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Fünf Achsen für ein paar Tonnen Cornflakes

Es ist ein tägliches Wettrennen mit der Zeit. Ein Kampf gegen die Uhr, gegen die Konkurrenz. Immer in Sorge vor der nächsten Polizeikontrolle. Die Europäische Union fordert bessere Sicherheitsstandards. Eine Beschränkung der Arbeitszeiten für Brummifahrer auf höchstens 60 Wochenstunden. Die Einhaltung der Lenkzeiten. Eine Harmonisierung der Fahrverbote an den Wochenenden. Nicht alle sind so verantwortungsbewusst wie Edmond.

Von Ernst-Ludwig von Aster und Wojtek Mroz |
    Der Strahl des Hochdruckreinigers zischt über die rote Ladeplane. Edmond lehnt sich im Fahrersitz zurück. Blättert im Straßenatlas. Letzte Reinigung vor der großen Fahrt.

    "Ich fahre zuerst Richtung Genf. Zu einem kleinen Ort auf der französischen Seite. Ich transportiere Cornflakes von der Firma Nestle. Damit die Franzosen auch was zu beissen haben."

    Cornflakes, hergestellt vom Schweizer-Konzern Nestle in Polen. Für die Cerealien-Freunde in Frankreich. Edmond lächelt. Nein, dazu will er lieber nichts sagen. Was er anschließend als Ladung wieder mitnimmt, das steht noch nicht fest:

    "Die Spedition aus England besorgt mir die Ladung. Vielleicht für Frankreich. Für Italien. Nein, für Deutschland eher nicht. Also, ich weiß nicht. Aber erstmal werde ich wohl nach England fahren, weil dort die Spedition sitzt."

    Also erstmal Richtung Genf. Mit den Cornflakes. Und dann weitersehen. Wohin ihn die nächste Ladung führt. Nichts Neues für den 38jährigen. Seit gut vier Jahren sitzt er hinterm Steuer.

    " Wissen Sie, ich wohne nur sechs Kilometer vom Grenzübergang Forst entfernt, also da brauchte ich nie lange warten. Die anderen standen 48 Stunden und länger, am allerschlimmsten war immer der Montag, da musste man sich schon am Wochenende anstellen. In der Nacht zum 1. Mai letztes Jahr, da stand ich auch mit meinem Wagen vor der Grenze. Und um Mitternacht hieß es, Heja, los geht's"

    Wenn er daran denkt, muss er immer noch grinsen - wie sich die ganze Lkw-Karawane auf einmal in Bewegung setzte.

    "Es ist so, über die Grenzen kommt man jetzt viel schneller. Aber dafür muss man jetzt oft zwei bis drei Tage auf die Ladung warten. Das liegt an den Spediteuren, die Lkw aber kommen schneller voran"

    Edmond winkt kurz einem Kollegen zu, der auf den Betriebshof rollt. Der Mann am Hochdruckreiniger gibt ein Zeichen. Zeit, den Reinigungsplatz frei zu machen.

    "Es ist ein Renault Magnum 440. Der Wagen hat nur 400 Kilometer runter, das ist eine ganze neue Maschine."

    Einige hundert PS. Mit Auflieger fünf Achsen: Gesamtlänge: 16 Meter. Klimaanlage, höhenverstellbarer Fahrersitz. Kühlschrank. Alles neu. Das Cockpit riecht nach Plastik. Kein Aufkleber, kein Namensschild, keine Wimpel – nichts verziert die Fahrerkabine:

    "Keiner außer mir fährt diesen Wagen. Das Auto ist ganz neu und nicht beschmuddelt. Aber wegen der deutschen Polizei dürfen wir nichts ranhängen. Wir kriegen sonst Punkte. An der Grenze müssen wir sogar Aufkleber abmachen, wenn die Beamten schlecht gelaunt sind. In Holland dagegen ist es bunt, wir sehen die Trucks von dort, die haben mehr Lichter als ein Weihnachtsbaum. Mit der Polizei ist es wie mit dem Lottospielen."

    Und da spielt Edmond lieber auf Nummer sicher. Als EU-Neubürger. Auch, wenn er seinem Lkw so keine persönliche Note geben kann. In dem er acht Stunden pro Tag fährt. Und nachts schläft

    "Bei dieser Firma werden wir lange hinterm Steuer sitzen. So ungefähr zwei bis drei Wochen. Eigentlich möchte ich am Wochenende zuhause sein, aber das geht nicht. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist schlecht. Und da muss man sich entscheiden."

    Und deshalb wird er die nächsten zwei bis drei Wochen durch Europa fahren. Erst mit den Cornflakes nach Genf. Und dann weitersehen, wohin ihn die Spedition schickt. Rund 500 Euro, mal etwas mehr, mal etwas weniger – verdient er so im Monat. Und wenn er Glück hat, schafft er es, ein Wochenende zu hause zu sein.

    "Wenn ich zuhause bin, dann habe ich ein Privatleben. Aber die Zeit vergeht sehr schnell. Ich habe auch Kinder, aber es fehlt die Zeit etwas zu unternehmen."

    In den letzten Sommerferien, da hat er seinen achtjährigen Sohn mitgenommen. Polen, Deutschland, Frankreich, Spanien. Einmal zwei Wochen mit dem Vater. Europa durch die Windschutzscheibe.

    Der Reparaturbedarf wird immer größer – für die normierten 40-Tonner, die bei Frost und Hitze auf den Asphalt drücken, sind die europäischen Autobahnen im Grunde alle nicht gemacht. Die Landstraßen in Polen aber schon gar nicht. Und so hat der Bürgermeister von Guben seit dem polnischen EU-Beitritt noch mehr Sorgen mit seiner Straße.