Jürgen Rüttgers: Ich freue mich über die guten Umfragewerte, aber ich weiß - sechs Wochen, da kann noch viel passieren. Und das Schlimmste ist, wenn die eigenen Leute jetzt in Euphorie ausbrechen. Es muss gekämpft werden, sechs Wochen lang, von Straße zu Straße, von Haus zu Haus, von Betrieb zu Betrieb. Und dann können wir auch einen Sieg einfahren. Ich bin mir persönlich sicher: Wir können und wir werden gewinnen.
Wagener: Aber eine Angst, dass hier in allzu kurzen Zeitabständen die Stimmungen nochmal so richtig kippen können, die existiert nicht wirklich bei Ihnen?
Rüttgers: Ich habe keine Angst, ich weiß, wir können gewinnen, und ich traue mir das auch zu. Und ich glaube, dass das auch das ist, was die Grundlage für die guten Umfragen bildet. Die Leute haben innerlich abgeschlossen mit Rot-Grün, sie trauen denen nichts mehr zu. Sie wissen, dass es mit Rot-Grün nicht besser wird, sondern immer nur härter. Es gibt viele, die allerdings auch noch die Frage haben: Was macht die CDU denn anders? Und das ist genau das Thema unseres Wahlkampfs: Vor der Wahl sagen, was wir nach der Wahl tun, damit die Leute wissen, was sie an uns haben, auf was sie sich einstellen können. Und genau das schafft auch wieder das Vertrauen, das notwendig ist, um die Wahl zu gewinnen.
Wagener: Ihre Parteifreunde in Duisburg hatten bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Herbst einen - zugegebenermaßen einen suggestiven, aber sehr geschickt formulierten Slogan in Umlauf gebracht, der da hieß: 'Mein Großvater wählte SPD, mein Vater wählte SPD, ich wähle CDU'. In Duisburg ging die Rechnung dann ja auch auf. Aber klar ist auch, wenn beide großen Parteien ihre Lager ausschöpfen, dann hat die Union schlechte Karten. Heißt das, Ihre Partei hält sich mit Attacken jetzt im Wahlkampf gegenüber den Genossen so ein bisschen zurück, um ja keine größere Mobilisierung bei der SPD auszulösen?
Rüttgers: Es gibt keine Mobilisierung bei der SPD, es gibt auch keine 'Sofa-Partei', wie Herr Steinbrück immer behauptet. Wir wissen aus den Umfragen, dass 77 Prozent der Leute sich bereits entschieden haben. Das ist gar nicht das Thema dieses Wahlkampfs. Die Leute sind es leid, wenn Politik nur noch aus gegenseitigen Vorwürfen besteht. Sie sind es leid, wenn da nur noch Inszenierungen gemacht werden. Sie haben gesehen, dass die ganzen medialen Fähigkeiten, das ganze Theater, was man bei Gerhard Schröder und Rot-Grün immer erlebt, letztlich in der Sache nicht weiterhilft. Auch die Bekanntgabe immer neuer angeblich positiver Meldungen - 'der Zenit ist überschritten', 'die Arbeitslosigkeit sinkt', 'wir werden bald Vollbeschäftigung haben' -, alles, was man so täglich von Herrn Clement hört, das hat keine reale Basis. Das wissen die Menschen aus ihrem eigenen Leben. Also wollen sie keine Inszenierung, sie wollen wissen: Was kann getan werden, um mehr Arbeit zu schaffen, was kann getan werden, um mehr Bildung in Nordrhein-Westfalen zu verwirklichen und weniger Staat, das dritte wichtige Thema.
Wagener: Eines fällt auf bei den aktuellen Umfrageergebnissen, allerdings auch bei denen, die schon etwas älter sind: Ihre Partei bekommt teilweise deutlich bessere Werte als Sie als Herausforderer einfahren. Haben Sie vielleicht ein Popularitätsproblem?
