das gesamte Rheinland, das archäologisch viel weniger erforscht ist. Mithilfe von Simulationsprogrammen aus der Geografie, den Geoinformationssystemen, konnten sie die Region ökonomisch charakterisieren: Sie wissen recht gut, wo einst die Dörfer, Äcker und Weiden lagen, obwohl man sie nicht alle ausgraben kann. Vor allem aber liefert die Karte einen ersten Eindruck von der Wirtschaftsleistung der Jungsteinzeit: Sie verrät, wie viel Fläche der Nahrungsmittelproduktion diente, über welche Entfernungen Tauschwaren verteilt werden mussten und wie viele Menschen sie konsumierten.
"Das Verrückte ist, glaube ich, dass unsere Karten nach 150 Jahren archäologischer Arbeit im Rheinland so robust zu sein scheinen, dass wir auf dieser großen Skala sehr, sehr langsam nur noch einen Wissensfortschritt haben."
Wie entwickelte sich die Wirtschaftsregion in späteren Jahrhunderten? In der Römerzeit mit ihrer leistungsstarken Wirtschaft etwa?
In den ersten Jahrhunderten nach Christus waren im Rheinland, der Grenzregion nach Germanien, sehr viele Soldaten stationiert. Die vergleichsweise zahlungskräftigen Militärs schufen einen attraktiven Absatzmarkt für Nahrungsmittel und Konsumgüter. Gut erforscht ist zum Beispiel der Handel mit feinem Tafelgeschirr aus rotem Ton, der "Terra Sigillata" aus dem Süden Galliens. Markus von Kaenel, Archäologe an der Universität Frankfurt am Main:
"Wir haben ja folgendes Phänomen, dass die südgallische Terra Sigillata im Verlauf des ersten Jahrhunderts nach Christus einen riesigen, selbst für römische Verhältnisse einen riesigen Verbreitungsradius hat, also nicht nur am Rhein, sondern bis Britannien, in den Donauraum abgesetzt wird."
Auch dort sorgten vor allem die Kastelle der römischen Legionen für nachfrage. Einfache Tonware bezogen sie kleinen Töpfereien am Ort, doch den Markt für feines rotes, mit Reliefs verziertes Geschirr dominierte ein einziger Betrieb aus Gallien: Eine Großtöpferei aus dem heutigen La Graufesenque im Süden Frankreichs.
In quasi-industriellem Maßstab wurde auch im Bergbau produziert. Das lässt sich verblüffenderweise an der Luftverschmutzung zu römischer Zeit erkennen: Der Schmutz wurde vom Wind bis nach Grönland getragen und schlug sich dort auf dem Eis nieder. Heute wird die Luftqualität früherer Jahrhunderte systematisch an den Schichten des Eises ermittelt:
"Vor einigen Jahren, im Grönlandeis, bei diesen Bohrungen im Grönlandeis, hat man die Entwicklung der Luftverschmutzung über Jahrtausende verfolgt. Und da zeigt sich, dass sie im 1. und im 2. Jahrhundert nach Christus einen Grad erreicht hat – sicher von heute aus gesehen noch bescheiden, aber in der gesamten Antike der absolute Peak. Und dann ging es runter das Ganze Mittelalter und man hat dann diesen Verschmutzungsgrad erst wieder mit der Industriellen Revolution erreicht."
Die römische Wirtschaft trug in manchen Bereichen bereits vorkapitalistische Züge. Das zeigt die gewaltige Menge an Arbeitskräften, die hochentwickelte Technik, die weit gestreuten Absatzmärkte, die hohen Investitionen, die gerade die Großbetriebe benötigten. Aber da, sagt Professor Kaenel, stößt die Forschung auch an Grenzen: Denn nicht alles war im heutigen Sinn ökonomisch optimiert, nicht einmal in der Geschirr-Großproduktion von La Graufesenque:
"Ein großes Produktionszentrum, was ökonomisch gesprochen völlig am falschen Ort liegt, denn das liegt hinter der ersten Gebirgskette des Massif Centrale, also die ganze Keramik musste mühsam auf dem Rücken von Maultieren in Kisten verpackt an einen Orte gebracht werden, wo sie weiterverhandelt werden konnte. Also das ist Ort, würde man heute sagen, da kann man nicht produzieren."
Offenbar weiß man noch nicht genug, um das römische Wirtschaftssystem wirklich beschreiben zu können, meint Kaenel. Selbst bei der Töpferei ist er skeptisch:
"Ich muss eine Vorstellung haben, wie viel Gefäße sind gebrannt worden. Also da gibt es natürlich Zahlen und da greift man immer wieder auf ethnologische Parallelen zurück und sagt, wenn das in Afrika so ist, dann wird das in römischer Zeit ähnlich gewesen sein. Aber das ist eben alles eine Frage, die nicht so mit ja und nein beantwortet werden kann."
Andreas Zimmermann dagegen ist stolz, dass er annähernd die Bevölkerungsdichte der Jungsteinzeit ermitteln kann. Er kennt auch Beispiele, wo man die Produktion sogar quantifizieren kann: Im Aachener Raum wurden in 500 Jahren rund 300.000 Beilklingen aus Feuerstein hergestellt und in den umliegenden Gebieten abgesetzt. Mithilfe solcher Zahlen hofft er, eines Tages eine systematische "Wirtschaftsarchäologie" entwickeln und Wirtschaftsleistungen verschiedener Epochen vergleichen zu können.
"Meine Vision langfristig ist, dass man sich überlegt, wie groß war der Aufwand in der Jungsteinzeit für die Beile zum Beispiel im Verhältnis zur Lebensmittelproduktion, wenn wir das mal mit ganz anderen Zeitabschnitten vergleichen."