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Frühwarnsystem gegen Ebola
Wächter der Weltgesundheit

Vor zwei Jahren brach in Afrika eine verheerende Ebola-Epidemie aus. Das frühzeitige Erkennen von Anzeichen und die Überwachung des Verlaufs - das sogenannte Surveillance - hat in Guinea quasi gar nicht erst stattgefunden. Ernster nahm man das Thema offenbar in Uganda, wo man sogar auf Twitter setzte, um einzelne Verdachtsfälle aufzuspüren und weitere Ansteckungen verhinderte.

Von Franziska Badenschier | 20.12.2015
    Ein Mann geht in Liberias Hauptstadt Monrovia an einer roten Wandmalerei vorbei, die vor dem Ebola-Virus warnt
    Eine Wandmalerei in Liberias Hauptstadt Monrovia warnt vor dem Ebola-Virus (picture alliance / dpa / Ahmed Jallanzo)
    In einem Dorf in Guinea, Westafrika, stirbt ein kleiner Junge. Kurz darauf sind auch die Schwester und die schwangere Mutter tot. Guinea erlebt den Beginn der bislang verheerendsten Ebola-Epidemie – und kaum jemand nimmt Notiz davon. Die Gesundheit der Bevölkerung überwachen und einen Ausbruch erkennen, bevor es zu einer Epidemie oder gar Pandemie kommt: Das ist Surveillance – und hat in Guinea kaum funktioniert. Dabei gibt es Strategien, die wirken: In Uganda wurde 2011 ein Ebola-Fall so schnell erkannt, dass sich niemand weiter angesteckt hat.
    Zwei Jahre ist es nun her, dass in Westafrika Ebola ausgebrochen ist. Es ist die schlimmste Ebola-Epidemie, die es je gab. Immer wieder heißt es: Die Weltgesundheitsorganisation hat versagt, weil sie den Ausbruch heruntergespielt, erst zu spät und dann falsch reagiert hat; auch die internationale Gemeinschaft hat den Ausbruch lange Zeit nicht ernst genommen. Doch was bei all dieser Kritik vergessen wird: Damit irgendjemand überhaupt auf den Ausbruch einer Seuche reagieren kann, muss dieser Ausbruch irgendwo im nirgendwo erst einmal erkannt werden. Und dann muss diese Information Menschen und Organisationen erreichen, die reagieren können. Dafür sind Menschen und Maschinen nötig, Verantwortung und Wachsamkeit.
    Die Rekonstruktion der Informationskette in Guinea offenbart, warum es so lange gedauert hat, bis Ebola erkannt wurde: Die Dorfbewohner glauben an einen Fluch; der Dorfmediziner ist nicht da; ein Krankenhaus-Laborant scheut sich, dem Chef weitere Tests vorzuschlagen; Mitarbeiter im lokalen Gesundheitsamt vermuten Cholera, gehen aber diesem Verdacht kaum nach; das Lokalradio traut sich nicht zu recherchieren; in der lokalen Presse gab es Hinweise, doch die Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums ignorieren sie.
    In Uganda hingegen gelangt die Gesundheitsstatistik vom kleinsten Dorf via Handy in eine Datenbank und von dort in die Hauptstadt; Im Gesundheitsministerium in Kampala setzt man sogar auf Gerüchte und Twitter, um ungewöhnliche Kranke und Tote aufzuspüren. Mit Erfolg.

    Das Manuskript zur Sendung:
    Méliandou: ein Dorf mitten in Waldguinea; etwa 450 Einwohner, zwei Kirchen. Etienne, Anfang 30, läuft hinter den Lehmhütten ein paar Meter in den Wald hinein. Links kleine Bananenstauden. Daneben das Grab von Emile.
    Emile: sein erster und einziger Sohn nach fünf Töchtern.
    Emile: der mit nicht einmal zwei Jahren gestorben ist.
    Emile: der "Patient Null", das allererste Opfer der Ebola-Epidemie in Westafrika.
    "Emile war krank. Sein Stuhlgang war ganz schwarz, blutig. Wir sind mit ihm zur Gesundheitsstation hier in Méliandou. Am nächsten Tag ist er gestorben."
