Ein Fußgänger, der bei Rot über die Ampel geht; die Besitzerin eines Schönheitssalons, die eine Kundin bei der Enthaarung leicht verletzt; der Vorsitzende einer Bürgerinitiative, der während einer Polizeiaktion gegen illegale Einwanderer im Hafen von Calais anwesend ist: Es sind Fallbeispiele aus einer langen Liste bis dato unbescholtener Bürger, die vorläufig festgenommen wurden, für mehrere Stunden oder auch Tage.
Völlig zu unrecht - wie die Betroffenen sagen -, denn das Instrument der so genannten "Garde à vue" werde inzwischen zu extensiv eingesetzt. Die französischen Polizeibeamten bestreiten die Vorwürfe. Sylvie Feucher, Gewerkschaftssprecherin der Police Nationale:
"Die Polizeioffiziere respektieren die Gesetze, so wie sie von den Parlamentariern verabschiedet wurden. Es gibt keine Banalisierung der "vorläufigen Festnahme". Wir haben nicht das Recht, Gesetze zu dehnen. Wir wenden sie ganz einfach an, das ist alles."
Doch die Kritiker beziehen sich auf offizielle Zahlen des französischen Innenministeriums: Seit 2001 ist in Frankreich die Zahl der jährlich verhängten "vorläufigen Festnahmen", der "Garde à vue", um rund 55 Prozent gestiegen. Allein im vergangenen Jahr wurde mehr als eine halbe Million Franzosen vorläufig verhaftet, umgerechnet jeder hundertste. Und dass, obwohl die Kriminalitätsrate in Frankreich nach Angaben des Innenministeriums seit mehreren Jahren rückläufig ist. Dominique Noguères, Strafverteidigerin und Vizepräsidentin der französischen Menschenrechtsliga:
"Wir bemerken seit einiger Zeit, dass die vorläufige Festnahme systematisch wird, selbst bei extrem geringfügigen Ordnungswidrigkeiten. Heute kann es schon reichen, wenn Sie gegen das, was Ihnen ein Polizist sagt, einfach nur protestieren. Das kann Ihnen von den Polizeibeamten als Widerstand gegen die Staatsgewalt ausgelegt werden und rechtfertigt eine vorläufige Festnahme. Im Pariser Strafgericht explodiert die Zahl dieser Verfahren."
Doch fehlt es in Frankreich nicht nur an Verhältnismäßigkeit beim Verhängen der vorläufigen Festnahme. Auch der Umgang mit dem Tatverdächtigen während der Haft beschreibt die Anwältin als skandalös:
"Die Person muss sich nackt ausziehen, wird sogar häufig von den Beamten rektal untersucht; Der Festgenommene wird in eine meistens ekelerregend verdreckte "garde-à-vue"-Zelle eingesperrt. Dort lässt man die Person stundenlang schmoren. Es ist die übliche Strategie der Einschüchterung, wie auch das systematische Duzen und verbales Drohen im Stil, wenn Du nicht gestehst, blüht dir das und das Urteil und so weiter."
Das Einschüchtern der in Haft genommenen Tatverdächtigen sei gängige Polizeipraxis, sagt Dominique Noguères. Sie diene dazu, dem vermeintlichen Täter noch im Kommissariat ein Geständnis abzuringen, das in der französischen Justiz nach wie vor als ultimativer Schuldbeweis gilt. Und dies alles in Abwesenheit des Anwalts, da dieser während der vorläufigen Festnahme nur das Recht auf ein kurzes Gespräch mit seinem Klienten hat, um ihn über seine Rechte aufzuklären.
Verdächtige dürfen in Frankreich bis zu 96 Stunden in vorläufigen Gewahrsam genommen werden, bei Verdacht auf organisierte Kriminalität oder Terrorismus 144 Stunden. Serge Portelli, Richter und Vizepräsident des "Tribunal de Paris" und Autor mehrer kritischer Bücher über die französische Justiz, nennt die Praktiken der vorläufigen Festnahmen in Frankreich denn auch "mittelalterlich".
"Wenn Sie sich die Gesetzestexte ansehen, sagen Sie sich: die Freiheitsrechte sind in Frankreich absolut geschützt, weil die vorläufige Festnahme vom Staatsanwalt kontrolliert wird. Aber die Wirklichkeit ist radikal anders. Es gibt zwischen Staatsanwalt und Polizei in der Regel nur kurze telefonische Kontakte. Äußert selten überprüfen Staatsanwälte die "garde-à-vue" vor Ort, im Kommissariat. In der Praxis machen die Polizisten also was sie wollen. Deshalb haben wir dort Missbrauch und Willkür, manchmal schwerwiegende Fälle."
Richter Portelli begründet den starken Anstieg der vorläufigen Festnahmen mit der Politik Nicolas Sarkozys. Denn der habe zunächst als Innenminister und dann als Staatspräsident 18 Reformgesetze zur Verschärfung des Strafrechts auf den Weg gebracht und gleichzeitig Justiz und Polizei mit Nachdruck aufgefordert, härter gegen Straftäter vorzugehen. Richter Portelli:
"Das ist die so genannte Politik der Zahlen und Resultate. Den Franzosen wird suggeriert, dass mehr Verhaftungen mehr Sicherheit bedeutet. Um die entsprechenden Statistiken zu erfüllen, verlangen die Kommissare von ihren Polizeioffizieren eine bestimmte Zahl von Verhaftungen pro Monat. Wenn Sie Ende des Monats in eine Stadt kommen, in der der Kommissar die Zahl der "garde-à-vue" noch nicht erreicht hat, ist das Risiko, dass Sie verhaftet werden, zehnmal so groß wie anderswo."
