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Fünf Weise für den Kanzler

Eine staatlich gelenkte Wirtschaft oder eine freie Wirtschaft mit sehr wenig staatlichen Kontrollen - diese Kontroverse hat in den vergangenen 30 Jahren die wirtschaftspolitische Auseinandersetzung immer wieder geprägt. Ein Konflikt, der so alt ist, wie die moderne Wirtschaft und im Großen und Ganzen seit 200 Jahren ausgetragen wird. Der Streit kreist um die Frage, ob der Staat eine starke Rolle in der Wirtschaft spielen soll oder ob er nur für günstige Rahmenbedingungen sorgen soll. In dieser Diskussion spielt der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bis heute eine wichtige Rolle. Denn im Gesetz steht, dass er die Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie die der Öffentlichkeit erleichtern soll.

Von Klaus P. Weinert |
    Ludwig Erhard:
    Verehrte Mitbürgerinnen und Bürger.
    Im Grunde hat jeder Bürger den gleichen Wunsch, haben wir alle ein gleiches Anliegen. Wir wollen den Wohlstand und die soziale Sicherheit nicht gefährdet wissen und darum brauchen wir eine starke gesunde Wirtschaft und ein stabiles Geld. Wir wissen aber auch, so wir ehrlich sind, woran es liegt, wenn manche Erscheinungen, wie zum Beispiel Preissteigerungen, uns besorgt sein lassen. Wir unternehmen immer wieder den törichten Versuch, mehr ausgeben mehr verbrauchen zu wollen als unsere Wirtschaft insgesamt zu erarbeiten vermag. Wir kennen auch die Folgen: die Geltung der Deutschen Mark eine der härtesten Währungen der Welt leidet Schaden. Unsere Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten nimmt ab. Meine Appelle an die Einsicht aller Verantwortlichen werden bewußt überhört.


    Als Ludwig Erhard dies sagte, hatte Deutschland einen unglaublichen Nachkriegsboom erfahren. Der Aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg war wesentlich schneller erfolgt, als die Menschen in Deutschland erwartet hatten. Ausländische Arbeitskräfte mussten angeworben werden, um die Nachfrage nach Arbeit befriedigen zu können. Und doch zeigten sich schon Wolken am Himmel des deutschen Wirtschaftswunders. Die Rezession von 1966 bis 1967 führte zu einem Regierungswechsel. Karl Schiller, der neue Superminister der großen Koalition aus CDU und SPD, versuchte mit einer staatlich gelenkten Globalsteuerung die Wirtschaft wieder flott zu machen.

    Damit hatte Karl Schiller Erfolg. Der Glaube, dass der Staat durch Eingriffe in die Wirtschaft für stetiges Wirtschaftswachstum sorgen könne, setzte sich durch. Staatliche Maßnahmen konnten in den folgenden Jahren die Wirtschaft stabilisieren, bis die Preise für Öl 1973 drastisch stiegen und die Weltwirtschaft in eine schwere Krise stürzte. Mit staatlichen Eingriffen war diese Herausforderung anscheinend nicht mehr zu lösen. Die Lehre des englischen Ökonomen John Maynard Keynes – er befürwortete einen starken Staat - wurde nach und nach durch eine so genannte "Angebotspolitik" ersetzt.

    Gerhard Schröder:
    Die rein angebotsorientierte Politik, die der Sachverständigenrat immer vorgeschlagen hat, hat in den letzten 16 Jahren zu einem Aufwuchs von Arbeitslosigkeit geführt, nicht zu einer Abnahme. Das sollte vielleicht auch bedacht werden.

    Damit ist die Kontroverse gekennzeichnet, die in den vergangenen 30 Jahren die wirtschaftspolitische Auseinandersetzung immer wieder geprägt hat, ein Konflikt, der so alt ist, wie die moderne Wirtschaft und im Großen und Ganzen seit 200 Jahren ausgetragen wird. Der Streit kreist um die Frage, ob der Staat eine starke Rolle in der Wirtschaft spielen soll oder ob er nur für günstige Rahmenbedingungen sorgen soll.