    Das war am 28. Dezember 2013. Eine Woche später stirbt auch die Schwester. Kurz darauf wird die schwangere Mutter krank, hat eine Fehlgeburt. Nach ihr sterben auch die zwei Hebammen.
    Zwei Jahre später stehen in der offiziellen Statistik 11.000 Tote.
    Der Ausbruch wurde nicht erkannt
    Bei der Ebola-Epidemie in Westafrika habe die Weltgesundheitsorganisation versagt, heißt es immer wieder: weil sie den Ausbruch heruntergespielt, erst zu spät und dann falsch reagiert habe.
    Doch was bei all dieser – durchaus berechtigten – Kritik vergessen wird: Damit jemand reagieren kann, muss ein Ausbruch irgendwo im Nirgendwo erst einmal erkannt werden! Dafür sind Menschen und Maschinen nötig, medizinisches Wissen und politischer Wille.
    Wächter der Weltgesundheit eben oder – wie Fachleute sagen – Surveillance-Strategien.
    In Westafrika gab es all das kaum. Die Information, dass Menschen unter mysteriösen Umständen sterben, hat sich viel langsamer verbreitet, als das Ebola-Virus. Auf jeder Stufe vom Dorf bis zum Gesundheitsministerium ist etwas schiefgelaufen. Nicht unbedingt mit Absicht und doch mit verheerenden Folgen.
    Ebola-Baum im Dorf Méliandou
    Ebola-Baum im Dorf Méliandou (deutschlandradio.de / Franziska Badenschier)
    "Bis zum Tod meiner Frau habe ich gedacht: Es gibt einen Fluch, einen Feind in meiner Familie. Ich dachte, es sind meine Schwiegereltern, denn als ich diese Frau heiraten wollte, haben sie das abgelehnt."
    Etiennes Nachbarn im Dorf Méliandou denken eher: Die Medikamente des Dorfmediziners töten statt zu heilen; oder die Wasserquellen sind vergiftet. Und weil die Menschen hier dem Staat misstrauen, wird nicht das Gesundheitsamt aus der nächsten Stadt herbeigeholt, sondern ein traditioneller Heiler. Danach sterben noch mehr Menschen.
    "Herzlich willkommen bei Radio Rural in Guéckédou. Warten Sie! Da im Radio werden gerade die Todesanzeigen und die Mitteilungen der Behörden verlesen."
    "Plötzlich starben die Leute von heute auf morgen"
    Emanuel Koundouro ist Journalist bei "Radio Rurale", dem einzigen Radiosender aus der Gegend.
    "Ende 2013, Anfang 2014 sind die Menschen von heute auf morgen gestorben. In den Todesanzeigen, die hier abgegeben wurden, hieß es: "ist nach kurzer Krankheit verstorben". Aber um welche Krankheit es sich handelte? Das war nicht bekannt."
    Méliandou ist von Guéckédou 20 Minuten mit dem Auto entfernt. Normalerweise fährt Emanuel regelmäßig vorbei, um nach Neuigkeiten zu fragen. Als immer mehr Todesanzeigen beim Radio abgegeben werden, um Freunde und Verwandte zu informieren, fährt er nicht mehr hin – aus Angst:
    Er informiert auch nicht das Gesundheitsamt. Die Behörden wissen zu diesem Zeitpunkt von nichts.
    Von Uganda hätte man alles lernen können
    Die Ebola-Epidemie wirft auch die Frage auf: Muss denn jedes Land erst einen eigenen verheerenden Ausbruch erleben, um zu begreifen, wie wichtig Surveillance ist? Von Uganda hätten alle längst lernen können.
    In Gulu, einer Stadt im Norden Ugandas, kurz vor der Grenze zum heutigen Südsudan, war Ende 2000 Ebola ausgebrochen, zum ersten Mal in dem ostafrikanischen Land. 425 Infizierte, 225 von ihnen gestorben. Die ugandische Tierärztin und Epidemiologin Monica Musenero erinnert sich:
    Gulu war ein großes Desaster für uns. Die Krankheit kam einfach. Wir hatten keine Menschen, die diese Krankheit verstanden. Wir hatten keine Vollschutzanzüge, kein Labor. Deswegen hat das so lange gedauert. Immerhin: Danach haben wir unser System für Surveillance und die Reaktion auf Ausbrüche wirklich gestärkt.
