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Fünf Meter 70 über Normal Null

Der "nordische Tsunami" in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 gilt bis heute als deutsche Jahrhundertflut. Die gierige Nordsee erbeutete in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein rund 350 Tote, Tausende wurden obdachlos. Die Gefahr ähnlicher Flutkatastrophen ist nicht gebannt.

Von Rainer Burchardt | 16.02.2012
    "Alles verloren - also nackend oder mit Hemd oben auf dem Dach, nicht. Also meine Mutter hatte die Leute gerettet hier, die wir heute vor uns sehen, sie ist 71 Jahre alt. Ja , sie hat geklopft sonst wären wir im Bett ertrunken, ja die alte Frau hat uns geweckt, wir wären sonst ertrunken, wir haben fest geschlafen. Die alte Frau ist rübergeklettert und hat uns noch rausgeschmissen in allerletzter Minute, da standen wir am Bauch schon im Wasser."

    "Sie haben das zuerst gemerkt?"

    "Ja, ich habe das schon gemerkt, wie es bis an die Knie stand. Da bin ich aufgestanden, habe mich ein bisschen angezogen und dann habe ich meine Nachbarin hier, Frau Köhler geweckt, mit drei Kindern, dann bin ich hier noch rüber, über die Hecke geklettert, und da hab ich hier Frau Rimkus gerettet, mit Mann und drei Kindern."

    "Und Sie konnten nur noch rennen und nichts mitnehmen?"

    "Nur aufs Dach, wir haben acht Stunden auf'm Dach gesessen, da kam das Wasser so hoch, also da war nichts mehr zu machen."

    Das Seeungeheuer fiel mitten in der Nacht, im Schutz der Dunkelheit also, über die verschlafene Großstadt her. Danach war nichts mehr wie zuvor. Mehr als 150 Quadratkilometer der Fläche Hamburgs wurden binnen weniger Stunden in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 überflutet. Das entspricht etwa einem Fünftel des Gebiets der Hansestadt. Dieser nordische Tsunami gilt bis heute als deutsche Jahrhundertflut. Die Bilanz war schrecklich: Die gierige Nordsee hatte in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein rund 350 Tote erbeutet, Tausende waren wochen-, ja monatelang obdachlos, rund zwei Millionen Viehkadaver trieben in den Fluten, die Gefahr von Seuchen und dauerhaft geschädigtem Grundwasser drohte, von den psychischen Belastungen der überlebenden Flutopfer ganz zu schweigen.

    Die damals 25-jährige Elfi Bünning erinnert sich noch ziemlich genau an die Stunden, als das Flutwasser in ihr Elternhaus eindrang und von Minute zu Minute anstieg:

    "Nein, Angst hatte ich nicht, mein Mann ist bei der Freiwilligen Feuerwehr. Also der war überhaupt nicht bei mir zu Hause, ich war mit meiner kleineren Tochter und einer älteren Frau zu Hause, und die kamen dann auf einmal angeschippert mit 'nem Boot und riefen ob ich Angst habe. Nein, Angst hatte ich nicht, aber ein komisches Gefühl war das schon, als das Wasser noch'ne Stufe höher kam und dann in die Wohnung rein, das war schon mulmig."

    "Welche Gefühle hatten Sie, als sie merkten, ich muss jetzt hier raus?"

    "Ich wollte ja nicht raus, aber ich musste raus eben, ich konnte nicht mit 'ner alten Dame und meiner kleinen Tochter da allein bleiben. Also musste ich da raus, und mein Schwager kam dann irgendwann, mit dem Boot legte er am Küchenfenster an und dann mussten wir raus."

    Treppe runter - durchs Fenster?"

    "Durchs Fenster, ja, das konnte grade so gut da anlegen und ich konnte so da von der Treppe runter auf einen Stuhl steigen und die Dame und unsere Frau Soltwedel, die musste ins Wasser treten. Und dann haben sie uns abgeholt und ein Haus weiter, da wohnten meine Schwiegereltern, die haben sie auch rausgeholt, und dann sind wir hier zur Kirche gekommen."