    In dieser Diskussion spielt der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bis heute eine wichtige Rolle. Denn im Gesetz steht, dass er die Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie die der Öffentlichkeit erleichtern soll.

    Durch seine Stellung als unabhängiger Begutachter, wie es im Gesetz niedergelegt ist, hat der Rat eine hervorgehobene Stellung auch im Vergleich zu den anderen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten Deutschlands. Regelmäßig werden seine Aussagen auch von der Politik benutzt, die sie als Leitlinie für die Richtigkeit der eigenen Politik dem Parlament und damit auch der Öffentlichkeit vorstellt.

    Angela Merkel:
    Und jetzt meine Damen und Herren sage ich nur wieder zu allen hier im Hause. Gucken wir doch mal wieder zum Sachverständigenrat. Und der Sachverständigenrat, ob sie’s nun wollen oder nicht . Der sagt bei der Bürgerversicherung haben sie Einbußen von 3 % in der wirtschaftlichen Dynamik und beim Prämienmodell haben sie Zuwächse von drei Prozent. Und der Sachverständigenrat sagt, das bedeutet in jede Richtung entweder eine Million Arbeitsplätze weniger, weil sonst bei der Bürgerversicherung die Lohnzusatzkosten steigen, oder es bedeutet eine Million Arbeitsplätze mehr, weil die Lohnzusatzkosten sinken und eine Entkoppelung stattfindet. Und ich finde, jeder in diesem Hause hat die Pflicht so einen Ratschlag des Sachverständigenrats wenigstens mal zur Kenntnis zu nehmen, nachzudenken und zu überlegen, ob uns das nicht nach vorne bringt.

    Der Sachverständigenrat will die Belastung nicht nur des Staates, sondern auch der Unternehmen abbauen. Diese Wende vollzog sich deutlich in den 70er Jahren. Im Rat setzte sich mehr und mehr die Ansicht durch, dass nicht eine staatlich gelenkte nachfrageorientierte Politik die Wirtschaft wieder in Schwung bringen würde, sondern eine Politik, die das Angebot verbesserte. Dahinter stand ein Name der klassischen Wirtschaftstheorie, nämlich Jean Baptiste Say, der vor zweihundert Jahren lebte. Say behauptete, dass jedes Angebot auch eine Nachfrage schaffen würde.

    Die Logik dieser Behauptung ist darin begründet, dass jeder, der etwas anbietet, gleichzeitig auch Nachfrager nach Produkten ist, indem er zum Beispiel Vorprodukte benötigt, um sein eigenes Produkt herzustellen oder sich selbst ein neues Produkt zu kaufen. Daher bewirke, so die Theorie, jedes Angebot auch eine Nachfrage. Um mehr anbieten zu können, müssen jedoch auch die Bedingungen verbessert werden. Das gilt insbesondere für das Angebot für mehr Arbeit. Axel Weber, Professor an der Universität Köln und Mitglied des Sachverständigenrates:

    Ich sehe den Arbeitsmarkt als einen sehr regulierten Markt, wo der Einfluss bestimmter Partikularinteressen, sowohl auf Arbeitgeber- wie auf Arbeitnehmerseite sehr stark die Rahmenbedingungen dieses Marktes beeinflusst. Die Politik setzt ja viele Daten. Und wir sind der Meinung, dass wir diese strukturelle Rigiditäten am Arbeitsmarkt aufbrechen sollten.

    Der Rat plädiert für eine größere Lohnspreizung und für eine Reform des Tarifrechts, so dass Unternehmen flexibler reagieren können, auch was die Lohnanpassung anbelangt. Darüber hinaus möchte der Rat jedoch auch einen gleitenden Übergang von der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung erreichen, indem Hinzuverdienstmöglichkeiten die staatlichen Transferzahlungen stufenweise reduzieren und nicht abrupt beseitigen, damit der Anreiz zu arbeiten erhöht wird.