Rüttgers: Ministerpräsident Steinbrück hat nach den neuesten Umfragen des ZDF und der ARD einen Beliebtheitsgrad von 37 Prozent. Damit ist er der unbeliebteste Ministerpräsident, den es in Deutschland gibt. Ich liege bei 34 Prozent und habe damit die besten Werte, die ein Oppositionsführer in Deutschland hat. Man darf einfach nicht vergessen, dass es immer so etwas wie einen Amtsbonus normalerweise gibt. Frau Simonis hatte 72 Prozent, Herr Clement hatte als Ministerpräsident 77 Prozent. Alles das gibt’s bei Steinbrück nicht. Insofern sind meine Zahlen sehr, sehr gut und die von Herrn Steinbrück schlecht.
Wagener: Mit Ministerpräsident Steinbrück werden Sie sich ja zwei Fernsehduelle liefern, am 5. und am 17. Mai. Spätestens dann wollen die Wähler von Ihnen, vom Herausforderer ja wissen, was Sie beispielsweise in der Wirtschaftspolitik zu ändern gedenken, um mehr Arbeit zu schaffen. Das reine Vorhalten der mittlerweile eine Million Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen dürfte ja da nicht mehr reichen. Was haben Sie konkret anzubieten dann?
Rüttgers: Dennoch ist es das größte Problem, das wir in Nordrhein-Westfalen haben: Mehr als eine Million Arbeitslose. Das ist nicht nur - aber ein Stück das Ergebnis einer verfehlten Wirtschaftspolitik. Es gibt ein paar Grundwahrheiten, die wieder einmal gesagt werden müssen: Erstens, wir werden wieder mehr arbeiten müssen für das selbe Geld. Noch nie hat das Volk seine Probleme dadurch gelöst, dass es weniger gearbeitet hat, wie wir das in den letzten zwanzig Jahren immer wieder versucht haben. Wir brauchen ein einfacheres Steuerrecht, so wie Friedrich Merz das konzipiert hat. Wir müssen Subventionen abbauen, die Ausgaben des Staates zurückführen. Ohne Konsolidierung gibt es nicht mehr Wachstum. Das heißt im Klartext: Halbierung der Steinkohle-Subventionen, heißt aber auch Herunterfahren der nicht mehr zu verantwortenden Subventionen für die Windenergie, die gleichzeitig dann auch noch die Energiekosten teuer macht, was wiederum die Arbeitskosten belastet. Dazu gehört aber auch langfristig mehr Innovation in moderne Produkte, in moderne Dienstleistungen, wo wir ja gar nicht soviel sparen können, dass wir alleine über Kostensenkungen uns mit Asien oder Osteuropa werden messen können. Also müssen wir etwas tun im Bereich der Universitäten und des Bildungssystems.
Wagener: Auf einige Stichworte werde ich gleich noch mal genauer eingehen. Aber zunächst etwas Grundsätzliches: Die entscheidenden Parameter für wirtschaftliches Handeln werden ja eigentlich bundespolitisch bestimmt, eigentlich auch sehr stark schon durch EU-Gesetze und auch durch die Spielregeln des globalisierten Marktes. Welchen Einfluss als Ministerpräsident eines Bundeslandes wollen Sie denn da noch geltend machen, wenn Sie denn in die Staatskanzlei einziehen? Nehmen wir das Beispiel 'Anwerbung von Investoren'. Das ist ja ein recht wichtiges Stichwort innerhalb Ihres Wahlprogramms.