Eine Entwicklung, die die Vizepräsidentin der französischen Menschenrechtsliga mit wachsender Besorgnis sieht. Denn, warnt Dominique Noguères:
"In einer Demokratie muss man sich auf die Polizei verlassen können. Es darf nicht sein, dass man sich der Polizei schutzlos ausgesetzt fühlt."
Völlig zu unrecht - wie die Betroffenen sagen -, denn das Instrument der so genannten "Garde à vue" werde inzwischen zu extensiv eingesetzt. Die französischen Polizeibeamten bestreiten die Vorwürfe. Sylvie Feucher, Gewerkschaftssprecherin der Police Nationale:
"Die Polizeioffiziere respektieren die Gesetze, so wie sie von den Parlamentariern verabschiedet wurden. Es gibt keine Banalisierung der "vorläufigen Festnahme". Wir haben nicht das Recht, Gesetze zu dehnen. Wir wenden sie ganz einfach an, das ist alles."
Doch die Kritiker beziehen sich auf offizielle Zahlen des französischen Innenministeriums: Seit 2001 ist in Frankreich die Zahl der jährlich verhängten "vorläufigen Festnahmen", der "Garde à vue", um rund 55 Prozent gestiegen. Allein im vergangenen Jahr wurde mehr als eine halbe Million Franzosen vorläufig verhaftet, umgerechnet jeder hundertste. Und dass, obwohl die Kriminalitätsrate in Frankreich nach Angaben des Innenministeriums seit mehreren Jahren rückläufig ist. Dominique Noguères, Strafverteidigerin und Vizepräsidentin der französischen Menschenrechtsliga:
"Wir bemerken seit einiger Zeit, dass die vorläufige Festnahme systematisch wird, selbst bei extrem geringfügigen Ordnungswidrigkeiten. Heute kann es schon reichen, wenn Sie gegen das, was Ihnen ein Polizist sagt, einfach nur protestieren. Das kann Ihnen von den Polizeibeamten als Widerstand gegen die Staatsgewalt ausgelegt werden und rechtfertigt eine vorläufige Festnahme. Im Pariser Strafgericht explodiert die Zahl dieser Verfahren."
Doch fehlt es in Frankreich nicht nur an Verhältnismäßigkeit beim Verhängen der vorläufigen Festnahme. Auch der Umgang mit dem Tatverdächtigen während der Haft beschreibt die Anwältin als skandalös:
"Die Person muss sich nackt ausziehen, wird sogar häufig von den Beamten rektal untersucht; Der Festgenommene wird in eine meistens ekelerregend verdreckte "garde-à-vue"-Zelle eingesperrt. Dort lässt man die Person stundenlang schmoren. Es ist die übliche Strategie der Einschüchterung, wie auch das systematische Duzen und verbales Drohen im Stil, wenn Du nicht gestehst, blüht dir das und das Urteil und so weiter."
Das Einschüchtern der in Haft genommenen Tatverdächtigen sei gängige Polizeipraxis, sagt Dominique Noguères. Sie diene dazu, dem vermeintlichen Täter noch im Kommissariat ein Geständnis abzuringen, das in der französischen Justiz nach wie vor als ultimativer Schuldbeweis gilt. Und dies alles in Abwesenheit des Anwalts, da dieser während der vorläufigen Festnahme nur das Recht auf ein kurzes Gespräch mit seinem Klienten hat, um ihn über seine Rechte aufzuklären.
Verdächtige dürfen in Frankreich bis zu 96 Stunden in vorläufigen Gewahrsam genommen werden, bei Verdacht auf organisierte Kriminalität oder Terrorismus 144 Stunden. Serge Portelli, Richter und Vizepräsident des "Tribunal de Paris" und Autor mehrer kritischer Bücher über die französische Justiz, nennt die Praktiken der vorläufigen Festnahmen in Frankreich denn auch "mittelalterlich".
"Wenn Sie sich die Gesetzestexte ansehen, sagen Sie sich: die Freiheitsrechte sind in Frankreich absolut geschützt, weil die vorläufige Festnahme vom Staatsanwalt kontrolliert wird. Aber die Wirklichkeit ist radikal anders. Es gibt zwischen Staatsanwalt und Polizei in der Regel nur kurze telefonische Kontakte. Äußert selten überprüfen Staatsanwälte die "garde-à-vue" vor Ort, im Kommissariat. In der Praxis machen die Polizisten also was sie wollen. Deshalb haben wir dort Missbrauch und Willkür, manchmal schwerwiegende Fälle."
Richter Portelli begründet den starken Anstieg der vorläufigen Festnahmen mit der Politik Nicolas Sarkozys. Denn der habe zunächst als Innenminister und dann als Staatspräsident 18 Reformgesetze zur Verschärfung des Strafrechts auf den Weg gebracht und gleichzeitig Justiz und Polizei mit Nachdruck aufgefordert, härter gegen Straftäter vorzugehen. Richter Portelli:
"Das ist die so genannte Politik der Zahlen und Resultate. Den Franzosen wird suggeriert, dass mehr Verhaftungen mehr Sicherheit bedeutet. Um die entsprechenden Statistiken zu erfüllen, verlangen die Kommissare von ihren Polizeioffizieren eine bestimmte Zahl von Verhaftungen pro Monat. Wenn Sie Ende des Monats in eine Stadt kommen, in der der Kommissar die Zahl der "garde-à-vue" noch nicht erreicht hat, ist das Risiko, dass Sie verhaftet werden, zehnmal so groß wie anderswo."
Eine Entwicklung, die die Vizepräsidentin der französischen Menschenrechtsliga mit wachsender Besorgnis sieht. Denn, warnt Dominique Noguères:
"In einer Demokratie muss man sich auf die Polizei verlassen können. Es darf nicht sein, dass man sich der Polizei schutzlos ausgesetzt fühlt."