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Fünf Jahre REACH

Wie viele Chemikalien in der Industrie verwendet werden, wie viele in unseren Alltagsprodukten stecken - niemand weiß es so genau. Licht ins Dunkel soll REACH bringen, eine EU-Verordnung zur Registrierung chemischer Stoffe, die vor fünf Jahren in Kraft trat. Das Ziel: Verbraucher und die Umwelt sollen besser vor gefährlichen Chemikalien geschützt werden.

Von Hellmuth Nordwig | 05.12.2012
    Genau 851 Seiten hat die deutsche Fassung der EU-Chemikalienverordnung REACH. Die Abkürzung bedeutet "Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien". Es geht um mehrere Zehntausend Stoffe - REACH ist ein Projekt für Jahrzehnte.

    "Es ist ein äußerst kompliziertes Regelwerk, REACH. Eigentlich das Komplizierteste, was es bisher zu Chemikalien gegeben hat. Und darum ist auch die Bewertung nach fünf Jahren - was funktioniert gut, was kann noch verbessert werden - schwierig", "

    sagt Dirk Bunke, REACH-Experte am Freiburger Öko-Institut. REACH ist seit fünfeinhalb Jahren in Kraft. Inzwischen ist die erste Phase, nämlich der Buchstabe R, die Registrierung, in vollem Gange. Bereits bis Ende 2010 mussten Firmen bei der Europäischen Chemikalienbehörde alle Substanzen und Stoffgemische melden, die sie in größerem Umfang herstellen oder einsetzen. Das waren 4600 Chemikalien. Zu jeder davon haben die Unternehmen umfangreiche Dokumentationen geliefert - vom Schmelz- und Siedepunkt einer Substanz bis hin zu ihrer Wirkung auf Fische. Im Auftrag der EU-Kommission hat das Öko-Institut jetzt eine Zwischenbilanz gezogen.

    ""Wir haben aus den Stoffen, die von REACH betroffen sind, 240 ausgesucht. Es sind ganz unterschiedliche Stoffe. Es sind organische Chemikalien dabei, es sind Metallverbindungen dabei und es gibt eine Gruppe von 25 Stoffen, die besonders problematische Eigenschaften haben und wo in REACH sehr genau geschaut wird, dass sie sicher verwendet werden können oder dass sie ersetzt werden."

    Die 240 Substanzen bilden das gesamte Spektrum an Chemikalien repräsentativ ab. Anhand dieser Stichprobe wollen die Experten langfristig beurteilen: Hat REACH einen Einfluss darauf, wie die Hersteller zukünftig mit diesen Substanzen umgehen? Erfahren Verbraucher mehr über die Gefahren, gibt es strengere Arbeitsschutzvorschriften? Oder verschwinden bestimmte Chemikalien ganz aus den Alltagsprodukten? Zunächst haben die Fachleute des Öko-Instituts sich durch die Datenberge zu den 240 Stoffen gegraben, welche die Firmen im Rahmen der Registrierung eingereicht haben. Dabei wurde deutlich: Über die Stoffe aus dieser Stichprobe ist heute tatsächlich mehr bekannt als vor fünf Jahren - und das hat erste Auswirkungen.

    "Wenn Sie aufgrund von neuen Daten herausgefunden haben: Wenn Sie den Stoff auf die Haut bekommen, kann es bei mehrmaligem Kontakt zu heftigen allergischen Reaktionen und Krankheitsbildern bei Ihnen kommen - wenn Sie das wissen für Ihren Stoff, können Sie Ihren Kunden sagen: Wenn ihr den nehmt, dann müsst ihr zum Beispiel Schutzhandschuhe anziehen. Und Sie können dann auch sagen, welche Schutzhandschuhe und wie lange sie reichen."

    In anderen Bereichen gibt es aber noch deutliche Lücken im Datenbestand. Darunter sind ausgerechnet die sogenannten "besonders besorgniserregenden Stoffe", die zum Beispiel Krebs auslösen können. Da soll das E von REACH, die Bewertung dieser Substanzen, eigentlich helfen Grenzwerte festzulegen, jenseits derer nur minimale Effekte zu erwarten sind. Dafür hat die Industrie die entscheidenden Angaben aber nicht immer geliefert, beklagt Dirk Bunke.

    "Zum Beispiel eine genaue Beschreibung: Was heißt denn 'minimal'? Heißt minimal: Von hunderttausend Personen, die belastet sind, hat einer eine Auswirkung? Oder von zehntausend Leuten? Die Frage, auf welche Zahl von Personen habe ich mich bezogen, solche Angaben haben mitunter gefehlt in den Registrierungsdossiers, und dann ist es schwer einzuschätzen, was von dem Wert zu halten ist."

    Ganz am Anfang steht noch der Buchstabe A, die Autorisierung oder Zulassung von Stoffen, und erst für 14 Chemikalien haben Experten ein Verbot vorgeschlagen. Doch so weit ist es noch lange nicht. Immerhin: Nach fünf Jahren bescheinigt die Studie des Öko-Instituts REACH erste positive Wirkungen. Dass es noch Defizite gibt, war bei diesem Mammutprojekt kaum anders zu erwarten.