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Früher Vogel fängt den Wurm

Biologie. - Meisen zählen zu den häufigsten und erfolgreichsten Vögeln in Mitteleuropa. Doch auch ihnen setzt der Klimawandel offenbar zu. Niederländische Wissenschaftler haben beobachtet, daß die Tiere mit der Aufzucht ihres Nachwuchses Probleme bekommen, weil die Hauptnahrung Raupen ihre Freßperiode vorverlegt hat. In der aktuellen "Science" stellen sie ihre Erkenntnisse vor.

Von Christine Westerhaus |
    Der frühe Vogel fängt den Wurm - bei Meisen kann man dieses Sprichwort inzwischen wörtlich nehmen. Denn nur diejenigen, die früh im Jahr unterwegs sind, finden genügend zu fressen für sich und ihre Nachkommen. Der Grund: Insektenlarven, die Hauptnahrungsquelle vieler Vögel, fressen sich inzwischen schon sehr viel früher im Jahr durch Blätter und Stängel. Sie haben sich im Laufe der Zeit dem Klimawandel angepasst, der die Temperaturen im Frühjahr steigen und die Bäume eher austreiben lässt. Meisenmütter müssen sich also mit dem Brüten beeilen, wenn sie ihren Nachkommen genug zu fressen geben wollen. Marcel Visser vom niederländischen Institut für Ökologie in Heteren erklärt, wieso:

    "Diese Raupen, die in Eichenwäldern leben, sind auf sehr frische Blätter angewiesen. Deshalb ist die Zeit, in der die Tiere aktiv sind, nur sehr kurz. Es gibt nur ein Zeitfenster von drei Wochen im Jahr, in dem die Larven im Buchenwald vorkommen. Danach, wenn sie größer geworden sind, verpuppen sie sich und verstecken sich im Boden. Dann können sie von den Vögeln nicht mehr gefressen werden."

    Inzwischen sind die Raupen im Schnitt zehn Tage früher aktiv als noch vor 50 Jahren. Zudem beschleunigen die höheren Temperaturen das Wachstum der wechselwarmen Tiere. Um mit den Larven Schritt halten zu können, müssten die Meisen ihre Eier also entweder früher legen oder schneller brüten. Anders als Insekten können Vögel ihre Körpertemperatur aber nicht variieren um ihrer Brut einzuheizen . Und so bleibt ihnen nur die Möglichkeit, ihr Nest früher zu bauen. Genau das konnten Ökologen in einer holländischen Population von Meisen beobachten. Seit mehr als 30 Jahren untersuchen die Wissenschaftler das Brutverhalten dieser Tiere. Visser:

    "Wir haben gezeigt, dass manche Meisen in der Lage sind, ihre Eier früher zu legen. Und wir konnten zeigen, dass diese Fähigkeit vererbbar ist. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen wäre also, wenn quasi eine neue Meisenart entstehen würde. Eine Art, die empfindlicher auf Temperaturen reagiert und ihre Brutsaison verschiebt, je nachdem wie warm es ist."

    Anders als bei Insekten dauert es bei Vögeln jedoch sehr lange, bis sich neue Eigenschaften in einer Population durchsetzen. Denn die Anzahl der Nachkommen ist bei Schmetterlingen, Käfern oder Fliegen wesentlich größer. Ob den Meisen genug Zeit bleibt, sich dem neuen Lebensrhythmus ihrer Beute anzupassen, können die Forscher bisher nicht beurteilen. Marcel Visser:

    "Das ist wirklich die interessante Frage, denn wir wissen nun, dass es innerhalb der Meisenpopulation auch Individuen gibt, die sich anpassen können und dass ein starker Selektionsdruck auf diesen Tieren liegt. Wir wissen aber nicht, wie schnell sich die Meisen anpassen können und momentan haben wir eher das Gefühl, dass sie ihren Rhythmus zu langsam verschieben. Das liegt vor allem daran, dass die Temperaturen momentan so schnell ansteigen. Der Klimawandel schreitet wirklich sehr rasant voran."

    Und davon sind nicht nur Meisen betroffen. Auch viele andere Arten stehen vor dem Problem, dass sie die Hauptsaison ihrer Nahrungsquelle wegen des Klimawandels verpassen. Visser:

    "Wir wissen, dass sehr viele Arten ihren Rhythmus verschoben haben. Dass sie früher brüten, früher ihre Blüten austreiben. Es gibt inzwischen Tausende von Beispielen dafür in der Literatur. Die entscheidende Frage für eine Art ist aber, ob sie ihren Rhythmus genauso schnell verändern kann wie ihre Nahrungsquelle. Bei den Meisen ist das offenbar nicht der Fall."

    Selbst für eine so weit verbreitete Art wie die Meise besteht somit die Gefahr, in nicht allzu ferner Zukunft auszusterben. Auch wenn der Klimawandel auf die Vögel keinen direkten Einfluss hat. Visser:

    "Wir beobachten, dass die Zahl der Nachkommen bei Meisen im Durchschnitt abnimmt. Wir wissen aber nicht, was das für die gesamte Population bedeutet. Man kann sich kaum vorstellen, dass so ein häufiger Vogel wie die Meise aussterben könnte, doch momentan befinden sich die Vögel wirklich in Schwierigkeiten."