    Die damalige Angestellte wohnte im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Hier gab es nicht zuletzt aufgrund der Elbinsellage mit 220 Toten die schlimmste Bilanz. Rudolf Ulrich, damals 19 Jahre alt, schildert, dass ihm erst später bewusst wurde, in welch einer bedrohlichen Lage er sich befand, als er mit Freunden in einer kleinen Nussschale von Haus zu Haus schipperte, um Eingeschlossene zu retten:

    "Also da hat man nicht dran gedacht. Jetzt im Nachhinein, wenn ich das noch mal ablaufen lasse wie einen Film, ist mir schon klar, dass einiges ganz schön gefährlich war."

    "Zum Beispiel?"

    "Ja, zum Beispiel als wir mit dem Boot zurückfuhren über die Stromschnellen und das ganze Boot fing an zu schlingern und so weiter, da wurde mir schon manchmal mulmig und die damalige Kneipe, die da (wieder) war, da konnte man sehen, dass die ganze Wand eingefallen war, dass also ein riesiger Strom entstanden ist. Also Angst hatte ich nicht, mulmig ja, aber Angst eigentlich nie. Nee, weiß ich nicht warum."

    Peter Beenk:

    "Ich habe in dem Moment - ich habe das ja miterlebt von der ersten Etage, wo wir damals ja wohnten, im Reiherstieg-Viertel, wie das Wasser in die Elbe kam, dass ich das unterschätzt habe. Da habe ich gar nicht drüber nachgedacht, ich habe nur gesehen und auch daran gedacht, die Menschen, die unten im Parterre waren, aus der Wohnung zu bekommen. Und da haben wir dann mit mehreren Hausbewohnern die Tür eingeschlagen und haben die Menschen - das Wasser stieg sehr, sehr schnell -, die mit Hüften im Wasser standen, nach oben getragen und rausgeholt. Ganze Familien, beide Seiten, und in dem Moment habe ich gar nicht dran gedacht, wie schwer die Schäden sein sollten oder wie das überhaupt ausgeht. Ich habe nur in dem Moment gedacht, Menschen aus der Wohnung zu holen, damit die nicht ertrinken, weil die ja noch so im Schlaf waren. Ich glaube auch, dass die Stadt überhaupt nicht vorbereitet war."

    Peter Beenk, heute Leiter des Wilhelmsburger Elbinselmuseums, erlebte die Katastrophe als 22-Jähriger. Die von ihm beklagte mangelnde Vorbereitung der Stadt Hamburg auf eine derartige Katastrophe war zugleich die Herausforderung für den damaligen Polizeisenator der Hansestadt, den späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er traf noch in der Flutnacht aus Berlin mit dem Auto kommend in Hamburg ein, und übernahm tat- und wortgewaltig die Rolle des Krisenmanagers.

    "Es kommt darauf an, dass jedes Wasser, das benutzt wird, vorher abgekocht wird, weil Oberflächenwasser in unsere Wasserversorgungsnetze eingedrungen ist. Es ist dringend zu wünschen, dass unnötiger Verkehr in der Stadt unterbleibt. Wir halten es für selbstverständlich, dass jeder seine Verwandten und seine Freunde aufnimmt, die sich aus den von der Flut betroffenen Gebieten bei ihm melden."

    Doch es blieb nicht bei diesen ersten von Schmidt verfügten Verhaltensmaßregeln für die Bevölkerung. Der ehemalige Wehrmachtshauptmann und spätere Verteidigungsexperte der SPD nutzte seine Verbindungen zu nationalen und internationalen Militärs, um binnen weniger Stunden Tausende von Bundeswehrsoldaten und zahlreiche Armeehubschrauber auch der amerikanischen NATO-Truppen in die Rettungseinsätze einzubinden. Schmidt in einem Interview mit dem NDR-Reporter Herrmann Rockmann:

    "Zunächst muss dann wohl gesagt werden, Herr Rockmann, dass wir schon über hundert Tote geborgen haben, über hundert Leichen, und dass es noch wesentlich ansteigen wird. Die Lage ist im Übrigen gekennzeichnet dadurch, dass seit gestern Vormittag nirgendwo mehr akute Lebensbedrohung besteht, die war ja in einigen kleinen Inselchen, die stehen geblieben waren, in der Nacht zum Sonntag teilweise noch gegeben. Das ist also seit Sonntagvormittag sicherlich voll überwunden, soweit man das von außerhalb der Häuser, von den Booten, von den Hubschraubern her erkennen kann. Das Schwergewicht der Maßnahmen zur Katastrophenbekämpfung hat sich infolgedessen eindeutig verschoben auf die Versorgung mit Lebensmitteln, mit Frischwasser, auch mit Brennstoff, Brennmaterialien für diejenigen Teile der Bevölkerung, die in den betroffenen Gebieten geblieben ist, gleichwohl aber abgeschnitten ist, von allen Verkehr- und Versorgungsmöglichkeiten. Es ist so, dass viele Menschen sicherlich völlig zu Recht dort bleiben, weil sie damit rechnen können, dass ihr Haus und der Grund auf dem es steht, demnächst wieder trocken fällt und die allgemeine Versorgung demnächst wieder in Gang gebracht werden wird, die Normalversorgung. Einige klammern sich aber auch an ihre Häuser und wollen nicht raus. Wir haben uns daher nicht dazu entschließen können, jemand gegen seinen Willen zu evakuieren, aber auch diese Menschen müssen nun natürlich versorgt werden. Das erforderte den Aufbau aus dem Handgelenk heraus eine Improvisation, an der gleichzeitig Bundeswehr, Deutsches Rotes Kreuz, die hamburgischen verschiedenen Behörden, die Polizei beteiligt waren. Die Improvisation eines Versorgungsnetzes auf dem Gebiet der Elbinseln."

    Doch nicht nur Hamburg musste in diesen Februartagen 1962 "Land-unter" melden. Auch viele Küstenstriche in Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden entgegen dem Lebensmotto ihrer Bewohner "Trutz Blanker Hans" von der gnadenlosen Nordsee heimgesucht. Praktisch im Minutentakt brachen viele Deiche, Menschen ertranken oder verloren Haus und Hof. Seit der berüchtigten Hollandflut im Jahre 1953, die mehr als 2000 Menschen das Leben kostete und bei der praktisch die gesamte niederländische, belgische und auch Teile der englischen Küste überschwemmt wurde, hatte man eine derartige Katastrophe nicht erlebt. Der damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel schilderte seine Eindrücke von einem Hubschrauberflug über die betroffenen Gebiete des nördlichsten Bundeslandes:

    "Es ist zunächst für den normalen Bürger überhaupt nicht fassbar, mit welcher Gewalt die Nordsee gegen unsere Deiche vorgeht. Wir haben in diesen Orkanböen und der Wetterlage und der Hochwasserlage, die 70 Zentimeter höher ist, als es je an der Nordseeküste gemessen worden ist, solange es überhaupt Messungen gibt. Gar nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn wir in den letzten Jahren nicht nach der Hollandkatastrophe die Deiche in einem großem Umfange verstärkt, erhöht, verbreitert und also für größere Katastrophen abwehrbereit gemacht hätten. Wenn das nicht geschehen wäre, wäre eine Katastrophe über uns hereingebrochen, die sicher der Hollandkatastrophe in nichts nachgestanden hätte. Die Schäden selbst lassen sich nicht übersehen, es hat gar keinen Zweck anzugeben, sie seien so und so groß, es werden Hunderte von Kilometern der Deiche völlig instand gesetzt werden müssen, die nicht mehr in der Lage sind, auch nur einer einzigen Sturmflut zu begegnen."

    In Hamburg indessen, dem viel gepriesenen Tor zur Welt tagte, unter Leitung des selbst ernannten Organisationschefs und Krisenkoordinators Helmut Schmidt ein Katastrophenstab, der nun drastische Infrastrukturmaßnahmen verfügte, um den lebensnotwendigen wirtschaftlich-logistischen Kreislauf abzusichern. Schmidt hat in diesen Tagen fraglos weit über seine eigentliche Zuständigkeit hinausgehende Kompetenzen an sich gezogen - doch der Erfolg rechtfertigte sein Handeln.