Rüttgers: Das Erste ist: Politik schafft keine Arbeitsplätze! Im öffentlichen Dienst müssen wir sogar abbauen. Aber natürlich kann man versuchen, die Rahmenbedingungen zu verbessern für Investoren und Investitionen. Und man darf natürlich auch nicht diejenigen vergessen, die schon hier sind. Denn es ist leichter, die Starken zu stärken als zu versuchen, neue Arbeitsplätze, neue Betriebe aus dem Ausland hier nach Nordrhein-Westfalen zu bekommen. Aber es gibt ein paar konkrete Sachen. Ich finde zum Beispiel nicht akzeptabel, dass wir unser Steuergeld nach Brüssel schicken, und die subventionieren dann die Verlagerung von Jobs aus Nordrhein-Westfalen nach Osteuropa. Das muss eingestellt werden. Es gibt einen zweiten Punkt: Wir haben einige Bereiche, wo man nach wissenschaftlichen Untersuchungen sagen kann, dass da ein Jobpotenzial besteht, etwa um die Flughäfen, etwa um die Hochschulen, im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen und im Bereich der Minijobs, was dazu führt, dass nicht die Arbeitslosigkeit bekämpft wird, aber mehr Nachfrage entsteht, weil die Leute mehr Geld haben und sie gleichzeitig auch gegen die Schwarzarbeit etwas tun können. Das sind Sektoren, wo viele, viele Arbeitsplätze möglich sind. Darauf kann eine Landesregierung sich konzentrieren, wobei ich sowieso dafür bin, dass jeder an seiner Stelle im Rahmen seiner Zuständigkeiten seinen Job macht, statt immer vom anderen zu fordern, er soll was tun.
Wagener: Um so, wie Sie das gerade beschrieben haben, zu wirken: Steht da vielleicht auch der Gedanke, dass Sie, wenn Sie die Wahl gewinnen, das kombinierte Ressort Wirtschaft und Arbeit wieder aufsplitten wollen? Hat das etwas damit zu tun, dass Sie, so wie eben beschrieben, hier bessere Akzente setzen wollen?
Rüttgers: Das war ein Versuch, wenn man gesagt hat, wenn Wirtschaft und Arbeit in einem Ministerium zusammen sind, dann läuft das besser und wird vorher abgestimmt. Die Erfahrung zeigt nur: Das klappt nicht. Im Wirtschaftsministerium hat es in den letzten Jahren mehr Wirtschaftsminister gegeben, als bei Schalke Trainer - die Letzteren werden hoffentlich Meister. Von der Wirtschaftspolitik in NRW kann man das nicht sagen. Ich glaube, dass ganz wichtig ist, dass sich jemand von morgens bis abends um Investitionen kümmert, dafür sorgt, dass die Arbeitsbedingungen der Wirtschaft besser sind. Da ist in Nordrhein-Westfalen viel aus dem Ruder gelaufen, die Proportionen sind abhanden gekommen. Wir haben alleine mehr als 6.400 Mitarbeiter in der Landesverwaltung, die sich um Umweltschutz kümmern, aber nur 417, die sich um Wirtschaft und die Ansiedlung von Betrieben kümmern. Das muss wieder geradegerückt werden.
Wagener: Es fällt ja auf, dass außer dem Chef des Arbeitnehmerflügels der Union, Karl Josef Laumann, der für das Amt des Arbeitsministers gesetzt ist, keine anderen Namen in Umlauf für eine Kabinettsliste sind. Halten sich die prominenten Kandidaten - die eventuellen prominenten Kandidaten - noch versteckt, weil der Glaube an den Sieg nach 39 ununterbrochenen SPD-Jahren noch nicht ganz so ausgeprägt ist?
Rüttgers: Nun, die Umfragen zeigen nun das Gegenteil. Und 62 Prozent der Manager wollen mich als Ministerpräsident, nur 30 wollen Herrn Steinbrück. Schauen Sie, dass Sie das fragen müssen, verstehe ich ja. Aber wir fangen jetzt erst mit dem 'heißen' Wahlkampf an. Seien Sie mal nicht so ungeduldig, warten Sie mal ab. Wir sagen schon noch rechtzeitig, wie es weitergeht.
Wagener: Nach der Wahl?
Rüttgers: Nicht nach der Wahl, sondern dann, wenn es richtig ist.
