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Fünf Jahre nach der Lehman-Pleite

Vor fünf Jahren - am 15. September 2008 - meldete in New York das 158 Jahre alte Bankhaus Lehman Brothers Insolvenz an. Diese Pleite löste eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise aus. In Deutschland verloren Zehntausende von gutgläubigen Sparern ein Vermögen von mehr als einer halben Milliarde Euro.

Von Kay Bandermann |
    Als die Eheleute Brinkgerd aus Bünde in Ostwestfalen an einem Montagmorgen in der Zeitung von der Lehman-Pleite in den USA lasen, blieben sie zunächst ruhig.

    "Dann habe ich zu meinem Mann gesagt: Das betrifft uns ja nicht, denn wir haben unser Geld ja in Holland. Wir hatten mit Amerika, so glaubte ich, nichts zu tun."

    Bankberater Tim Garsztka aus Bochum ahnte, dass es anders kommen würde. Auch er hatte vielen seiner Kunden die Lehman-Zertifikate verkauft. Bei ihm stand an diesem 15. September das Telefon nicht still.

    "Bescheiden war der Tag. Sie können sich natürlich vorstellen, dass ich mich mit meinen Kollegen sofort vor den PC gesetzt habe. Was heißt das dann für die Leute, die dann auch Geld angelegt haben? Was bedeutet das?"

    Tim Garsztka war damals Mitte 20 und hatte Spaß an seinem Beruf: am Umgang mit den Menschen, an der Verantwortung, den Kunden bei dem sensiblen Thema "Geldanlage" zu helfen. Durch den Lehman-Crash merkte er, dass seine Berufsauffassung nicht zu der Art passte, wie in dieser Bank gearbeitet wurde.

    "Das hat vor allem ausgelöst, dass ich mich dazu entschieden habe, Dinge nicht mehr unbedingt über die Rendite zu definieren und Dinge immer nur an den Mann bringen zu müssen, weil man vielleicht 14 Prozent dafür erhält, sondern vielleicht mehr darauf achtet: Was ist Qualität? Was möchte denn der Kunde definitiv?"

    Tim Garsztka kündigte und arbeitet heute bei einer Sparkasse – und ist dort viel zufriedener. Es geht ihm jetzt um Qualität und nicht mehr vor allem um Rendite.

    Auch die Brinkgerds aus Bünde glaubten lange Zeit, es mit einer solchen Beraterin zu tun zu haben.

    "Sie hat sich ja für alles interessiert. Sie hat sich Bilder vom Garten mitbringen lassen. Sie hat sich Fotos vom Urlaub angeschaut. Und irgendwann bahnte sich dann auch eine Schwangerschaft bei ihr an. Da hat sie uns auch gleich von erzählt."

    In dieser Atmosphäre investierte das Rentnerehepaar 65.000 Euro in Lehman-Zertifikate – zur Altersvorsorge. Risiken wurden ausgeschlossen. Jetzt beschäftigt der Fall die Gerichte. Und die Brinkgerds wollen nichts mehr mit Banken zu tun haben.

    "Egal, was die mir erzählen: Ich fange sofort an zu denken, was wollen die wirklich?"
    Dieses Misstrauen ging an vielen Bankern nicht spurlos vorbei, sagt der Personalberater Thorsten Kersting aus Dortmund. Er hat vielen Angestellten von Privatbanken geholfen, eine andere Stelle zu finden – vor allem bei Sparkassen und Volksbanken.

    "Der Grund ist, dass sie den Zahlendruck, den Vertriebsdruck, nicht mehr nachgehen wollen. Wo es bei vielen Instituten Zieldaten gibt, die genau vorsehen, wie viel Bauspargeschäft, wie viel Riestergeschäft, wie viel Anlagegeschäft mit welchen Fonds etc. sind vorgesehen – die umgesetzt werden müssen."

    Sinnkrisen und Wechselbereitschaft gab es nicht nur bei den Kundenberatern in den Filialen, sondern auch in den Frankfurter Bankentürmen. Sikandar Siddiqui ist ein Deutscher mit indischen Wurzeln, der sich als Finanzmathematiker lange Zeit wohlgefühlt hat in der Welt der Nadelstreifen und Bonuszahlungen. Lehman-Pleite und Finanzmarktcrash haben beim ihm und vielen seiner Kollegen ein tiefes Gefühl der Verunsicherung ausgelöst.

    "Selbst, wenn ich nicht unmittelbar an Entscheidungen beteiligt war, war ich als Rad im Getriebe Teil des Ganzen. Und für mich persönlich hat es seinerzeit schon bedeutet, dass ich gesagt habe: Was würde der Mensch, der ich vor 20 Jahren gewesen bin, was würde der über mich heute denken?"

    Ein solches Zeichen der Selbstkritik hat der um sein Lehman-Geld gebrachte Karl-Heinz Brinkgerd von seiner Beraterin bis heute nicht gehört – im Gegenteil.

    "Da kommt keine Entschuldigung. Und da kommt nichts. Und dass wir im Unrecht sind und selber Schuld haben."