    Uganda hat kostenlose Meldeketten vom Dorf bis in die Hauptstadt eingeführt, ein digitales Berichtssystem entwickelt und ein Spezial-Labor aufgebaut für besonders gefährliche Viren. Ausbrüche mit Ebola- und Marburg-Fieber wurden schneller erkannt. 2011 dann der bedeutsamste Erfolg: In einem Dorf nördlich der Hauptstadt infiziert sich ein Mädchen mit Ebola und stirbt – als einzige.
    Die Großmutter von Katie, die in Uganda an Ebola starb.
    Die Großmutter von Katie, die in Uganda an Ebola starb. (deutschlandradio.de / Franziska Badenschier)
    "Eines Tages kam Katie von der Schule, und sagte zu mir: 'Oma, mein Kopf tut weh.' Sie hatte Fieber und ich habe Malaria-Medizin besorgt. Tags darauf ist sie ganz schwach geworden. Da habe ich ihre Tante angerufen. Sie hat Katie mit dem Motorrad in die Krankenstation gefahren."
    Am selben Nachmittag ruft der Dorfmediziner den Gesundheitschef des Distrikts an. Da sei eine Zwölfjährige mit Verdacht auf ein virales hämorrhagisches Fieber; man werde sie ins nächstgelegene Gesundheitszentrum bringen lassen. Von dort kommt der nächste Anruf: Der Verdacht sei wohl berechtigt. Der Vater kommt und fährt Katie ins Militärkrankenhaus, wo es Vollschutzanzüge und mehr Personal gibt.
    "Dort hat sich ihr Zustand verschlechtert. Sie hat weiter gebrochen und Durchfall gehabt. Dann ist sie gestorben. Später haben sie uns gesagt: Das war keine normale Krankheit; das war Ebola. Sie wurde wie ein Stück Müll behandelt, in einem Sack sofort beerdigt. Ich konnte meine Enkelin nicht mehr sehen und weiß nicht einmal, wo ihr Grab ist."
    Katies Familie und das medizinische Personal werden unter Quarantäne gestellt, bis klar ist: Niemand hat sich bei Katie angesteckt.
    Es war der kleinste anzunehmende Ausbruch.
    In Guinea beginnt die größte Ebola-Epidemie
    Zweieinhalb Jahre später, 2.000 Kilometer weiter westlich, in Guinea, nimmt dagegen die größte Ebola-Epidemie der Geschichte Fahrt auf.
    Am 23. Januar 2014 – Emile ist da bereits vier Wochen tot – ruft der Dorfchef von Méliandou endlich das Gesundheitsamt an. Mitarbeiter nehmen tags darauf Proben von den Wasserquellen und einigen Durchfall-Kranken. Einer hat Cholera. Beamte geben eine Mitteilung in der Redaktion von "Radio Rurale" ab, erinnert sich Emanuel.
    "Was in Méliandou passiere, sei kein Fluch, sondern eine Epidemie, stand da. Es handele sich um eine Krankheit, auch wenn man noch nicht wisse, welche."
    Dr Jonas ist der "Super Spreader"
    In der Redaktion lassen sich keine Mitschnitte der vorgelesenen Amtsmitteilungen finden. Aber in einem Stapel loser Zettel und Papierbündel findet sich diese Todesanzeige:
    "Die Familien Koundouno und der Krankenhaus-Direktor von Guéckédou und sein Personal teilen mit Bedauern den plötzlichen Tod von Dr. Jonas Koundouno mit."
    Buschtaxi zwischen Guéckédou und Macenta
    Buschtaxi zwischen Guéckédou und Macenta (deutschlandradio.de / Franziska Badenschier)
    Doktor Jonas ist eine Schlüsselfigur der Epidemie. Er hat eine der kranken Hebammen aus Méliandou behandelt und trägt das Virus in die nächstgrößere Stadt.
    Ein paar Tage später kommen auf einmal acht Leute mit Durchfall ins Krankenhaus von Guéckédou. Wieder fällt der Verdacht auf Cholera. Wie die Tests ausgefallen sind, ist heute nicht mehr mit Gewissheit zu sagen: Die einen sagen "positiv", die anderen "negativ"; und es ist von "falsch-positiven" Laborergebnissen die Rede.
