Dina Netz: Ich habe mit einem der beiden Autoren der Studie, mit Oliver Decker, gesprochen und ihn gefragt, was sind denn nun die Ergebnisse. Wie kommen die Befragten zu ihren rechtsextremen Ansichten?
Oliver Decker: Wir haben gesehen, dass diese rechtsextremen Einstellungen verschiedene Faktoren und Ursachen im Hintergrund haben. Wir haben da unterschieden nach allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir haben unterschieden nach den familiären Bedingungen des Aufwachsens, und wir haben auch den historischen Hintergrund beleuchtet. Und bei den allgemeinen Bedingungen müssen wir feststellen, dass die Ausländerfeindlichkeit als deutlichstes Maß Rechtsextremismus einen Hintergrund hat. Die Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus sind der Sonderfall eines allgemeinen Normierungsdrucks und eines allgemeinen Gewaltverhältnisses in der Gesellschaft. Das heißt, viele Teilnehmende, auch ohne Migrationshintergrund, haben Stigmatisierungserfahrung gemacht. Und genauso, wie sich auf Migranten das Ressentiment richten kann, kann es sich auf andere richten. Und wenn man sich überlegt, wie man dem Rechtsextremismus begegnen möchte, muss man auch hier ansetzen an diesem allgemeinen Gewaltverhältnissen der Gesellschaft. Das findet sich auch als Ursache eben in der Erziehung wieder. Wir konnten feststellen, dass es einen sehr deutlichen Zusammenhang gibt zwischen einer gewaltvollen antidemokratischen Erziehung und eben einer antidemokratischen Einstellung. Im Hintergrund, den geschichtlichen Hintergrund mussten wir feststellen, dass es tatsächlich eine ganz spezifische deutsche Aufladung der Desintegrationserfahrung gibt, diese These gibt es ja lange. Wir haben in verschiedenen Forschungsergebnissen in unseren Studien, aber auch von Kollegen feststellen müssen, dass es einen Zusammenhang gibt mit drohender Abstiegserfahrung oder erfahrener Abstiegserfahrung und dem Rechtsextremismus.
Netz: Das ist jetzt das, entschuldigen Sie, Herr Decker, was Sie die nazistische Plombe in Ihrer Untersuchung nennen. Das müssten Sie uns noch mal genauer erklären.
Decker: Genau. Wir haben dieses Bild gewählt, um zu kennzeichnen, wie tatsächlich, auch wenn NS-Vergangenheit heute nicht mehr verherrlicht wird, trotzdem die NS-Geschichte Deutschlands bis heute fortwirkt. Wir sagen, wir konnten feststellen in den Gruppendiskussionen, dass Wohlstandserfahrung beziehungsweise die Angst davor, Wohlstand zu verlieren, ein sehr zentrales Motiv war, was immer auch gekommen ist. Und wir konnten auch feststellen, dass sowohl in der individuellen Biografie der Teilnehmenden als auch familiären damit verbunden worden ist mit dem Wohlstand eine Zäsur nach dem Krieg, dass es etwas gewesen ist, was sehr eng mit der Nachkriegserfahrung verbunden gewesen ist, wo auch häufig darauf verwiesen worden ist. Und wir sagen, diese Wohlstandserfahrung, der Wohlstand für alle, war ein nazistischer Ausgleich für das verlorene Größenselbst, das ja durch die nationalsozialistische Ideologie ein zentrales Element gewesen ist, mit dem sich viele Deutsche identifiziert haben, viele nichtjüdische Deutsche identifiziert haben mit der Vorstellung eines Herrenmenschentums, eines Ariertums. Und diese nazistischen Größenfantasien mussten nach dem Krieg verloren gegeben werden. Es wäre auch notwendig gewesen, neben dieser Reflektion über diese Größenfantasien auch die Schuld und die Scham anzuerkennen über den Angriffs- und Vernichtungskrieg, der von Deutschland ausgegangen ist. Genau das ist nicht passiert, sondern an die Stelle dieses verlorenen Größenselbst trat die harte D-Mark und dieses Gefühl, wir sind wieder wer, welches aus der Wohlstandserfahrung resultierte, diese nazistische Plombe setzte sich in die Lücke, die vorher da gewesen ist, beförderte auch die formale Zustimmung zur Demokratie. Aber wir können jetzt feststellen, in dem Moment, wo Wohlstand bedroht ist, dann lockert sich diese Plombe. Und was zum Vorschein kommt, sind durchaus viel ältere antidemokratische Einstellungen, die hier sichtbar werden und die im Grunde verdeckt gewesen sind.
