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Für ein kühles Helles

Am 1. März 1876 erhielt der junge Münchner Professor Carl Linde das Patent für eine Technik, die im Kern so noch heute in jedem Haushalt zu finden ist, und zwar in Kühlschränken. Die Kompressionskältemaschine wurde schon im 19. Jahrhundert zu einem vollen Erfolg, und zwar zunächst vor allem in den Brauereien des Deutschen Reichs.

Von Kay Müllges | 01.03.2006
    Brauereibesitzer Gabriel Sedlmayer kann zufrieden sein. Das Geschäft läuft wie am Schnürchen. Besonders in diesem heißen Sommer 1873 ist der Bierdurst der Münchner die reine Freude. Es gibt nur ein Problem: Bier will gekühlt sein.

    "Herr Sedlmayer die Eislieferung!"

    "Mei, merer habts ihr net? Des is ja olls scho halber gschmolzen. Schamts ihr euch net, bei dem Preis."

    "Ja, dann suchts eana an anderen Lieferanten. Was glauben Sie, wo man heut no a gescheits Eis herkriegt? Bei die milden Winter. Bis zu die Gletscher in Tirol müss mer neifahrn. Des kost halt."

    "Ja na gebts es her. I brauchs ja."

    In Bayern bevorzugte man – anders als etwa im Rheinland – untergärige Biersorten wie Pils oder Weizenbier. Doch dazu brauchte es Eis, jede Menge Eis, denn diese Biersorten gären am besten bei Temperaturen zwischen vier und neun Grad Celsius und müssen danach noch mehrere Wochen bei null bis zwei Grad Celsius gelagert werden, bei Kühlung mit Natureis eine kostspielige Angelegenheit. Zwar wusste man damals bereits, dass man durch die Verdampfung bestimmter Chemikalien zum Beispiel Kohlensäure oder Ammoniak der Luft Wärme entziehen kann. Doch Kältemaschinen, die auf dieser Erkenntnis aufbauten, funktionierten eher schlecht als recht, bis Carl Linde, ein junger Professor aus München, eine Idee hatte. 1873 trug er sie auf dem Internationalen Bierbrauerkongress in Wien vor.

    "Da das Ammoniak beim Verdampfen der Umgebung Wärme entzieht, ergibt sich folgende Möglichkeit: Wenn man mit Hilfe eines Kompressors das Ammoniak immer weiter verdichtet, lässt sich ein hoher Wirkungsgrad für eine funktionstüchtige Kältemaschine erreichen."

    Gabriel Sedlmayer hörte den Vortrag und war begeistert. Und er war bereit, Linde den Bau einer solchen Kältemaschine zu finanzieren. Am 1. März 1876 war es soweit. Carl Linde erhielt das Patent für eine Technik, auf der im Prinzip auch noch unsere heutigen Kühlschränke basieren. Hellwig Falcke von der Energieagentur Nordrhein-Westfalen:

    "In jedem Gefrier- oder Kühlgerät ist ein Thermostat, das erkennt, wenn es im Kühlschrank zu warm wird. Also nehmen wir an, eingestellt ist eine Temperatur von fünf bis sieben Grad, und es wird jetzt acht Grad im Kühlschrank, dann reagiert das Thermostat darauf und schaltet den Kompressor des Kühlschranks an, und die Kühlung läuft wieder an."

    Lindes Idee einer Kompressionskältemaschine erwies sich sofort als überaus erfolgreich. Die Brauereibesitzer standen Schlange, um sich die neue Technik anzusehen. Linde verließ die Universität und gründete 1879 Lindes AG für Eismaschinen in Wiesbaden. Schon bald belieferte die AG fast alle Bierbrauereien im Deutschen Reich und viele im Ausland. Außerdem baute man Kühlanlagen für Schlachthöfe sowie für Eisfabriken. In einem Vortrag von 1918 vor der königlichen Akademie der Wissenschaften konnte der Erfinder des Kühlschranks ein stolzes Resümee ziehen:

    "Und nun wurde im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts die technische und wirtschaftliche Verwendung künstlicher Kälte in einer geradezu stürmischen Entwicklung und Ausbreitung aufgenommen. Die Führung war hierbei an Deutschland übergegangen."

    Das bezog sich allerdings mehr auf Kältemaschinen für die Industrie. Als der Pionier der Kältetechnik 1934 im Alter von 92 Jahren starb, florierte zwar sein Unternehmen, doch seine Landsleute kühlten im Privathaushalt immer noch mit Natureis oder lagerten Lebensmittel im kühlen Keller, wenn sie sie nicht gleich dörrten oder trockneten. Das sollte sich erst nach dem zweiten Weltkrieg ändern. Der Architekt des Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard erklärte in den 50er Jahren, das Güter des gehobenen Bedarfs wie beispielsweise Kühlschränke, allen Schichten der Bevölkerung zugänglich gemacht werden müssten. Und die aufstrebende Industrie machte sich an die Produktion von und die Werbung für erschwingliche Kühlgeräte:

    "Jetzt zeig’ ich Ihnen in der Küche mein Paradepferd. Rassig, wunderbar – jedoch das Paradepferd ihrer Küche ist doch ein Kühlschrank. Ja, er ist doch vollendet schön, elegant. Wahrlich der Kühlschrank des neuen Stils."

    Heute gehört der Kühlschrank – höchstrichterlich verfügt – zum Lebensnotwendigen im Haushalt und darf auch nicht gepfändet werden. Ingenieure und Techniker arbeiten ständig an seiner weiteren Verbesserung, zum Beispiel am intelligenten Kühlschrank, der seinem Besitzer meldet, dass die Milch alle ist oder das Fleisch sein Verfallsdatum überschritten hat. Und vielleicht entwickelt ja sogar mal jemand ein Mittel, den lästigen Brummton des Kompressors auszuschalten.