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Frust im staatlichen Bildungssystem
Warum Privatschulen boomen

Privatschulen werden in Deutschland immer beliebter. Der Bildungsforscher Heiner Barz sieht einen Grund dafür in dem starken Fokus auf Leistung statt auf Persönlichkeitsentwicklungen an den staatlichen Schulen. "Schulen in freier Trägerschaft haben in Deutschland einen größeren Gestaltungsspielraum", sagte Barz im Deutschlandfunk.

Heiner Barz im Gespräch mit Ulrike Burgwinkel | 14.04.2014
    Schüler der privaten Grundschule in Bröbberow stellen auf der Wiese vor dem Schulgebäude ihre Fahrräder ab.
    Privatschulen wie die Freie Schule in Bröbberow haben oft andere Konzepte als staatliche Schulen. Bei vielen Eltern kommt das gut an. (picture alliance / dpa/ Jens Büttner)
    Ulrike Burgwinkel: Die neusten Zahlen vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden belegen eine zunehmende Beliebtheit von Privatschulen in Deutschland. Im Schuljahr 2012/2013 gab es 5.651 allgemeinbildende und berufliche Privatschulen und das sind fast 75 Prozent mehr als noch 1992 und 1993. Es ist also ein anhaltender Zuwachs, der dort konstatiert wird. Den Düsseldorfer Bildungsforscher Professor Heiner Barz von der Heinrich-Heine-Uni habe ich gefragt: Welche Gründe sehen Sie denn in der zunehmenden Beliebtheit von Privatschulen?
    Heiner Barz: Ja, ich glaube, da muss man zwei Sorten von Gründen sozusagen unterscheiden: Der eine Bereich der Gründe ist der, wo Eltern sich vom staatlichen Bildungssystem, von staatlichen Schulen abwenden. Also wo zunächst einmal eine Frustration, Enttäuschung oder eine Unverträglichkeit zwischen dem, was die Kinder wollen, brauchen und was ihnen guttut, und dem staatlichen Schulsystem konstatiert wird und dann die Suche nach Alternativen losgeht. Das ist sozusagen die eine Richtung von Gründen.
    Die zweite Richtung von Gründen möchte ich aber durchaus auch anführen, das ist nämlich die Tatsache, dass es eine Reihe von Privatschulkonzepten gibt – ich spreche übrigens lieber von Schulen in freier Trägerschaft als von Privatschulen, weil mit dem Begriff Privatschulen gerne so ein bisschen eine Assoziationskette in Richtung auf Elite, auf Privatwirtschaft, auf Profitorientierung eventuell sogar einhergeht –, also, bei den Schulen in freier Trägerschaft gibt es auch durchaus einige, die interessante pädagogische Alternativen bieten, die eigene pädagogische Profile haben und insofern für Eltern auch von vornherein, auch ohne die frustrierenden Erfahrungen an staatlichen Schulen von Interesse sind.
    Burgwinkel: Auf welche frustrierenden Erfahrungen sprechen Sie denn da jetzt gerade an?
    Barz: Ja, ich denke, es sind vor allem Erfahrungen, die in Richtung auf Schulangst, in Richtung auf Leistungsdruck, in Richtung auf ein sehr engmaschiges Netz an Forderungen und an Leistungsüberprüfung, an Tests et cetera heute die Schulen erfasst hat. Eine Tendenz, die sozusagen auch immer stärker, immer früher bereits einsetzt und die durch die G8-Diskussion beziehungsweise durch die Umsetzung von G8 noch mal entschieden verschärft wurde. Wir haben seit der ersten PISA-Erhebung, die jetzt schon über zehn Jahre zurückliegt, doch eine starke Tendenz im deutschen Bildungssystem, dass man Leistungen, und zwar stark kognitiv ausgerichtete Leistungen und Leistungsanforderungen, Leistungsüberprüfungen, ganz stark in den Mittelpunkt des schulischen Geschehens rückt und alles andere, was an entwicklungsförderlichen Maßnahmen und Persönlichkeitsentwicklung, an Kreativität, an kulturellen Bildungsangeboten et cetera auch eigentlich zur Schule dazugehört, das ist doch stark in den Hintergrund gerückt.
    Burgwinkel: Und dieses Defizit – meinen zumindest, sagen wir mal, Eltern mit Bildungshintergrund – könne man besser an Schulen in freier Trägerschaft finden, weil die vielleicht mehr Autonomie besitzen? Haben die wirklich mehr Gestaltungsmöglichkeiten?
    Barz: Schulen in freier Trägerschaft haben in Deutschland tatsächlich einen größeren Gestaltungsspielraum. Sie haben größere Freiheiten, sie müssen sich natürlich in der Tendenz an dem orientieren, was staatliche Schulen machen beziehungsweise was dann auch am Ende Schüler, wenn sie Abitur ablegen wollen zum Beispiel, was sie können müssen. Aber der Weg dorthin, mit welchen Methoden sie das machen, auch wie sie in den einzelnen Schuljahren die Lehrpläne konkret gestalten, da gibt es schon einen gewissen Gestaltungsspielraum und den nutzen Schulen in freier Trägerschaft gerne aus. Und gibt es ja ein breites Spektrum. Wenn wir von Schulen in freier Trägerschaft sprechen, dann muss man sich ja auch klarmachen, dass es da ganz unterschiedliche Typen gibt. Es gibt auf der einen Seite einen großen Anteil von katholischen Schulen, die sich jetzt nicht so sehr von staatlichen Schulen unterscheiden. Oder auch evangelischen Schulen. Es gibt die internationalen Schulen, es gibt Europaschulen und es gibt die sogenannten reformpädagogisch orientierten Schulen, also Waldorf, Montessori und andere, die dann tatsächlich ein ganz anderes Schulkonzept umsetzen.
    Burgwinkel: Ich würde gerne noch von Ihnen eine Einschätzung hören diesbezüglich, ob Sie die Entwicklung in Deutschland für einen Trend halten, da ja in den USA und auch in Großbritannien der Trend zur Privatschule schon lange besteht, da aber in erster Linie, weil das wirklich Eliteausbildungsinstitute sind.
    Barz: Ja, auch diesen Trend, glaube ich, gibt es in Deutschland. Also die Bemühung von Eltern für ihre Kinder, gerade von Eltern aus gebildeten beziehungsweise auch aus finanziell bessergestellten Schichten, dass sie für ihre Kinder sozusagen nur das Beste wollen und das eben auch in Richtung auf hochwertigen Schulabschluss und bereits während der Schulzeit eventuell zusätzliche Qualifikationen und eventuell auch zusätzliches Networking passieren kann. Deshalb haben wir auch in Deutschland jetzt zum Beispiel starke Nachfrage nach derartigen Einrichtungen, auch eine verstärkte Verschickung von Kindern auf Internate in der Schweiz oder auf Internate in England. Auch diesen Trend gibt es zunehmend. Aber insgesamt ist das nicht der Trend, der sozusagen die zahlenmäßig größte Bedeutung hat, sondern insgesamt ist das nur ein kleiner Anteil. Und in dieser Hinsicht, wenn wir von diesem kleinen Anteil sprechen, dann ist das sicherlich etwas, was in England und USA eine längere Tradition hat. Obwohl man auch dort natürlich unterscheiden muss die verschiedensten Formen von privaten Schulen. Und wenn wir da über die Grenze direkt nach Frankreich gucken, wo es einen viel höheren Anteil von Schülern an privaten Schulen gibt, dann muss man feststellen: In Frankreich sind die privaten Schulen zum Großteil in der Hand der katholischen Kirche.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.