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Für die Freiheit, gegen das Schweigen

Der 63-jährigen Nihad Siris ist sie schon seit Langem eine Symbolfigur der Unterdrückung. Der gefeierte Film- und Fernsehautor, der Drehbücher schrieb, die für Begeisterung in der gesamten arabischen Welt sorgten, fiel in Ungnade, als er in einer seiner Serien die Geschichte des syrischen Regimes kritisch unter die Lupe nahm.

Von Cornelia Wegerhoff |
    Blick auf das Denkmal des deutschen Dichters Friedrich Rückert in dessen Geburtsort Schweinfurt (Unterfranken).
    Blick auf das Denkmal des deutschen Dichters Friedrich Rückert in dessen Geburtsort Schweinfurt (Unterfranken). (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Er redet nicht viel über sein Heimweh. Aber es ist ständig zu spüren. Schon seit anderthalb Jahren lebt Nihad Siris in Ägypten, in einer kleinen Wohnung im zentralen Kairoer Stadtviertel Zamalek. Doch bereits die bescheidene Einrichtung lässt erkennen, dass der Schriftsteller hier nicht wirklich ein neues Zuhause gefunden hat. In Gedanken ist er immer noch in Syrien. Und selbst die Musik seiner Heimatstadt klingt weiter in seinen Ohren:

    "Bei uns in Aleppo gab es in jedem Haus ein Instrument. Wir lebten in Syriens Hauptstadt der Musik. Die Leute gingen nicht nur zur Oper oder ins Konzert, um Musik zu hören. Überall spielten sie selbst, die Musik war ein Teil ihres Lebens, erzählt der Schriftsteller. Aber jetzt ist es schrecklich still geworden. Die Menschen kämpfen nur noch um ihr Leben. Und so wie die Stadt in Trümmern liegt, ist auch die Kultur zerstört. Da sind keine Lauten und Flöten, Harfen und Geigen mehr."

    Die Stille – für den heute 63-jährigen Nihad Siris ist sie schon seit Langem ein Symbol der Unterdrückung. Als der studierter Bauingenieur begonnen hatte Romane zu schreiben, wurde er in Syrien zunächst schnell ein gefeierter Autor. Die Drehbücher, die er für Filme und Fernsehserien schrieb, sorgten für Begeisterung in der gesamten arabischen Welt. Als Siris aber in einer dieser Serien die Geschichte des syrischen Regimes kritisch unter die Lupe nahm, fiel er in Ungnade.

    Seine Bücher wurden verboten. Seine literarische Stimme zum Schweigen gebracht.
    Erst als Baschar al Assad im Jahr 2000 nach dem Tod seines Vaters die Macht übernahm, schien sich das Blatt zu wenden.

    Nihad Siris:
    "Wir haben das den Damaszener Frühling genannt, so Siris. Es gab einen neuen Präsidenten. Und alles wirkte so, als wolle Baschar al Assad das System seines Vaters ändern. Als er das Regime übernahm, war er gerade erst 34 Jahre alt. Er hat in England studiert, ist sehr gebildet. Er hat mit vielen Syrern im Exil gesprochen und sie gebeten in die Heimat zurückzukehren. "

    Nihad Siris begann damals sogar hoffnungsvoll literarische Salons in Damaskus zu organisieren, in denen sich die syrischen Reformkräfte trafen. Aber schon im Jahr 2001 endete die neue syrische Freiheit abrupt. Präsident Baschar al Assad ließ plötzlich Liberale und Intellektuelle verhaften.

    "Er wurde genauso zum Diktator wie sein Vater."

    Und Nihad Siris wurde erneut ein Feind des Regimes. In seinem 2004 erschienenen Roman "Ali Hassans Intrige", den er im Libanon publizieren musste, verarbeitete der Schriftsteller die Ereignisse:

    "Der arabische Name des Romanes ist "Die Stille und der Lärm". Mit "Stille" ist das Schweigen der Intellektuellen gemeint, die den Mund halten müssen. Der Lärm steht für die lautstarke Propaganda des Regimes überall auf den Straßen."

    Die Jury des Coburger Rückert-Preises lobt den Roman, der 2008 ins Deutsche übersetzt wurde, als Satire auf den Führerkult in einer arabischen Diktatur. Nihad Siris bediene sich eines "ironisch gefärbten Humors”, der einen sogar schmunzeln lasse. "Genau deshalb werde das Werk über den tragischen historischen Augenblick hinaus aktuell bleiben", so die Coburger Juroren wörtlich.

    Mindestens 93.000 Menschenleben hat der Krieg in Syrien inzwischen gekostet. Und selbst wer nur seine Stimme gegen das Assad-Regime erhebt, bringt sich in Lebensgefahr:

    "Ich habe entschieden, dass es besser ist, wenn ich mein Land verlasse, um nicht weiter still sein zu müssen, sagt Nihad Siris. Hier kann ich die Wahrheit über Syrien sagen."

    Doch ausgerechnet in seinem Exil in Ägypten, hat ihn der grausame Krieg daheim ein weiteres Mal in seinem Schriftsteller-Leben nahezu sprachlos gemacht:

    "Wir können uns keine Romane mehr ausdenken. Die Leute wissen, wie in Syrien gemordet und gestorben wird. Was in Syrien passiert, liegt jenseits unserer Vorstellungen. "