    Diese Vorschläge zielen nicht nur darauf, dass ein höheres Arbeitsangebot der Unternehmen realisiert wird. Vor allem soll durch mehr Beschäftigung auch wieder mehr Angebot entstehen, um das Wirtschaftswachstum zu erhöhen. Die Gewerkschaften stehen diesen Vorschlägen skeptisch gegenüber. Auch die wissenschaftliche Einrichtung der Gewerkschaften, die Hans-Böckler-Stiftung, bezweifelt, ob diese Politik wirklich zum Erfolg führt. Dr. Eckhard Hein, Referent für Wirtschaftspolitik:

    Was der Sachverständigenrat macht: Er schaut weitestgehend nur auf die Angebotsseite und vernachlässigt die Nachfrageseite. Er vernachlässigt insbesondere die Wechselwirkung zwischen Angebot und Nachfrage. ... Um ein Beispiel zu nennen: Die nachfragebedingte konjunkturelle Arbeitslosigkeit kann sich verfestigen, da die Arbeitslosen ihre Qualifikation verlieren, dadurch, dass sie den Zugang zum Arbeitsmarkt verlieren und kann dann zu struktureller Arbeitslosigkeit führen, die als angebotsbedingt gilt. Wenn es gelingt, die konjunkturelle Arbeitslosigkeit zu reduzieren, ... dann verhindern wir gleichzeitig, dass es zu struktureller Arbeitslosigkeit kommt.

    Das bedeutet, dass die Finanzpolitik des Staates in konjunkturell schwachen Perioden nachfrageunterstützend eingreifen müsste, um kurzfristige Arbeitslosigkeit zu vermeiden, die aufgrund eines geringeren Wachstums entsteht. Insbesondere wird die geringere Investitionstätigkeit des Staates in Deutschland kritisiert, die im Vergleich mit anderen Ländern um bis zu einem Prozent niedriger ausfällt. Gerade aber Investitionen werden als grundlegend für mehr Wirtschaftswachstum angesehen.

    Der Sachverständigenrat kritisiert diese Position. Er sieht in einer konjunkturellen Stützung die Gefahr, dass notwendige strukturelle Reformen aufgeschoben werden könnten. Seine Absicht ist es, eine langfristig stabile wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen.

    Helmut Kohl:
    Das ist ja die gemeinsame Leistung aller Bürger guten Willens in unserem Lande, dass der Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland auf einem breiten, soliden Fundament steht. Die Preise sind so stabil, dass man weit zurückgehen muss in die Vergangenheit. Und wenn Sie also jetzt dauernd aufrechnen: Öl und Benzin, dann lassen Sie uns das abziehen - dann bleiben Sie trotzdem noch bei 1,5 Prozent. Das ist eine Stabilitätsrate, die in der Tat "Weltspitze" ist. Die große Mehrheit unserer Bevölkerung, gerade die Leute mit den kleinen Einkommen, die keine Gelegenheit hatten in irgendwelche Werte zu flüchten, die wissen, dass die größte soziale Tat, die ein Land sich selbst antun kann, die ist, stabile Preise zu haben - und das haben wir.

    Noch in den 70er Jahren hat man versucht, den Ölpreisschock von 1973 und 1974 mit Mehrausgaben aufzufangen, was zu zweistelligen Inflationsraten führte. Damals verfünffachte sich der Ölpreis innerhalb eines Jahres. Seit dieser Zeit hat sich bei der Mehrheit der Wissenschaftler in Deutschland die Ansicht durchgesetzt, dass eine strenge Geldpolitik letztlich unverzichtbar ist für Wachstum und auch eine stabile Lohnentwicklung, da Inflation vor allem die Kaufkraft des Geldes reduziert. Professor Axel Weber:

    Es ist natürlich so, dass eine europäische Geldpolitik nicht immer im Einklang mit nationalen Konjunkturentwicklung steht, wenn, dann überhaupt nur mit der europäischen Konjunktur. ...Die Geldpolitik hat Wirkungsverzögerungen von ein bis zwei Jahren, ... und richtet sich an den realen Inflations- und Konjunkturentwicklungen im Euroraum aus. ... Grundsätzlich ist es so, dass wir diesen Stabilitätsanker brauchen. Die Europäische Zentralbank ist durchaus auch ein Gegengewicht zu den nationalen Interessen, zum Beispiel in der Finanzpolitik, wie wir in der Auseinandersetzung mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt gesehen haben.

