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Führen in der Krise

Eine Million Arbeitskräfte könnte die Wirtschaftskrise im laufenden Jahr kosten, noch mal so viel Beschäftigte werden wohl kurzarbeiten müssen. Wer noch einen Job hat, fühlt sich unter Druck, das gilt auch für Führungskräfte und Personaler. Wie sie dem standhalten und in der Krise den Überblick behalten, das ist ein Hauptthema auf der Wiesbadener Fachmesse für Personal und Weiterbildung.

Von Anke Petermann | 05.06.2009
    "Wir sind alle erschüttert durch diese Krise", gibt die selbständige Führungskräfte-Entwicklerin Regina Bergdolt offen zu. Sie fürchtet, dass sich der grassierende Personalabbau zu Massenentlassungen hochschaukeln könnte. Die Stimmung auf der diesjährigen Personal- und Weiterbildungsmesse in Wiesbaden ist anders, beobachtet die Unternehmensberaterin, die aus Mannheim angereist ist:

    "Mir scheint's ein bisschen gedrückter zu sein, auch verhaltener, es sind auch nicht so viele Personaler da, zumindest heute wie man's sonst kennt."

    Die vormals angestellte Personalerin und heutige Alleinunternehmerin weiß, welche Krisenszenarien den führenden Mitarbeiter in der Personalabteilung quälen:

    "Er wird outgesourct, er wird überflüssig, er wird absorbiert vom Geschäft. Das sind durchaus Theorien, die durchaus nicht beruhigend sind für die Personalarbeit."

    Die Anforderungen an die selbst verunsicherten Führungskräfte wachsen indes: Sie sollen den Überblick über turbulente Märkte behalten, mit weniger Personal mehr Output schaffen, aufgescheuchten Mitarbeitern Orientierung geben. Manche aber, so beobachtet Klaus Niemöller von Lufthansa Technical Training, können unter Druck nur noch eines: Härte zeigen und Kontrolle verschärfen. Niemöller plädiert dafür, den psychischen Druck zu vermindern. Seine Tipps: flexible Geschäftsmodelle entwickeln und offen sein, was die Lage des Unternehmens angeht. Vor allem, wenn Kurzarbeit und Entlassungen anstehen, komme es darauf an,

    "dann wirklich schnell und ehrlich das zu kommunizieren und dann auch möglichst eine schnelle Trennung herbeizuführen. Alles andere ist für alle Beteiligten nicht sehr angenehm. Und es ist auch das Thema Wertschätzung für die, die noch da bleiben, die sehen dann, wie wird das eingestielt , wie werden die Mitarbeiter entlassen, was ist dort letztendlich die Kultur des Hauses. Und hier offen und ehrlich miteinander zu kommunizieren, die Zahlen, die Daten und die Fakten auf den Tisch zu legen, erzeugt eher Verständnis über das, was dort ansteht."

    Und die Führungskräfte müssen die Lage ja nicht unbedingt mit trockenen Vorträgen und langen Statistiken erklären. Als innovative Möglichkeit, Mitarbeiter Visionen von verbesserter Zusammenarbeit im Unternehmen selbst erarbeiten zu lassen, bietet eine Hamburger Werbeagentur an, sogenannte Dialogbilder zu erstellen. Sie geben plastisch wieder, wie ein Produktionsbereich oder eine Abteilung nach Ansicht des Managements derzeit funktioniert. 15, 20 Mitarbeiter gruppieren sich dann abteilungsübergreifend um die zwei mal einen Meter große Darstellung. Ein bisschen wirkt sie wie die überdimensionale Seite eines Wimmel-Bilderbuchs. Die Mitarbeiter und eine Führungskraft als Moderator sprechen darüber, wo sie sich selbst in diesem Bild sehen, wie sie Arbeitsabläufe zeitsparender gestalten können und was zum Beispiel die vernagelte Tür zwischen dem Bereich der Mechaniker und der Verwaltung bedeutet. Tom Becker, bei der Werbeagentur Ecke zuständig für die Dialogbilder:

    "Das ist natürlich sehr vereinfacht dargestellt zwischen den Administrativen und den Mechanikern, die zugenagelte Tür, sorgt da aber auch gleich wieder für die Diskussion, wie schafft man es, den Knoten zum Platzen zu bringen, dass man denen vor Augen führt, dass die Kommunikation leidet. Man schafft's nicht, indem man sagt, ihr könntet mal ab und zu einen Kaffee trinken, sondern zeigt denen anhand eines sehr aggressiven Beispiels, wie es überspitzt gesehen wird, und dadurch entstehen bei diesen Schulungen die Diskussionen: ja, so ist es ja gar nicht. Und dann fängt gleich der nächste an: Ja doch, letztens hatte ich das Beispiel, dass ihr mich nicht habt sehen wollen. Und daraus entsteht dann der Dialog mit Lösungsansätzen."

    Die aus den USA importierte Methode hat der Hamburger Webeagentur einen kleinen Aufschwung verschafft.

    "Zurzeit ist es so, dass unser Kundenstamm extrem wächst, dass wir aus allen Richtungen hören, dass Visionen, Strategien, Veränderungsprozesse dargestellt, kommuniziert werden müssen, und momentan haben wir dadurch ne ganz gute Auftragslage, also wir profitieren von der Krise, ja."

    Knapper fällt das Fazit der selbständigen Personalentwicklerin Regina Bergdolt aus: "Ich hatte nicht erwartet, dass sich die Aufträge in der Krise verfünffachen", sagt sie:

    "Also, man muss sich mehr anstrengen, aber das empfinde ich als positiv, weil ich glaube, dadurch kriegt man ein Fundament für die Zukunft."