Netz: Herr Decker, Sie haben nun 150 Personen befragt für Ihre Studie. Das ist ja nicht ganz repräsentativ. Was kann man jetzt eigentlich für Schlüsse über die deutsche Gesellschaft aus diesen Ergebnissen ableiten?
Decker: Wir haben diesmal tatsächlich nicht repräsentativ ein Sample ausgewählt, sondern wir haben auch versucht, nicht Häufigkeiten zu erfassen, sondern Strukturen im Hintergrund. Die kann man auch erfassen, wenn man nicht eine repräsentative Stichprobe hat. Und wir wollten in Erfahrung bringen, wie interagieren, wie hängt eigentlich zusammen, was wir auch schon kennen, wie wirken individuelle gesellschaftliche und historische Faktoren zusammen. Und das sind Dinge, die durchaus auch verallgemeinerbar sind, die allerdings natürlich einen anderen Hintergrund haben als die Repräsentativerhebungen in der Zufallstichprobe. Hier geht es nicht darum, wie häufig taucht etwas auf, sondern wie funktioniert das eigentlich. Und über diese Funktion, dieses Funktionieren haben wir jetzt Auskunft erhalten, über das Zusammenspiel. Und das, denke ich, lässt sich durchaus auch verallgemeinern. Diese Erkenntnis zum Beispiel über die nazistische Plombe ist eine, die weit über die Teilnehmenden hinausreicht. Es stehen ja bei uns nicht die Teilnehmenden zur Disposition, sondern eben Strukturen, unter den sich antidemokratische und rechtsextreme Einstellungen ausbilden.
Netz: "Blick in die Mitte", so heißt die Studie, über die ich mit Oliver Decker gesprochen habe, einem der Autoren.
Oliver Decker: Wir haben gesehen, dass diese rechtsextremen Einstellungen verschiedene Faktoren und Ursachen im Hintergrund haben. Wir haben da unterschieden nach allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir haben unterschieden nach den familiären Bedingungen des Aufwachsens, und wir haben auch den historischen Hintergrund beleuchtet. Und bei den allgemeinen Bedingungen müssen wir feststellen, dass die Ausländerfeindlichkeit als deutlichstes Maß Rechtsextremismus einen Hintergrund hat. Die Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus sind der Sonderfall eines allgemeinen Normierungsdrucks und eines allgemeinen Gewaltverhältnisses in der Gesellschaft. Das heißt, viele Teilnehmende, auch ohne Migrationshintergrund, haben Stigmatisierungserfahrung gemacht. Und genauso, wie sich auf Migranten das Ressentiment richten kann, kann es sich auf andere richten. Und wenn man sich überlegt, wie man dem Rechtsextremismus begegnen möchte, muss man auch hier ansetzen an diesem allgemeinen Gewaltverhältnissen der Gesellschaft. Das findet sich auch als Ursache eben in der Erziehung wieder. Wir konnten feststellen, dass es einen sehr deutlichen Zusammenhang gibt zwischen einer gewaltvollen antidemokratischen Erziehung und eben einer antidemokratischen Einstellung. Im Hintergrund, den geschichtlichen Hintergrund mussten wir feststellen, dass es tatsächlich eine ganz spezifische deutsche Aufladung der Desintegrationserfahrung gibt, diese These gibt es ja lange. Wir haben in verschiedenen Forschungsergebnissen in unseren Studien, aber auch von Kollegen feststellen müssen, dass es einen Zusammenhang gibt mit drohender Abstiegserfahrung oder erfahrener Abstiegserfahrung und dem Rechtsextremismus.