    Geldpolitik ist schon immer ein Zankapfel gewesen zwischen den mehr keynesianisch orientierten Wirtschaftswissenschaftlern und den klassischen. Während die klassischen Experten in erster Linie auf Reformen auf den Arbeitsmarkt und auf den Abbau staatlicher Regulierungen setzen, um den Unternehmen mehr Handlungsspielraum zu geben, befürwortet die neuere Richtung des Keynesianismus auch eine aktivere Geldpolitik.

    Als Beispiel dienen häufig die Vereinigten Staaten. Sie haben schon in den 80er Jahren durch hohe staatliche Ausgaben im Gesundheitsbereich die Biotechnologie gefördert. Vor allem aber die amerikanische Zentralbank reagierte viel schneller auf konjunkturelle Einbrüche mit Zinssenkungen. So haben die Amerikaner weitaus weniger Sorge, auch wieder keynesianische Methoden zu verwenden, wenn sie denn zum Erfolg führen. Dr. Eckhard Hein von der Hans-Böckler-Stiftung zum Unterschied zwischen europäischer und deutscher Sicht im Vergleich zu den USA:

    Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass aus neukeynesianischer Sicht der Geldpolitik und auch der Finanzpolitik sehr wohl eine Stabilisierungsfunktion zugeschrieben wird, eine aktive antizyklische Finanzpolitik und eine Geldpolitik, die nicht nur auf das Preisniveau schaut, sondern auch auf Wachstum und Beschäftigung.... Und wenn wir uns die Wirtschaftspolitik in den USA anschauen, mit deutlichen Reaktionen der Geldpolitik auf den konjunkturellen Einbruch 2001 und folgende und deutliche Reaktionen der Finanzpolitik. Dann sehen wir, dass dort eben was beherzigt wird.

    In der Tat wächst die Wirtschaft der Vereinigten Staaten wesentlich besser als die der europäischen Union und die Deutschlands. Ende vergangenen Jahres nahm das Bruttoinlandsprodukt um runde 3,5 Prozent zu. Auch die Arbeitslosigkeit ist in den Vereinigten Staaten mit etwa 6 Prozent deutlich geringer als in Deutschland. Allerdings haben die USA auch mehr Spielraum, um sich neu zu verschulden. Denn unter Präsident Clinton wurden Schulden abgebaut. Heute sind die USA fast um 15 Prozent weniger verschuldet als Deutschland, gemessen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt.

    Inwieweit die andere Wirtschaftspolitik der USA tatsächlich den wirtschaftlichen Erfolg begründet hat, bleibt eine nicht vollständig zu klärende Frage. So hat der ehemalige Sachverständigenratsvorsitzende von 1976 bis 1985, Professor Olaf Sievert, betont, dass man in einem strengen wissenschaftlichen Sinne den staunenswerten Erfolg der USA in den vergangenen zehn Jahren nicht erklären könne. Noch sind zu viele Fragen in den Wirtschaftswissenschaften offen, um eine stichhaltige Theorie zu entwerfen, die beweisen könnte, wie wirtschaftlicher Erfolg entsteht.

    Diese Unsicherheit prägt auch das Urteil und die Empfehlungen des Rates seit den 80er Jahren, als der Wechsel zu einer mehr angebotsorientierten Politik erfolgte. Das Phänomen Arbeitslosigkeit wurde immer schwieriger zu erklären. Dr. Ansgar Strätling, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Siegen; er hat sich ausführlich mit den Urteilen des Sachverständigenrates befasst.

