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Für den Aufstand, für das Theater

Wer immer wieder staunt über die Bereitschaft gerade sehr junger Theatertalente, sich einzulassen auf den politisch motivierten, moralisch formulierten Rigorismus in Denken und Dramatik Friedrich Schillers, der hat ein paar Zeichen der Zeit übersehen in jüngerer und jüngster Zeit.

Von Michael Laages | 23.01.2011
    Angeödet von der (wie es scheint) Unausweichlichkeit im fatalen Fortschritt der Moderne wächst allerwärts die Sehnsucht Motiven und Methoden für Veränderung. Kann sein, dass Utopien starben, als der Umbruch kam am Ende der 80er-Jahre und die Blöcke fielen; aber die Aussicht auf immerwährendes Wirtschaftswachstum war schon damals nicht genug. Jette Steckel war damals sieben Jahre alt, jetzt, knapp 22 Jahre später, menetekelt das Team der in den vergangenen Jahren sehr schnell sehr erfolgreichen Regisseurin das eigene Pro-Schiller-Motiv gleich unüberlesbar ins Programmheft wie auf den Eisernen Vorhang, bevor (noch vor ihm) die tödliche Schlacht beginnt um die Wahrheit, im historischen Spanien des zweiten König Philipp wie in jeder zeitgenössischen Diktatur nebenan. Worte des "Wikileaks"-Gründers Julian Assange donnern diesem "Don Carlos" voran, sie künden vom Recht auf Wahrheit, auch wenn darüber alle Strukturen der alten Macht zuschanden gehen werden – und es fehlt eigentlich nur noch ein Video des jungen Tunesiers, mit dessen Selbstverbrennung die allerjüngste Etappe in der Geschichte der Umstürze begann.

    Das mag spekulativ im Übermaß finden, wer will – aber so sehen viele jüngere Regie-Talente, vor Jahresfrist auch schon Roger Vontobel mit demselben Text in Dresden, tatsächlich Schillers fundamentalen Anspruch, ein freier Radikaler zu sein. Julian Assange, mit wie viel guten Gründen auch immer umstritten, wird da zum Wiedergänger im Internet-Zeitalter. Keine Rücksicht mehr nehmen, keine Kompromisse mehr schließen – das tun ja schon alle anderen: Die Schiller-Interpreten stehen an einem neuen Bruch der Generationen. Gut so. Sie haben viel gesehen, die Medien haben sie ein Heranwachsendenleben lang zugeschüttet mit Image und Effekt; und das meiste dieser Bilder war Lug und ist Trug. Sehnsucht nach dem Grundsätzlichen klingt anders, sieht anders aus – und die bleibt denn auch immer zu spüren, auch wenn sich Jette Steckels Hamburger Schiller-Blick sehr wohl aus ganz vielen anderen, auch konventionellen und handelsüblichen Quellen speist. Sie setzt sogar auf blanke Oberflächen – und lässt etwa das verräterische, verführbare Fräulein Eboli an Philipps Hof Flamenco tanzen lassen mit dem aus Liebe aufrührerischen Carlos. Der ist lange nur das verstockte Kind und sprudelt danach Emotionen.

    Der Marquis von Posa, der hier den sprachlosen Königssohn in Turnschuhen, Jeans und Ringel-T-Shirt aus der Liebesdepression heraus holt, kommt gerade aus den Niederlanden, der Provinz des Aufstands, in Spanien an mit nur einer Plastiktüte und dem Jackett samt diplomatischen Orden drin – ein Revoluzzer aus Neigung, der in die eigenen Strategien verliebt ist und für die nichts mehr zu brauchen meint als den eigenen Kopf. Sie gehen dann ja auch angemessen schief. Die Macht – das ist hier die ganze junge Königin, sehr deutlich die Ex-Geliebte des Sohnes und nun (Macht macht's möglich!) nur noch Gattin des Vaters, der seinerseits noch überaus viril agiert, wie kalt auch immer er sich gibt als Funktionär von Macht und Gewalt. Die zentrale Auseinandersetzung der beiden findet immerhin im Bett statt.

    Mord und Tod am Schluss sind Exekutionen – erst knallt der König den ebenso himmelsstürmerischen wie eitlen Posa ab, dann richtet der Chefinquisitor, einen Auftrags- und Profikiller wie du und ich (er tritt auf aus Reihe 4 oder 5) die "Kinder" hin, Carlos und Elisabeth. Der Rest ist Leerlauf, die Drehbühne wird sich noch eine Weile weiter drehen.

    Das klingt ein wenig durcheinander, wie ein unordentlich angerührter Zitatensalat aus allen möglichen Manierismen aus dem Mainstream der Moderne – und in der Tat ist das die Schwäche der Inszenierung. Sie ist stark vor allem im Augenblick, auch dank der sich doppelt drehenden Bühne von Florian Lösche - ein kleinerer Kreis bewegt sich innen, ein größerer außen, und meistens sind beide gegenläufig unterwegs; in dieser Bewegung faltet sich ein schwarzes Verließ der Macht immer wieder von neuem auf und zu. Darin agiert ein weithin starkes Ensemble, allen voran Hans Kremer als explosiv unterkühlter Herrscher und Jens Harzer als immer ironischer, demonstrativ brüchiger Stratege des Aufruhrs, in einer Art Mischung aus Andreas Baader und Max Goldt. Die geflügelte Forderung nach "Gedankenfreiheit" wird da eher achtlos hingefetzt – nun mach schon, König, schaff Dich ab!

    Starke Augenblicke: ja. Aber ein mitreißender Abend wird letztlich nicht daraus. Vielleicht stand ja ein bisschen zu fett das Motto drüber: Gebt die Wahrheit frei über den Zustand der Welt – sie ist nicht mehr zu retten! Mag sein. Aber wenn alles so klar ist – woher soll der große Atem denn noch kommen: für den Aufstand, für das Theater?