    David Dialli Zoumanigui ist im Gesundheitsamt der Präfektur Guéckédou für die Monatsstatistik verantwortlich und zieht einen Ordner aus einem Regal: die Monatsberichte des ersten Quartals 2014. Seitenlange Tabellen. In den Spalten die Altersgruppen, in den Zeilen 71 Krankheiten. Ebola ist nicht dabei, das kennt hier zu dieser Zeit niemand. Und bei Cholera steht immer: Null.
    "Es gibt ein epidemiologisches Überwachungssystem. Ein Gemeindevertreter gibt Informationen an den Medizinposten im Dorf, der die Informationen dann an den Chef des Gesundheitszentrums gibt. Und die geben es dann an uns weiter."
    Kuriere sammeln die Zettel ein und bringen sie in Zoumaniguis Büro. Er tippt die Zahlen am Computer in eine Excel-Tabelle. Die Tabelle wird ausgedruckt und zur nächsthöheren Verwaltungsebene geschickt. Von dort geht es per Kurier weiter in die Hauptstadt Conakry, in eine Abteilung des Gesundheitsministeriums. In einem Büro stapeln sich die Monatsberichte aus dem ganzen Land. Die Mitarbeiter dort sagen: Selbst wenn irgendjemand irgendwann die Statistik aus Guéckédou gelesen hätte – der Eindruck dürfte gewesen sein, dass alles wie immer ist.
    "Es gibt eine Gruppe von Krankheiten, die müssen gemeldet werden. Sobald man davon erfährt, muss man die Information nach oben geben, ins regionale Gesundheitsamt. Sofort. Zum Beispiel, wenn es einen Cholera-Verdacht gibt."
    Zoumanigui bestätigt: Ja, er hat die Gerüchte gehört, dass es mysteriöse Todesfälle in der Umgebung gegeben hat. Ja, er hat gewusst, dass Kollegen Proben genommen haben, um zu prüfen, ob es sich um Cholera handelt. Nein, er hat bei denen nicht nachgefragt, was die Tests ergeben haben. Er habe nicht das Recht dazu, erklärt er. Und sein Job sei es, die Berichte aus den Dörfern von Papier in den Computer zu übertragen. Deswegen habe er immer "Cholera – null Fälle" in jeden Monatsbericht getippt.
    Anfang 2014: Ebola erreicht die Hauptstadt
    Es ist Spekulation, sicher, aber vielleicht wäre die Ebola-Epidemie in Westafrika nicht so verheerend geworden, wenn schon Anfang 2014 Alarm geschlagen worden wäre – und sei es nur vermeintlich wegen Cholera. Zu jener Zeit jedenfalls ist das Ebola-Virus bereits über die nahegelegenen Grenzen zu Liberia und Sierra Leone und auch in Guineas Hauptstadt Conakry angekommen.
    "Ja, die Konsequenzen waren dramatisch. Es hat ziemlich viele Tote, viele Opfer gegeben. So ist das. Das ist alles, was ich sagen kann. Oder wollen Sie, dass ich was anderes sage?"
    Viel Arbeit für Biostatistiker
    Im Gesundheitsamt von Luwero – jenem Distrikt in Uganda, wo Katie 2011 an Ebola gestorben ist – setzt sich ein junger Mann an einen langen Tisch und klappt seinen Laptop auf. Tomy Bunyo hat Biostatistik studiert – im Gegensatz zu seinem Amtskollegen in Guéckédou, Guinea, der nur ein paar Ausbildungstage im Gesundheitsministerium absolviert hat. Es ist Dienstag. Gestern sollten die neuesten Krankendaten aus den einzelnen Dörfern eingegangen sein: per SMS vom Handy auf den Computer.
    "Sie tippen ihre Daten ein und senden das dann an die 6767; diese Nummer ist kostenlos. Sie tippen einen Code für eine bestimmte Krankheit ein, zum Beispiel "ma" für Malaria oder "dy" für Durchfall, und dann eine Zahl. Wenn es nichts gibt, dann tippt man die Ziffer Null."
    Ein Drittel der Gesundheitsstationen hat pünktlich geliefert. Den anderen telefoniert der Biostatistiker gleich hinterher.