    Es gibt zunehmend Problemgruppen der Arbeitslosigkeit. Es gibt Langzeitarbeitslose, die seit Jahren aus dem Arbeitsmarkt heraus sind, es gibt ältere Arbeitlose in großem Maße, Jugendarbeitslosigkeit. Für alle gibt es nicht ... eine einheitliche Theorie und es ist gerade in jetzigen Phase die Frage, ob durch eine Nachfrageerhöhung ....diese Arbeitlosen wieder eine Chance am Arbeitsmarkt hätten. Genau das ist der Hintergrund auf dem der Sachverständigenrat reagieren musste und den er erkannt hat....Und dazu hat er sich der Einzeltheorien ...dieser Problemfälle bedient und diese ... eingeflochten in seine Gutachten.

    Da der Sachverständigenrat offenbar keine globale Theorie kennt, die durch einen umfassenden staatlichen Eingriff wieder mehr Arbeit schaffen könnte, plädiert der Rat nach wie vor für mehr Deregulierung auf den Arbeitsmärkten. Dieses Konzept hat sich mittlerweile auch die Bundesregierung zu eigen gemacht. Allerdings ist sie in den Augen des Rates zu zögerlich in Bezug auf eine Lockerung des Kündigungsschutzes. Für die Sozialdemokraten gehen die ständig neuen Forderungen nach Einschnitten in das soziale Netz an die Wurzeln der Partei, da sich die SPD traditionell immer als eine Partei der sozial Benachteiligten gesehen hat.

    Willy Brandt:
    Reformerische Bemühungen sind nicht ausschließlich an Wachstumsraten gebunden. Und in mehr als einem Fall wird dies eben bedeuten, wenn es insgesamt nicht mehr zu verteilen gibt, dann werden wir uns umso mehr, so gut wir es können, um ein Höchstmaß an Gerechtigkeit zu bemühen haben. Und eine dritte Orientierung für uns ist, wenn es wirtschaftlich schwieriger wird, dann sollte alles, was mit den Problemen Mitwirkung, Mitbestimmung, Mitverantwortung im wirtschaftlichen Leben zusammen hängt, nicht auf die leichte Schulter genommen, sondern wichtiger und ernster noch genommen werden als bisher. Wir müssten von allen guten Geistern verlassen sein, wenn wir hier das Rad zurück drehen wollten.

    Die Empfehlungen des Sachverständigenrates und die Politik der Bundesregierung sind bei vielen Bundesbürgern der Beweis, dass das Rad zurückgedreht wird. Reformen wurden bisher immer verstanden im Sinne von mehr Leistungen. Gegenwärtig werden jedoch Leistungen gekürzt, und besonders für die Geringverdiener werden die Lasten immer größer. Auch die Hans-Böckler-Stiftung steht dieser Politik sehr skeptisch gegenüber. Sie glaubt, dass die Empfehlungen des Sachverständigenrates, die auch in die Agenda 2010 der Bundesregierung Eingang gefunden haben, kaum Erfolg haben werden. Dr. Eckhard Hein:

    Wir haben ein alternatives Programm.. berechnet, das die Elemente enthält, die ich vorhin benannt habe, nämlich eine ....etwas expansivere Finanzpolitik, und kommen dann zu dem Ergebnis, wenn die öffentlichen Investitionen Schritt für Schritt auf den europäischen Durchschnitt aufgestockt werden würden, das heißt 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, und wenn man auch mehr Kontinuität in die anderen staatlichen Ausgaben hinbringt...dann könnte man bis 2008 die Beschäftigung um 600 000 Erwerbstätige steigern, die Arbeitslosigkeit um 300 000 reduzieren und würde auch die Sozialversicherungssätze senken können.

    Der Sachverständigenrat lehnt solche Vorschläge ab, da sie die Finanzen des Staates erneut belasten würden. Im Wesentlichen ist das auch die Meinung fast aller Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland. Insofern repräsentiert der Sachverständigenrat die Hauptrichtung der wissenschaftlichen Experten. Die wenigen Kritiker des Sachverständigenrates sehen in diesem Verhalten des Rates die Rezepte der 80er Jahre, während die Vereinigten Staaten schon längst wieder auch staatliche Maßnahmen einleiten als Teil einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik.