Wagener: Liegt es vielleicht auch daran, dass die NRW-CDU in den eigenen Reihen ein Qualitäts- und Kompetenzproblem hat, dass hier mit Namen noch sehr spärlich umgegangen wird?
Rüttgers: Die CDU in Nordrhein-Westfalen ist die weitaus größte Partei in Nordrhein-Westfalen, 17.000 Mitglieder mehr als die SPD. So gute Leute, wie jetzt im Kabinett, da haben wir mehrere.
Wagener: Es kursiert ein Gerücht, demnach eine Anfrage bei Ron Sommer gelandet sein soll in bezug auf den zukünftigen Wirtschaftsminister.
Rüttgers: Ich weiß, dass jeder, der im Moment mit mir redet, bei Journalisten als zukünftiger Ministerkandidat oder Ministerin-Kandidat gehandelt wird. Sie können jetzt fragen nach Namen - wie Sie wollen oder was Sie wollen: Ich werde Ihnen nicht mehr sagen.
Wagener: Einen Versuch mache ich noch. Annette Schavan, Kultusministerin in Baden-Württemberg - sie kommt ja aus Nordrhein-Westfalen -, wäre ja vom Namen her, von ihrem Rang, vom Standing - auch in der Bundesunion - eine respektable Ministerin in Ihrem Kabinett.
Rüttgers: Sie ist eine sehr respektable Kultusministerin - aber in Baden-Württemberg.
Wagener: Wäre änderbar.
Rüttgers: Sie hat gerade gesagt, das ist, glaube ich, auch bei Ihrem Sender gemeldet worden, dass sie wieder für den Landtag in Baden-Württemberg kandidieren will 2006. Warum glaubt Ihr eigentlich nie, wenn Leute was sagen?
Wagener: Wie steht es mit Ihrer Haltung zu Ihrem Vorschlag, das Bafög abzuschaffen?
Rüttgers: Da hat Angela Merkel auf dem Arbeitsmarktkongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Hürth gesagt, dass das von der CDU und von niemandem in der CDU beabsichtigt ist.
Wagener: Bildung ist einer Ihrer großen Themenkomplexe im Wahlkampf. Nennen Sie uns doch mal ein Beispiel, wie Sie, wenn Sie die Wahl gewinnen, versuchen wollen, das miserable PISA-Ergebnis an den nordrhein-westfälischen Schulen wieder zu revidieren. Und vor allem: In welchem zeitlichen Korridor planen Sie da?
Rüttgers: Also zuerst einmal bin ich nicht so verrückt, auf die Idee zu kommen, eine Einheitsschule einzuführen und die Gymnasien, die Realschulen und die Hauptschulen aufzulösen, wie das Rot-Grün diskutiert und beabsichtigt. Ich will, und das ist mein Ziel, dass die Absolventen nordrhein-westfälischer Schulen wieder alle rechnen, schreiben und lesen können. Dafür muss der Unterricht, der in der Stundentafel steht, auch gegeben werden. In Nordrhein-Westfalen fallen jedes Jahr fünf Millionen Stunden Unterricht aus. Wenn Sie das verändern wollen, wenn Sie eine Unterrichtsgarantie wollen, müssen Sie 4000 neue Lehrerinnen und Lehrer einstellen. Dafür müssen Sie das Geld aber zuerst mal anderswo einsparen, zum Beispiel in den Landesministerien und Landesbehörden, in der inneren Verwaltung, wo es nach der Aussage der Regierung Steinbrück 10.000 Leute zu viel gibt.
Wagener: Sprechen wir über Ihren potenziellen Koalitionspartner, die FDP. Es fällt auf, dass die Zusammenarbeit nicht gerade besonders eng verläuft. Ein richtiger Block, ein schwarz-gelber Block ist nicht erkennbar. Es scheint im Moment noch recht wenig miteinander abgestimmt zu werden. Gibt es eine gemeinsame Strategie, die Sie mit dem Fraktionsvorsitzenden Wolf und mit dem NRW-Parteichef Pinkwart besprochen haben, oder macht jeder für sich Wahlkampf?
