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Früherkennung psychischer Krankheiten

Medizin. - Unter den zehn Krankheiten, die das meiste Leid verursachen, zählt die Weltgesundheitsorganisation fünf psychische Krankheiten. Direkt hinter AIDS folgt die Depression. In der öffentlichen Wahrnehmung sind psychische Krankheiten aber weit weniger präsent als etwa Herzinfarkt oder Krebs. Auf ihrer Jahrestagung will die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde derzeit in Berlin deshalb nicht nur Forschern und Ärzten die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse präsentieren, sondern auch die Öffentlichkeit informieren, unter anderem mit einem eigenen Kongress für 500 Schüler.

Von Volkart Wildermuth |
    Vorbeugen ist besser als heilen. Dieses Motto soll nicht nur für Herzinfarkt und Karies gelten sondern auch für seelische Erkrankungen, meint Professor Ulrich Voderholzer von der Universität Freiburg. Er will deshalb auf einem Schülerkongress schon Jugendliche aufklären. Andere medizinische Fachdisziplinen machen das schließlich auch.

    Heute kommt der Zahnarzt schon in den Kindergarten und klärt darüber auf, wie man sich richtig die Zähne putzt. Bei seelischen Erkrankungen sind wir weit davon entfernt, dass Information auf breiter Basis auch Jugendliche und Schulen erreicht.

    Meist gibt es schon Jahre vor dem Ausbruch einer psychischen Krankheit Warnzeichen. Vor einer akuten Depression steht eine lange Phase des Rückzuges aus Freundschaften, des Leistungsabfalls. Eine Alkoholabhängigkeit beginnt meistens mit vereinzelten Trinkexzessen. Und der Keim zu einer Angststörung kann schon in der übermäßigen Furcht vor der nächsten Mathearbeit liegen. Ulrich Voderholzer betont, dass es sich dabei nicht nur um Anzeichen für spätere Probleme handelt - die Jugendlichen leiden bereits unter diesen ersten Symptomen. Anders als bei einer Migräne oder Rückenschmerzen trauen sie sich aber nicht, Hilfe zu suchen.

    Die meisten mit solch einem Problem kommen erst gar nicht in die Behandlung, weil hier Vorurteile gegenüber Psychofächern bestehen, weil auch die Hoffung, dass man psychische Störungen behandeln kann, gering ist und weil psychische Erkrankungen stigmatisiert sind, weil sie als Schwäche interpretiert werden oder weil man hoffnungslos ist und sagt, man kann eh nichts dagegen tun.

    Das aber ist ein Vorurteil. Angsterkrankungen lassen sich gut mit einer Psychotherapie behandeln, gleiches gilt für die Vorstadien einer Depression. In Australien und den skandinavischen Ländern gibt es deshalb nationale Programme zur Aufklärung der Schüler über psychische Krankheiten und zur Verbesserung des Klimas an den Schulen, sodass es für die Jugendlichen einfach ist, Hilfe zu suchen. Umstritten ist die frühzeitige Behandlung auf dem Feld der Schizophrenie. Neben einem sozialen Rückzug und Leistungsproblemen gibt es hier auch andere Alarmzeichen zum Beispiel kurze Phasen, in denen man sich beispielsweise ständig von anderen beobachtet oder bedrängt fühlt. Forscher vor allem in Australien und den USA wollen schon in diesem ersten Stadium der Krankheit Psychopharmaka einsetzen, um den Ausbruch des möglichen Wahns zu verhindern. Doch dieser Ansatz ist umstritten, die Medikamente haben schließlich deutliche Nebenwirkungen. Professor Wolfgang Maier von der Universität Bonn ist dennoch davon überzeugt, dass sie im Rahmen von wissenschaftlichen Studien erprobt werden sollten:

    Wir in Deutschland haben diese Untersuchungen auch durchgeführt. Wir sehen einen gewissen Effekt, der aber im Moment noch nicht statistisch gesichert ist, aber wir setzen auch - und das muss ich besonders betonen - im Gegensatz zu Untersuchungsprogrammen in anderen Ländern sehr dezidiert auf psychotherapeutische Interventionen, die dann allerdings schon sehr früh beginnen. Die haben keine Risiken und führen, wenn sie bei jemandem durchgeführt werden, der gar nicht so ein hohes Psychose-Risiko hat, jedenfalls in der Regel zu einer deutlichen Besserung seines allgemeinen psychologischen Funktionszustandes auch jenseits des Psychose-Risikos.

    Dieser direkte Nutzen ist für Ulrich Voderholzer auch ein starkes Argument gegen Vorwürfe, die Psychiater wollten mit den Früherkennungsprogrammen nur ihre Klientel erweitern.

    Es gab auch ganz polemische Artikel gegen uns, die gesagt haben, die Psychiater machen zu viele Menschen psychisch krank, und jetzt wollen sie auch schon Leute, die vielleicht eine Krankheit entwickeln, auch noch zu den Kranken hinzutun, und dass das verwerflich ist. Andererseits ist Früherkennung, Frühintervention besser als jede Therapie einer schweren Krankheit.

    Dass das zumindest für die Depression zutrifft, zeigen die Erfahrungen anderer Nationen. Hierzulande ist mit dem Schülerkongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde zumindest ein erster Schritt in diese Richtung unternommen worden.