    "Jemand kann schicken: durchgeführte Malaria-Tests ist gleich 20, aber positive Testergebnisse ist gleich 25. Sicher unmöglich. Also müssen wir uns das anschauen. Und wenn wir Fehler finden, fragen wir beim Absender nach und korrigieren das hier."
    Die Daten werden dann in der Hauptstadt, im Gesundheitsministerium, analysiert: Wo häufen sich auf einmal Durchfälle, sodass ein Team vor Ort auf Typhus, Salmonellen, Cholera und Co. testen sollte? Das neue Speziallabor im Virus-Forschungsinstitut untersucht dann Proben.
    Ein Bürogebäude gegenüber dem Gesundheitsministerium in Kampala, vierter Stock, rechts: eine Glastür, darauf ein Schild "Zutritt nur für autorisierte Personen". Hier ist das Emergency Operation Center von Uganda. Der Leiter Issa Makumbi öffnet die Tür und gewährt Einlass in den Krisenraum: ein riesiger Tisch, ein gutes Dutzend Stühle – und ein XXL-Bildschirm an der Wand, die Twitter-Wall.
    Twitter-Wall im Emergency Operation Center von Uganda
    Twitter-Wall im Emergency Operation Center von Uganda (dpa / picture alliance / Franziska Badenschier)
    "Eines der Dinge, die wir tun, ist, soziale Medien zu beobachten. Da suchen wir nach Ereignissen, die möglicherweise die öffentliche Gesundheit gefährden – im Land, in der Region, in der Welt. Bei Twitter suchen wir mit Schlüsselbegriffen: 'Uganda und Ausbruch' oder 'Uganda und Malaria' oder 'Uganda und Ebola'."
    Gerüchte zur Informationsverbreitung
    Bei Monica Musenero nebenan im Gesundheitsministerium läuft schließlich alles zusammen: die Daten aus den Dörfern und Distrikten; die Informationen und Analysen aus der Notfall-Betriebszentrale; dazu unzählige Anrufe auf ihrem Handy, so wie letztens, als ein Radiosender aus dem Nordwesten Ugandas nachgefragt hat:
    "Da sind Menschen krank. Haben Sie davon gehört? – und ich so: Nein, nein, davon habe ich noch nichts gehört. Die Menschen sind nicht in die Gesundheitseinrichtungen gegangen, weil sie das Gefühl hatten, dass das was Spirituelles war. Schließlich haben wir festgestellt: Da ist Pest ausgebrochen. Dann konnten wir reagieren."
    Die Pest war da bereits zwei Wochen grassiert, unbemerkt von der offiziellen Gesundheitsstatistik.
    "70 Prozent unserer Ausbrüche werden über Gerüchte entdeckt, 70 Prozent!"
    WHO muss innerhalb von 24 Stunden informiert werden
    Wenn sich eine Meldung oder ein Gerücht als echter Ausbruch herausstellt, ist die Gefahr längst nicht gebannt: Der Ausbruch kann sich im Land ausbreiten oder in die gesamte Welt. Die Weltgesundheitsorganisation muss informiert werden – damit diese wiederum andere Länder warnen kann.
    Dafür gibt es die sogenannten "International Health Regulations" – internationale Gesundheitsvorschriften für alle WHO-Mitgliedsstaaten.
    In der ersten Version von 1969 hieß es: Sobald ein Fall von Pest, Gelbfieber, Cholera oder Pocken entdeckt wird, muss die jeweilige Regierung den Fall innerhalb von 24 Stunden an die Weltgesundheitsorganisation melden.
    Doch die Meldepraxis war von Anfang an unzulänglich, sagt Stephen Roberts, der an der Universität von Sussex Surveillance-Strategien und deren Bedeutung für internationale Beziehungen erforscht.
    "Eine der größten Herausforderungen war immer die Staatshoheit, sagt er. Aus Angst vor Stigma und wirtschaftlichen Einbußen informierten Regierungen die WHO oft erst spät oder gar nicht."
    "Deswegen sind alternative Berichterstattungsmechanismen nötig – damit wenigstens die Informationen herausgegeben werden und frei zugänglich sind und somit irgendwo eine Reaktion möglich wird."