Rüttgers: Wir haben ein gemeinsames Ziel. Wir wollen einen Neuanfang in Nordrhein-Westfalen nach dem 22. Mai. Dafür werben wir, jeder mit seiner Partei. Schauen Sie, Lagerwahlkampf ist nicht nur taktisch unklug - deshalb verstehe ich gar nicht, dass Rot-Grün das so macht, die Grünen hängen ja wie ein Mühlstein am Hals der SPD -, sondern jeder muss seine Stimmen bringen mit seinem Programm. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen der CDU und der FDP, und das ist auch gut so. Es wäre ja schlimm, wenn das alles dasselbe wäre.
Wagener: Sie treten für die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche ein. Sie erwähnten es eben schon. Welchen Effekt soll das haben? Vor allen Dingen: Sie möchten, dass das ohne Lohnausgleich vonstatten geht. Welchen Effekt soll das auf den Arbeitsmarkt haben?
Rüttgers: Ja, wenn auch dafür mehr Geld bezahlt wird, macht das ja keinen Sinn. Das Problem ist ja, dass unsere Arbeitskosten zu hoch sind. Und wenn wir die Löhne nicht senken wollen - und das geht gar nicht, weil viele Menschen dann in wirkliche Schwierigkeiten kommen -, dann müssen die relativen Arbeitskosten billiger werden. Und das macht man am besten, wenn man für denselben Lohn mehr arbeitet. Dann ist das, was dann an Produkten und an Dienstleistungen angeboten werden kann, billiger und kann sich besser sowohl auf dem Binnenmarkt wie auf dem Außenmarkt behaupten. Schauen Sie, wenn ein Handwerkergeselle fünf Stunden arbeiten muss, um sich eine Stunde Handwerksmeister zu leisten, dann muss man sich nicht wundern, dass die Menschen Ausweichstrategien machen. Die Leute sind da immer ganz rational. Wenn das zu teuer ist für einen Normalverdiener, dann holt er einen Freund, kennt einen, oder es wird darüber diskutiert, ob es ohne Rechnung geht. Und dann darf man sich nicht wundern, wenn die Schwarzarbeit boomt. Das müssen wir korrigieren, damit wieder mehr einbezahlt wird auch in die sozialen Sicherungssysteme, damit Rente wieder sicher wird, damit auch die Gesundheitskosten wieder kalkulierbar sind für die Menschen. Und das ist der Weg, der - übrigens zeigen das alle Umfragen - von den Leuten am leichtesten verkraftet werden kann, auf jeden Fall viel leichter, als wenn wir weiter Kürzungen vornehmen müssen.
Wagener: Ein immer wieder auftauchendes Stichwort ist die Senkung der Steinkohlesubventionen. Sie haben jetzt vorgeschlagen, diese noch einmal zu halbieren bis 2010. Die Steinkohleeinigung ist bis 2008 bindend. Wie wollen Sie denn da zu Ergebnissen kommen, ohne vertragsbrüchig zu werden?
Rüttgers: Es gibt weder Verträge, die von allen Parteien getragen werden, noch Einigungen. Das ist ja das, was ich nie verstanden habe, dass Herr Steinbrück und Herr Clement und die anderen bei der Kohle Beteiligten, Verabredungen getroffen haben, ohne etwa mit den anderen Parteien zu reden. Das ist früher in Bonn anders gemacht worden, da gab es Kohle-Verträge. Das ist von der SPD aufgekündigt worden durch dieses Verhalten, insofern ist das nicht bindend. Das Zweite ist: man muss auch den Kumpeln die Wahrheit sagen. Und die Wahrheit ist, dass auch eine Regierung Schröder bei dem, was an Verschuldung da ist, was an Haushaltslöchern da ist, das, was dazugesagt worden ist, überhaupt nicht einhalten kann. Hier unser Landeshaushalt ist inzwischen so verschuldet, dass das Geld für Steinkohlesubventionen in dem bekannten Umfang gar nicht mehr zur Verfügung steht.