    "Wir haben uns vorbehalten, drastische Maßnahmen eventuell heute Abend zu treffen. Es geht nicht mehr um Neugierige, die auch ein gewisse Rolle gespielt haben am Sonntag. Jetzt geht es darum, wer den Vorrang haben soll: Der gesamte Güter- und Berufsverkehr des Hamburger Freihafens mit Zigtausenden von Leuten, die morgens und abends und bei Schichtwechsel dahin wollen und wieder raus wollen, oder Vorrang haben soll der Versorgungsverkehr für die Eingeschlossenen in Wilhelmsburg. Alles muss sich nämlich auf ein und derselben Straße abspielen, nachdem alle anderen Straßen unter Wasser sind. Nun kann natürlich ein Hörer denken, dass das doch gar keine Frage sei, dass man auf jeden Fall den Versorgungsverkehr für die Kolonnen bevorrechtigen muss und alle anderen abschalten. Tatsächlich ist aber auch der Hamburger Freihafen mit seinen Industrien ein lebensnotwendiges Organ dieser Stadt. Die Schiffe, die aus aller Welt hier ankommen, die stauen sich, können nicht entladen werden, wir haben einen Rückstau von unendlich vielen Güterzügen jetzt bereits hier. Und je mehr sich hier staut, umso größer wird die Gefahr, dass die Gesamtversorgung auch der nicht betroffenen Teile der Stadt möglicherweise in Mitleidenschaft gezogen wird."

    Auch in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn sprach sich das Schadensausmaß der Sturmflut schnell herum, zumal anders als bei der holländischen Sturmflut von 1953 die Kommunikationswege mit dem Katastrophengebiet nicht unterbrochen waren. Der damalige Wirtschaftsminister und Vizekanzler Ludwig Erhard reiste nach Hamburg, um Solidarität des Bundes mit den betroffenen Ländern und ihren Bewohnern zu zeigen:

    "Wirtschaftliche und soziale Schäden gilt es hier zu heilen, über deren Größenordnung natürlich heute noch keine Zahlen gegeben werden können, aber immerhin alles, was ich gesehen und alles was ich gehört habe, lässt doch erkennen, dass immerhin doch beträchtliche Anstrengungen erforderlich sein werden, um möglichst schnell wieder zu einem normalen Leben sowohl im menschlichen Sinne, wie im wirtschaftlichen, wie im öffentlichen Sektor zurückzukehren. Der Wirtschaftsminister, und jetzt spreche ich als solcher, wird alles versuchen, um die wirtschaftlichen Kräfte über Hamburg hinaus im Bundesgebiet zu mobilisieren. Ich denke dabei an die Bildung eines Aktionsausschusses, in dem die einschlägigen Wirtschaftskreise zusammenarbeiten natürlich immer in Verbindung mit den Hamburger Stellen und Instanzen."

    Als dass Schlimmste vorüber war, begann die Ursachenforschung, verbunden mit der Hauptfrage, warum die Deiche nicht gehalten hatten. Karl-Ernst Mittendorf, Bauingenieur für Hochwasserschutz und Deichbau, sieht heute vor allem im Alter der Hauptdeiche und ihrer im Wortsinne vorsintflutlichen Konstruktion eine der Hauptursachen der Katastrophe. Vor allem die brüchige Kleischicht, ein besonderer Lehm im Inneren der Deiche, war dem immensen Wasserdruck nicht gewachsen. Zudem wurden viele Wälle von der Flut, die bis zu 5,70 Meter über Normal Null anstieg, einfach überschwemmt:

    "Das waren Deiche, die im Lauf der Jahrhunderte entstanden sind, und die sind mit Spaten und von Hand mit Pferdewagen und Schubkarren gebaut worden. Und wer jemals Spaten in Klei gesteckt hat, der weiß, wie schwer dieses Zeug zu bearbeiten ist, je nach Feuchtigkeitsgehalt. Entsprechend sind die Deiche damals gebaut worden, mit Binnenböschungen von damals sogar nur eins zu eins, von außen bestenfalls eins zu zwei, das waren sehr steile Böschungen, und die sind dann im Laufe der Jahre oder Jahrhunderte immer weiter erhöht worden. Dann kommt hinzu, dass die Kontrolle der Deiche nicht intensiv genug war. Es gab Deichstrecken, die gar nicht mehr als Deiche angesehen wurden, beispielsweise hier der Wilhelmsburger Deichbruch an der Harburger Chaussee, das war ein Hafendamm, der war 30 Meter an der Krone breit. Und da hat man gesagt, na ja, so ein breiter Damm, da brauchen wir ja nichts weiter zu machen, der steht immer, dem reinen Wasserdruck schon. Nur oben auf der 30 Meter breiten Deichkrone, das waren Schrebergärten. und die haben denn da oben Radieschen gepflanzt und Blumen und das war schön locker. Und 5,70 Meter war die offizielle Deichhöhe, so hoch war auch der Hafendamm, bloß da fing es denn an, an irgendeiner Stelle überzulaufen und die lockere Erde war in Nullkommanix weggeschwemmt. Der Dammkern hatte auch keinen Klei, vielleicht an der Außenböschung eine Kleischicht als Sicherung und dann war das natürlich im Nullkommanix ein Riesenloch und deswegen ging das dann eben sehr schnell hier in Wilhelmsburg mit dem Wasseranstieg."