Netz: Das ist jetzt das, entschuldigen Sie, Herr Decker, was Sie die nazistische Plombe in Ihrer Untersuchung nennen. Das müssten Sie uns noch mal genauer erklären.
Decker: Genau. Wir haben dieses Bild gewählt, um zu kennzeichnen, wie tatsächlich, auch wenn NS-Vergangenheit heute nicht mehr verherrlicht wird, trotzdem die NS-Geschichte Deutschlands bis heute fortwirkt. Wir sagen, wir konnten feststellen in den Gruppendiskussionen, dass Wohlstandserfahrung beziehungsweise die Angst davor, Wohlstand zu verlieren, ein sehr zentrales Motiv war, was immer auch gekommen ist. Und wir konnten auch feststellen, dass sowohl in der individuellen Biografie der Teilnehmenden als auch familiären damit verbunden worden ist mit dem Wohlstand eine Zäsur nach dem Krieg, dass es etwas gewesen ist, was sehr eng mit der Nachkriegserfahrung verbunden gewesen ist, wo auch häufig darauf verwiesen worden ist. Und wir sagen, diese Wohlstandserfahrung, der Wohlstand für alle, war ein nazistischer Ausgleich für das verlorene Größenselbst, das ja durch die nationalsozialistische Ideologie ein zentrales Element gewesen ist, mit dem sich viele Deutsche identifiziert haben, viele nichtjüdische Deutsche identifiziert haben mit der Vorstellung eines Herrenmenschentums, eines Ariertums. Und diese nazistischen Größenfantasien mussten nach dem Krieg verloren gegeben werden. Es wäre auch notwendig gewesen, neben dieser Reflektion über diese Größenfantasien auch die Schuld und die Scham anzuerkennen über den Angriffs- und Vernichtungskrieg, der von Deutschland ausgegangen ist. Genau das ist nicht passiert, sondern an die Stelle dieses verlorenen Größenselbst trat die harte D-Mark und dieses Gefühl, wir sind wieder wer, welches aus der Wohlstandserfahrung resultierte, diese nazistische Plombe setzte sich in die Lücke, die vorher da gewesen ist, beförderte auch die formale Zustimmung zur Demokratie. Aber wir können jetzt feststellen, in dem Moment, wo Wohlstand bedroht ist, dann lockert sich diese Plombe. Und was zum Vorschein kommt, sind durchaus viel ältere antidemokratische Einstellungen, die hier sichtbar werden und die im Grunde verdeckt gewesen sind.
Netz: Herr Decker, Sie haben nun 150 Personen befragt für Ihre Studie. Das ist ja nicht ganz repräsentativ. Was kann man jetzt eigentlich für Schlüsse über die deutsche Gesellschaft aus diesen Ergebnissen ableiten?
Decker: Wir haben diesmal tatsächlich nicht repräsentativ ein Sample ausgewählt, sondern wir haben auch versucht, nicht Häufigkeiten zu erfassen, sondern Strukturen im Hintergrund. Die kann man auch erfassen, wenn man nicht eine repräsentative Stichprobe hat. Und wir wollten in Erfahrung bringen, wie interagieren, wie hängt eigentlich zusammen, was wir auch schon kennen, wie wirken individuelle gesellschaftliche und historische Faktoren zusammen. Und das sind Dinge, die durchaus auch verallgemeinerbar sind, die allerdings natürlich einen anderen Hintergrund haben als die Repräsentativerhebungen in der Zufallstichprobe. Hier geht es nicht darum, wie häufig taucht etwas auf, sondern wie funktioniert das eigentlich. Und über diese Funktion, dieses Funktionieren haben wir jetzt Auskunft erhalten, über das Zusammenspiel. Und das, denke ich, lässt sich durchaus auch verallgemeinern. Diese Erkenntnis zum Beispiel über die nazistische Plombe ist eine, die weit über die Teilnehmenden hinausreicht. Es stehen ja bei uns nicht die Teilnehmenden zur Disposition, sondern eben Strukturen, unter den sich antidemokratische und rechtsextreme Einstellungen ausbilden.
Netz: "Blick in die Mitte", so heißt die Studie, über die ich mit Oliver Decker gesprochen habe, einem der Autoren.