Archiv


Frustrierte Politikrentner

Abgeordnete sind wichtige Personen: Sie haben einen hoch bezahlten Job mit Büro und Sekretärin, mit Freifahrtschein und jeder Menge sozialer Anerkennung. Doch nach einer verlorenen Wahl kann alles vorbei sein. Was machen Politiker nach dem Mandatsende? Die Dissertation von Maria Kreiner an der Universität Oldenburg geht dieser Frage nach.

Von Mirko Smiljanic |
    Berlin, Deutscher Bundestag, Aussprache zur Europapolitik. Monika Knoche tritt vors Mikrophon. Geboren 1954 im baden-württembergischen Kirrlach. Mit Unterbrechungen seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Erst bei den Grünen, heute parteilos.

    Anschließend meldet sich Markus Löning von der FDP zu Wort. Geboren 1960 im niedersächsischen Meppen, Mitglied des Deutschen Bundestages seit 2002. Fast ein Neuling. Wie lange werden die beiden Volksvertreter ihr Amt noch behalten?

    " Was ist eigentlich, wenn dieses Amt, dass ja in der repräsentativen Demokratie im auf Zeit ist, beim Bundestagsabgeordneten für vier Jahre, wenn die unverhofft aus dem Bundestag ausscheiden? "

    Maria Kreiner, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Osnabrück, hat diese Frage im Rahmen einer Studie 33 ehemalige Bundestagsabgeordneten gestellt - und zum Teil erstaunliche Antworten bekommen.

    "Die sind froh, wenn ich weg bin", "

    hat zum Beispiel einer geantwortet. Und eine andere schob nach:

    " "Es sieht nicht immer und überall so rosig aus. Dieses berühmte - ich glaube von Brecht ist das Zitat - die im Dunkeln sieht man nicht, man sieht immer nur die, die ordentlich kassieren, aber das Heer derjenigen, die auf die Nase fallen, sieht man nicht. Die vielen gescheiterten Existenzen. Es ist nur ein Vierjahresvertrag!"

    Frustration so weit das Auge reicht! Wer hätte das gedacht? Immerhin sind Abgeordnete wichtige Personen, sie haben einen hoch bezahlten Job mit Büro und Sekretärin, mit Freifahrtschein und jeder Menge sozialer Anerkennung.

    "Diese Privilegien, die man im Bundestag doch hat, man schnippt mit den Fingern, dann kommt das Taxi und fährt einen irgendwohin. Alles wird drum herum organisiert."

    Maria Kreiner:
    " Die einen haben sich schon während Mandatszeit versucht klarzumachen, dass alles, was sie an Ansehen bekommen, über das Amt und nicht über die Person läuft, andere wiederum sind davon so überrascht, dass sie noch versuchen auf regionaler Ebene ein Mandat zu erringen, dass sie irgendwelche Aktionen starten, z.B. Sendungen im Radio initiieren. "

    Fast alle bestätigten, dass die Wahl in den Bundestag ein Höhepunkt ihres Lebens. Bezüglich der persönlichen Bedeutung, aber auch bezügliche der finanziellen Ausstattung. Wer ausscheidet, erlebt also notgedrungen Verluste. Bei den finanziellen Verlusten hängt es natürlich stark von den persönlichen Verhältnissen ab, teilweise hat Maria Kreiner große Unterschiede festgestellt. Da sind zunächst einmal Beamte. "Der Bundestag ist mal voller, mal leerer, aber immer voller Lehrer", hatte Otto Graf Lambsdorff schon in den 80-er Jahren festgestellt. Grundsätzlich gilt, Bundestagsabgeordnete haben ein Rückkehrrecht auf ihren alten Arbeitsplatz. Erstaunlicherweise erfuhr Maria Kreiner, dass gerade ehemalige Beamte,...

    " ...gerade nicht mehr zurückzukehren in ihrem Beruf, obwohl sie ein so genanntes Rückkehrrecht haben. "

    Wer hat schon Lust nach zwölf Jahren als begehrter Abgeordneter im Finanzamt Köln-Nord Akten zu stapeln? Zumal sich in der Zwischenzeit fast alles geändert hat. Oder der Arbeitsplatz wegrationalisiert wurde. Also leben die meisten zunächst vom Übergangsgeld: Pro Bundestagsjahr beträgt es ein Monatssalär. Weit komplizierter ist die Situation bei Arbeitern und Angestellten. Sie sind weder pensionsberechtig, so Kreiner,

    " noch haben sie, wenn sie nach vier Monaten keinen Job gefunden haben, ein Anrecht auf Arbeitslosengeld 1, sondern sie fallen unmittelbar dem Hartz IV, wenn man mal so sagen darf, bei und das ist auch einigen Abgeordneten passiert. "Urlaub ist seit fünf Jahren sowieso gestrichen, ich verzichte auf alles, bloß um das Haus noch einigermaßen finanzieren zu können. Und da darf nichts dazwischen kommen. So eine Beule am Auto, die muss bleiben. Sie merken auch ein Stück Verbitterung, die sich dann einstellt, wenn man fünf Jahre lang wirklich kaum noch ruhig schlafen kann und jeden Abend im Bett Kassensturz macht."

    Zwei Prozent aller Abgeordneten aus dem Westen werden arbeitslos und beziehen Hartz 4, in den neuen Bundesländern liegt dieser Wert bei acht Prozent. Selbst wenn die ehemaligen Volksvertreter arbeiten wollen, finden sie nichts - ein Schicksal, das sie mit vielen anderen Bürgern teilen. Und die Partei? Hilft die Partei?

    Kreiner: " Theoretisch mag man das denken, praktisch gibt es aber so viele Nachfolger, die jetzt selbst reüssieren wollen, und dann gibt es jetzt nicht diese Fürsorge, dass man sich um die Parteikollegen kümmert, weil einem das er mal selber widerfahren kann, sondern man sagt, OK das Mandat hat jetzt jemand anders und jeder muss gucken wie erfolgreich ist und wie er sein Amt behalten kann. "



    " "Ich kenne Abgeordnete, die nach etwa sieben Jahren Bundestagszugehörigkeit zunächst mal auf die Sozialhilfe angewiesen waren, die auch zu stolz waren, weil man sie abgeschossen hatte, sich von der Partei helfen zu lassen, die erst, nachdem es ihnen so richtig dreckig ging, die Partei haben ein bisschen einspringen lassen."

    Natürlich fällt nicht jeder Abgeordnete in ein tiefes Loch, erstaunlich viele sind es aber doch. Wobei allerdings den Volksvertretern auch klar sein muss: Geld und Anerkennung sind nicht alles. Außerhalb des Bundestages gibt auch noch ein Leben!

    "Ich habe es auch als Erleichterung empfunden, dass ich bestimmte Dinge nicht mehr machen muss. Ich fand das auch lästig, wenn ich den ersten Flieger nehmen musste. Da hat der Wecker um vier geklingelt und mein Mann sagte: das ist für Dich! Natürlich, die erste Zeit kommt man sich ganz wichtig vor, weil man dazugehört. Aber ich hatte das Gefühl nach dem Ausscheiden aus dem Mandat, jetzt hast du auch mal Zeit für dich und für Dinge, für die du nie im Leben Zeit hattest."