Wagener: Gelsenkirchen ist zum Synonym für den Osten im Westen geworden. Fast 20 Prozent Arbeitslosigkeit dort, öffentliche Einrichtungen werden geschlossen, jedes Jahr verliert die Stadt Steuerzahler. Und dennoch zahlt die Kommune Gelsenkirchen, auch Gelsenkirchen, in den Aufbau-Ost-Topf ein. Was wollen Sie, was werden Sie als Ministerpräsident tun, um da vielleicht nachzukorrigieren?
Rüttgers: Ich bin froh darüber, dass es einen Konsens zwischen allen Parteien im nordrhein-westfälischen Landtag gibt, dass wir den Solidarpakt nicht infrage stellen wollen. Das macht übrigens auch keinen Sinn. Das sind Zusagen und wir müssen dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern sich so schnell wie möglich der westlichen Situation angleicht, sonst wird es noch teurer. Aber bei allen anderen Programmen, muss darauf geachtet werden, dass bei vergleichbar hoher Arbeitslosigkeit, bei vergleichbaren wirtschaftlichen Problemen auch dann Kommunen wie Gelsenkirchen genau so behandelt werden, wie vergleichbare Städte in den neuen Bundesländern.
Wagener: Ein anderes Stichwort: Joschka Fischer, der Bundesaußenminister, tut Ihnen den Gefallen und tritt noch vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen vor den Untersuchungsausschuss. Eigentlich nimmt er ja damit eher den Druck von Rot-Grün, oder?
Rüttgers: Also, ich glaube, die Leute wissen inzwischen, dass da Riesenfehler passiert sind. Das ist ja auch ein unglaublicher Vorgang, dass mit Duldung und mit Zustimmung des Bundesaußenministers viele, viele Menschen ja nach Nordrhein-Westfalen und Deutschland gekommen sind, und das angesichts der Tatsache, dass wir ja schon so viele Arbeitslose haben. Da ist jetzt der Versuch, wieder eine Medieninszenierung zu machen nach dem Motto: Ich gehe mal vor den Ausschuss und sage euch mal, wie das wirklich ist - okay, ich habe Fehler gemacht, aber sonst ist doch alles prima. Ich glaube, die Leute haben ein genaues Gespür dafür, dass das nicht so einfach geht. Ich habe selbst die Arbeiter gesehen, die sich da für drei Euro die Stunde am Straßenrand angeboten haben und den ganzen Tag gearbeitet haben. Ich glaube, das ist einer der Vorgänge, wo ich mich nicht erinnern kann, dass es schon einmal etwas Vergleichbares gegeben hat, der nicht nur im Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden muss, sondern der auch politische Konsequenzen haben muss.
Wagener: Glauben Sie überhaupt, dass dieses Thema ,Joschka Fischer und diese Visa-Affäre’ irgend einen Einfluss auf diesen Wahlkampf haben wird? Ich verweise auf die demoskopischen Ergebnisse der jüngsten Tage. Da haben die Grünen ja eigentlich noch zugelegt.
Rüttgers: Bei der Wahlkampferöffnung der Grünen in Essen war der Saal halb leer. Alleine das zeigt ja schon: Die Leute wissen, dass die Grünen nicht nur Arbeitsplätze kosten, sondern dass das Gesellschaftsbild, das sie vortragen, eine Gesellschaftsvorstellung ist, die mit den Realitäten nichts zu tun hat. Wenn Sie die Frage stellen, ob die Leute mit der Arbeit der Grünen zufrieden sind, dann stellen Sie in den Umfragen fest, dass sie da eingebrochen sind und die größten Verluste haben. Das zeigt, die Leute wissen, dass man mit Themen wie Ausbau von Windenergie und ähnliches keine neuen Jobs schaffen kann.