    "Das heißt die Höhe beim Deichbau ist nicht wichtig und die Breite auch nicht. Was ist das Entscheidende beim Deichbau?"

    "Das Entscheidende ist, dass ein Deich auch mal in der Lage sein muss, kurzfristiges Überströmen oder das Überschlagen von Wellen, dass er das aushält, dass er da nicht gleich in die Knie geht."

    Nach der holländischen Jahrhundertflut von 1953 mit über 2000 Toten wurden mit dem sogenannten "Delta-Plan" erhebliche Verbesserungen beim Deichschutz vorgenommen. So wurden die Deiche auf einer Länge von mehr als 1000 Kilometern erheblich erhöht. Ingenieure aus unterschiedlichen Fachrichtungen verfügten in der Delta-Kommission neue Befestigungsstrukturen für die Deiche. Der Wehr- und Polderbau wurde verbessert, in besonders risikobelasteten Gebieten wurden Pläne für schwimmende Siedlungen entworfen. Ergebnis: Nach den jüngeren Überschwemmungen 1993 und 1995 gab es keine Toten zu beklagen, doch das unter dem Meeresspiegel liegende holländische Festland kann nicht zu 100 Prozent geschützt werden.

    Vor allem Hochwasserstände der Flüsse Rhein und Maas bedrohen nach wie vor ganze Landstriche. Der deutsche Deichbauexperte Mittendorf weiß den Rat der Holländer zu schätzen:

    "Daraus hat man dann ja den Schluss gezogen und hat sich von den Holländern, die ja 1953 so eine verheerende Sturmflut hatten, beraten lassen. Und denn wurden Richtlinien ausgegeben, also die Böschungsneigung innen wie außen eins zu drei, und da man nicht bei diesen Neigungen und der neuen Höhe, die dann nachher bei 7,20 Meter über Normalnull lag, soviel Klei gar nicht herschaffen, gar nicht gewinnen kann, ist man dazu übergegangen, diese Deiche mit einem Sandkern zu bauen und dann an der Außenseite mit ein Meter dreißig dicker Kleinschicht abzudecken und binnen einen Meter dicker Kleischicht."

    "Gesetzt den Fall, es würde heute wieder so eine Sturmflut geben, würde Hamburg halten?"

    "Ja, das kommt ja darauf an, wie hoch, darüber streiten sie, da ist man sich ja nicht sicher, ob nicht durch diese ganzen Klimaveränderungen da dann nicht doch Stürme auftreten können, die dann noch intensiver sind. Es sind ja eine ganz Reihe von Faktoren nötig, um hier in Hamburg Hochwasser zu produzieren. Das ist erst mal die Dauer eines Sturmes und die Windrichtung. Das ist sehr entscheidend, dass dann so viel Wasser in die Elbe reingedrückt werden konnte, dass dann an die Deichkronen rangeht. Wir haben ja in der Zwischenzeit schon wieder eine weitere Erhöhung, die Deiche sind ja acht Meter hoch, nicht mehr 7,20 Meter, also der letzte Wasserstand, der höchste den wir hatten, der lag bei 6,45 Meter."

    Auch heute ist demnach die Gefahr ähnlich dramatischer Auswirkungen von Flutkatastrophen an der Nordsee durchaus nicht gebannt. Zwar wurden viele Deiche in den letzten Jahrzehnten verstärkt, erhöht und verbreitert, doch gerade angesichts der Erderwärmung und des damit verbundenen Niveau-Anstiegs der Weltmeere kann sich niemand in Sicherheit wiegen. Letztlich siegt ewig die Natur.