    Im Jahr 2005 hat die Weltgesundheitsversammlung neue Internationale Gesundheitsvorschriften verabschiedet. Die zwei wichtigsten Veränderungen:
    Fortan sind nicht mehr nur drei, vier Krankheiten und diagnostizierte Fälle meldepflichtig – sondern nun müssen "Ereignisse" gemeldet werden, die die Menschen krank machen könnten; sei es der Ausbruch einer noch unbekannten Infektionskrankheit oder ein Industrieunfall, eine Naturkatastrophe oder ein Problem in einem Atomkraftwerk.
    Zum anderen darf die WHO die Öffentlichkeit auch dann über solch ein Ereignis informieren, wenn die Informationen aus informellen Quellen stammen.
    Stephen Roberts klappt seinen Laptop auf und tippt in die Adresszeile eines Browsers: promedmail.org. ProMED steht für: "Programm für das Monitoring von sich ausbreitenden Krankheiten"; und Mail für den E-Mail-Verteiler.
    "ProMEDMail hilft, Informationen über die Weltgesundheit auszutauschen und zu überprüfen. Es gibt ein Forum, wo Beobachtungen und Berichte ausgetauscht werden; Gesundheitsbeamte bestätigen oder widerlegen Krankheitsausbrüche. Ein Team filtert alle eingehenden Informationen, stellt diese auf die Homepage und mailt sie an die Registrierten. "
    Als ProMEDMail 1994 an den Start ging, war das Programm der Pionier der Online-Frühwarnsysteme.
    Digitale Epidemiologie oder Digital Surveillance nennen Experten solche Alternativen zum staatlichen Berichtswesen. Große Datenmengen und kleine Teams von Experten sowie Medienberichte und Mails aus allen Ecken der Erde werden mehr oder weniger automatisch gesammelt und ausgewertet. So können die Wächter der Weltgesundheit unabhängig von der Staatshoheit und fast in Echtzeit bemerken, wenn irgendwo etwas Ungewöhnliches passiert.
    Stephen Roberts geht auf eine andere Internetseite: healthmap.org. Wie der Name sagt, taucht eine Landkarte auf:
    Im Moment zeigt es England, wo ich lebe und wo ich zuletzt Healthmap aufgerufen habe. Das ist eine interaktive Plattform: Medienberichte werden mit Geodaten auf der Karte vernetzt. Wenn wir jetzt auf den Bereich von Großbritannien schauen, sehen wir acht Alarme. Hier zum Beispiel: Da wird vor Robben in der Stadt Bridlington gewarnt, die wohl eine Grippe haben, die auch auf Menschen übertragen werden kann."
    Sicher, Medienberichte und Mails sind keine Laborbriefe mit konkreten Diagnosen und Fallzahlen. Allerdings können sie Hinweise liefern, dass etwas sprichwörtlich im Busch ist. Zumal Keime heute einfacher denn je um die Welt reisen und immer neue Krankheitserreger entdeckt werden.
    Die Weltgesundheitsorganisation hat deswegen GOARN eingerichtet, das Global Outbreak Alert and Response Network – ein Netzwerk mit mehr als 100 Laboren, Organisationen und anderen Partnern, die helfen, einem Verdacht nachzugehen.
    "Die WHO hat früh erkannt, dass immer mehr inoffizielle Gesundheitsinformationen online zu finden sind, aber ich glaube nicht, dass sie jemals gesagt hat, dass das die traditionelle Surveillance ersetzen soll. Wenn inoffizielle Gesundheitsinformationen aus richtigen Quellen kommen und vernünftig genutzt werden, dann sind sie sehr wertvoll. Das kann traditionelle Mechanismen unterstützen und ergänzen."
    In Guinea kennt allerdings der oberste Gesundheitswächter weder ProMEDmail noch HealthMap. Und so bekommt er nicht mit, dass am 14. März 2014 bei der Online-Zeitung africaguinee.com ein Artikel erscheint mit der Überschrift: "Ein seltsames Fieber bricht in Macenta aus. Mehrere Tote"; und dass dieser Artikel noch am selben Tag bei HealthMap auftaucht.
    Sakoba Keita ist im guineischen Gesundheitsministerium Chef der Abteilung für Prävention und der Verbindungsmann zur Weltgesundheitsorganisation WHO. Heute wird er in Guinea nur noch "Doktor Ebola" genannt: weil er den nationalen Krisenstab gegen die Epidemie koordiniert.