Wagener: Herr Rüttgers, Koalitionsabsprachen sind ja das eine. Sie haben Sich mit der FDP verbunden, treten gegen Rot-Grün an. Die Wahlergebnisse am Wahlabend sind das andere. Wir haben das jetzt erst wieder in Kiel gesehen. Wenn eine rechnerische Mehrheit für die Union und die Bündnisgrünen am 22. Mai zu Buche steht - ist das ein Albtraum für Sie?
Rüttgers: Ich habe keine Albträume, sondern ich habe Ziele. Und Ziele bedeutet, dass ich einen Neuanfang haben will. Und Neuanfang geht in Nordrhein-Westfalen nicht mit denjenigen, die das Land in die Sackgasse gefahren haben. Wenn Nordrhein-Westfalen wieder nach vorne kommen will, dann müssen wir wirklich eine andere Politik in Wirtschaft und Bildung machen, und das geht am besten mit der FDP.
Wagener: Wenn wir aber mal die Umfrageergebnisse, auf die mittlere Zeitschiene gesehen, aller vier Parteien miteinander vergleichen, dann fällt ja auf, dass die SPD doch ziemlich stark verloren hat. Sie gewinnen dazu, aber die FDP kommt im Grunde genommen nicht mehr über sechs oder sieben Prozent hinaus. Das könnte also sehr knapp werden. Es kann also gut sein, dass die FDP als Bündnispartner ausscheidet. Und die Grünen, die in der Regel auf acht, neun, manchmal sogar auf zehn Prozent prognostiziert werden, böten sich ja dann an. Was tun Sie praktisch, wenn wir diese Mathematikaufgabe am 22. abends stehen haben?
Rüttgers: Also, die Grünen, die waren schon mal bei dreizehn Prozent und sind jetzt im Sinkflug. Die FDP ist stabil bei sieben Prozent und so wird es auch kommen.
Wagener: Es wurde immer wieder darüber mal gesprochen, nachdem es mehr und mehr schwarz-grüne Bündnisse in den Kommunen gegeben hat - größtes Beispiel war Köln -, ob das nicht ein tragfähiges Zukunftsmodell werden könnte. Man hat diese Überlegung bis nach Berlin angestellt. Würden Sie sich dem denn verweigern, wenn dieses Ergebnis es so anbieten würde?
Rüttgers: Ich will neue Jobs für Nordrhein-Westfalen, und die gibt es nicht mit den Grünen.
Wagener: Die große Koalition ist eine andere Option. Wir haben sie jetzt in Schleswig-Holstein. Die ist auch hier für Düsseldorf nicht ganz auszuschließen. Fürchten Sie so was?
Rüttgers: Große Koalitionen sind in der Regel Stillstandskoalitionen. Sehen Sie, in der Föderalismuskommission sitzen wir jetzt zusammen, um das, was in den 60er Jahren ins Grundgesetz von der großen Koalition reingeschrieben worden ist, wieder rauszuholen, um das Land handlungsfähig zu machen. Auch da stellt sich jetzt dieselbe Frage. Die haben ihre Chance gehabt, 39 Jahre lang. Das Ergebnis ist eine Million Arbeitslose, fünf Millionen Stunden Unterrichtsausfall, 110 Milliarden Euro Schulden. Warum sollten die jetzt die Kraft haben, nachdem sie ihre Chance nicht genutzt haben?
Wagener: Andererseits ist es nicht so, dass eine große Koalition für eine Übergangsphase die Chance bildet, in Anbetracht der großen wirtschaftlichen Probleme der anstehenden Reformen, vielleicht mit Blick auf das Tempo dieser anstehenden Reformen größere Schritte zu machen?
Rüttgers: Dann müsste es aber ein Projekt geben, das man mit der SPD durchsetzen könnte, und dieses Projekt sehe ich nicht, weil die ja in sich zerstritten sind und vor allen Dingen das Vertrauen der Menschen verloren haben.
Wagener: Herr Rüttgers, ich danke Ihnen für das Interview.