    Im Grunde jedoch sind die Kritiker und der Rat selbst gar nicht so weit entfernt. Nur die Instrumente unterscheiden sich und die zeitliche Sicht in den wissenschaftlichen Modellen Professor Axel Weber:

    Wir sind heute soweit, dass die modernen Modelle, mit denen in der universitären Forschung und auch in der Politikberatung gearbeitet wird, sich gar nicht so sehr in ihren langfristigen Implikationen unterscheiden. Die lange Frist ist in diesen Modellen sehr ähnlich. In der kurzen Frist gibt es Unterschiede. ...Und da ist es durchaus kurzfristig so, dass es gewisse Strukturen gibt, zum Beispiel unvollkommene Markmacht, auch Beschränkungen im Kreditzugang ... die dann dazu führen, dass gewisse Politiken, wie eine expansive Geldpolitik oder eine Finanzpolitik durchaus kurzfristig reale Wirkungen haben. Langfristig, wenn sich die Preise anpassen und wir flexible Märkte unterstellen, werden diese Unterschiede nicht so im Vordergrund stehen, das heißt, langfristig bekommen wir dann Neutralitätsergebnisse.

    Die Frage bleibt jedoch, ob nicht für eine Stabilisierung der Wirtschaft doch kurzfristige Maßnahmen des Staates in Betracht gezogen werden sollten. Diese Auseinandersetzung belegt auch, dass die Wirtschaftswissenschaft keine exakte Wissenschaft ist wie die Mathematik, die eindeutige Ergebnisse vorweisen kann. Noch immer wissen die Wirtschaftswissenschaftler zu wenig über wirtschaftliche Prozesse.

    Das bedeutet nicht, dass die Gutachten des Rates keinen Sinn hätten. Man sollte sie nur mehr als Diskussionsgrundlage nehmen und in der Öffentlichkeit intensiver besprechen, wie Dr. Ansgar Strätling betont, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Siegen:

    Ziel sollte es sicherlich sein, dass nicht wie im Moment die Pressekonferenz der Jahresgutachten eigentlich mehr zu einer Zahlschau wird, wo nur die Konjunkturprognose abgenickt wird, sondern dass auch das Inhaltliche mehr Gewicht bekommt, und das Inhaltliche auch mehr in die politische Diskussion einwirken kann.

    Es müsste daher überlegt werden, wie der Sachverständigenrat eine bessere Öffentlichkeitsarbeit leisten könnte. Die Mitglieder des Rates können dies kaum, da sie neben ihrer Gutachtertätigkeit als Professoren an den Universitäten dazu keine Zeit haben. Aber nur durch mehr Öffentlichkeit wäre eine kritischere Diskussion über die Aufgaben des Rates möglich, der laut Gesetz innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung aufzeigen soll, wie Preisstabilität, hohe Beschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges Wachstum gewährleistet werden kann. Diese Aufgabe gleicht der Quadratur des Kreises. Denn es ist kaum möglich alle Ziele gleichzeitig ausführlich zu behandeln und wirksame Ratschläge zu geben. In der Regel wird ein Sachverhalt besonders betont, wie in den vergangenen Jahren die Beschäftigungspolitik.

    An dieser jährlichen Herausforderung haben bisher nur Professoren teilgenommen, was hin und wieder auf Kritik gestoßen ist, da es mittlerweile auch Volkswirtschaftlerinnen gibt, die man in den Sachverständigenrat berufen könnte, so die Meinung mancher Reformer. Warum dies bisher nicht geschehen ist, liegt vielleicht daran, dass es weniger Wirtschaftswissenschaftlerinnen gibt. Allerdings ist die Auswahl der Ratsmitglieder auch ein heikler Prozess, bei dem beispielsweise Gewerkschaften und Verbände traditionell ihre Überlegungen einbringen. Letztendlich schlägt aber die Bundesregierung die Mitglieder des Rates vor. Es wäre vielleicht an der Zeit, auch einmal eine Frau für diese Aufgabe zu benennen und in den Sachverständigenrat zu berufen.