    Es ist wohl Zufall, dass die Gerüchte von mysteriösen Todesfällen ihn doch noch erreichen – am selben Tag und das sogar auf dem Amtsweg.
    Anfang März häufen sich im Krankenhaus von Macenta die mysteriösen Todesfälle. Khalil Savané arbeitet seit gut zwei Jahrzehnten in dem Krankenhaus und ist der neue Klinikchef.
    "In diesem Moment haben wir dann auch kapiert, dass alle Fälle sich auf Dokor Jonas zurückführen ließen. Alle entlang dieser Kontaktkette sind gestorben, einer nach dem anderen."
    Jonas – der kranke Arzt aus Guéckédou – hatte bei seinem Onkel Hilfe gesucht: dem Krankenhaus-Direktor Fassa. Der stirbt kurz darauf, auch sein Sohn, dann sein Bruder und der Fahrer.
    "Das musste also eine sehr ansteckende und tödliche Krankheit sein. Das war der Moment, in dem wir das regionale Gesundheitsamt gewarnt haben: Da ist wirklich eine merkwürdige Krankheit."
    Die Gesundheitsämter und Krankenhäuser in den benachbarten Präfekturen informiert Savané nicht. Informationen werden nur nach oben gegeben. Und so erfährt umgekehrt auch Savané nicht, dass im Krankenhaus von Guéckédou Ähnliches vor sich geht wie bei ihm in Macenta.
    Schluckauf? - Das ist Ebola
    Immerhin: Als das regionale Gesundheitsamt am 14. März 2014 aus Guéckédou und Macenta ähnliche Alarme erhält, leitet es die Informationen sofort ans Gesundheitsministerium in der Hauptstadt weiter.
    Noch am selben Tag schickt Sakoba Keita eine Rundmail an das Krisenkomitee des Ministeriums. Zwei Mitarbeiter von "Ärzte ohne Grenzen" lesen von Schluckauf – und denken: Das ist Ebola. Drei Monate ist es da her, dass in Méliandou der kleine Emile gestorben ist, der "Patient Null" dieser Epidemie.
    In der Informationskette war bis dahin nie von Schluckauf die Rede – in keiner Krankenakte, in keinem Patientenregister. Außer bei Doktor Fassa, dem verstorbenen Klinikdirektor in Macenta. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn dieses so kleine wie wichtige Detail wieder verlorengegangen wäre.
    Wichtige Details sollen in Zukunft erkannt werden
    Guinea will nun seine Surveillance verbessern: Ein paar Dutzend Mitarbeiter des Gesundheitswesens haben einen Crashkurs bekommen in bekannten Infektionskrankheiten und wie man einen Vollschutzanzug an- und auszieht. Ob die Teilnehmer damit zu guten Wächtern der Weltgesundheit werden, ist fraglich.
    Denn solche Projekte verkennen, was gute Surveillance auch bedeutet: noch unbekannte Krankheiten wahrzunehmen; Hilfe zu holen statt Hilfe zu leisten, die man noch nie praktiziert hat; und Informationen über Krankheitsausbrüche nicht nur auf dem Amtsweg zu verteilen, sondern stark vernetzt, über alle verfügbaren Kanäle.
    Längst sollten alle WHO-Mitgliedsländer fähig sein, die Internationalen Gesundheitsbestimmungen zu erfüllen. Doch gerade in Afrika sind viele Länder nach wie vor nicht vorbereitet auf Nuklearkatastrophen oder Epidemien. Auch deswegen hat die Generaldirektorin der WHO gefordert: Wenn die Mitgliedsländer eine stärkere WHO wollen, dann müssten sie fünf Prozent mehr Geld geben als bisher. Doch die Weltgesundheitsversammlung hat das im Mai 2015 abgelehnt.
    Und bei Monica Musenero, der obersten Epidemiologin in Kampala, hat niemand nachgefragt, wie andere Länder die so erfolgreiche Surveillance-Strategie Ugandas nachahmen könnten.
    Was Afrika als nächstes groß treffen wird, ist sicher nicht Ebola. Es wird etwas Ähnliches sein und woanders. Letzten Endes investieren die afrikanischen Gesundheitssysteme sehr, sehr wenig in Surveillance-Systeme.