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Für Fleiß und Betriebsamkeit bekannt

In Metzenseifen, auf slowakisch Medzev, leben rund 1000 Kapartendeutsche. Bis heute hat sich diese deutsche Minderheit ihren matakischen Dialekt bewahrt. Erst mit der politischen Wende im Ostblock durften sie sich auch zu ihrer deutschen Kultur bekennen und diese in der Slowakei leben.

Von Conrad Lay | 07.04.2013
    Wir stehen im Maleratelier des slowakischen Künstlers Helmut Bistika. Ähnlich wie Georg Baselitz stellt auch er seine Gemälde auf den Kopf.

    "Die ganze Welt ist auf dem Kopf. Und ich denke, Baselitz macht das richtig, wenn er das auf den Kopf stellt. Denn was vorher nur im Westen war, das ist auch hier im Osten. Wir gucken ja alles nach den Leuten, und machen wir dieselben Fehler, die ihr schon vorher gemacht habt."

    Helmut Bistika lebt in dem Städtchen Metzenseifen, auf slowakisch: Medzev, in der Nähe von Kosice, der weit im Osten liegenden, zweitgrößten Stadt der Slowakei. Im Jahr 2013 ist Kosice, auf deutsch: Kaschau, Europäische Kulturhauptstadt. Neben Slowaken leben hier die unterschiedlichsten Minderheiten: Ungarn, Roma, Juden, Ukrainer und auch Deutsche, sogenannte Karpatendeutsche.

    "Diese ganzen Porträts, die sind vor fast zehn Jahren entstanden, ganz hyperrealistische Porträts gemacht von Leuten, die hier in der Umgebung wohnen: Meine Nachbarn, Obdachlose oder ältere Leute, ganz uninteressante Leute, die für Reklame wichtig sind. Denn die ganze Welt ist ja Konsum, Reklame, Reklame, Reklame. Und so habe ich diese einfachen Leute ins Bild gesetzt mit gewissen Reklamesymbolen. Also der Mann, der das ganze Leben nur geraucht, die Pfeife hat, hat mit Davidoff zu tun."

    Bistika stellt die alten Bewohner gerne vor eine Werbewand von Benetton, Davidoff oder Chanel. Der Kontrast könnte kaum größer sein. Verwundert fragen sie sich: "Bos es dos?"

    "Das ist ja mein Opa, nicht. Die Oma hat ja immer so richtig auf die Ordnung gedacht und immer den Opa terrorisiert: 'Du musst ja immer sauber sein und nicht dich schmutzig machen', und immer neue Kleidung. Und er hat so gelitten, was muss man noch mehr sagen? Benetton, Benetton zieht alle bunt an, und so entstehen diese Reklamen."

    "Bos es dos?" ist "mantakisch" und bedeutet auf deutsch "Was ist das?" Seit Jahrhunderten haben die Metzenseifener ihren mantakischen Dialekt bewahrt. Helmut Bistika erinnert an die Sage vom Drachen, der in Metzenseifen sein Unwesen getrieben haben soll:

    "Der Drach hat fessen Hopa, hat Feer und Flammen gespeit, hat andersch nit gefressen als Metzenseifener Leut. Of omal hot er ongefangen, im Basser fromzuschlogn, de Funken aus seinen Rachen sein nun so geflogn. - Spüren Sie, das ist ein bisschen ganz anders mit diesem Mantakischen."

    Nicht nur der Drache, auch Helmut Bistika ist Feuer und Flamme: man könne einfach seine Gefühle viel besser im Dialekt ausdrücken. Und wenn man einige Regeln kennt, ist das Mantakische nicht so schwer zu verstehen: es kennt zum Beispiel kein W, so heißt also nicht "die Welt", sondern "de Belt", aus B am Anfang eines Wortes wird ein P, also nicht "beweisen": sondern "pebeisen". Doch hin und wieder kommt es zu Verständigungsschwierigkeiten, wie die folgende Anekdote zeigt:

    Ein ungarischer Tischlergeselle arbeitete bei einer mantakischen Familie und sollte abends auf das kleine Kind aufpassen, während die Eltern ausgegangen waren. Als sie zurückkamen, war inmitten der Stube eine kleine Pfütze zu sehen. Der Vater fragte den Gesellen: "Bos es dos?" Dieser antwortete: "Das ist das kleine 'Bos es dos'. Das große 'Bos es dos' ist im Schlafzimmer.

    Das 4000 Seelen-Städtchen Metzenseifen liegt in grüne Fluren und Auen eingebettet. Im Sauerland oder im oberhessischen Bergland sieht es nicht viel anders aus als 1000 Kilometer weiter östlich. Allerdings, die Ortschaften ziehen sich kilometerweit die Straße entlang: typische Straßendörfer, in der Mitte die Kirche, gegenüber die Madonnenstatue. In der Drogerie nebenan steht die Tür offen: eine Frau grüßt freundlich mit einem munteren: "Grüß Gott!" Das scheint in diesen Städtchen mit ihren deutschen Minderheiten üblich zu sein.

    Im "Haus der Karpatendeutschen" hat der deutschsprachige Chor gerade seine wöchentliche Übungsstunde. Mehr als 1000 Deutsche leben heute noch in der Gegend von Metzenseifen und Kaschau. Vor 800 Jahren, nach dem Mongolensturm von Dschingis Khan, wurden sie vom ungarischen König ins Land geholt, um die leeren Landstriche wieder aufzufüllen. Der Karpatendeutsche Josef Roob dichtete:

    "Wir haben diesen Boden uns erschaffen,
    durch unserer Hände Fleiß den alten Wald,
    der sonst den Bären wilde Wohnung war,
    zu einem Sitz für Menschen umgewandelt.
    Unser ist durch tausendjährigen Besitz der Boden!"


    Der junge, karpatendeutsche Verein mit seiner alten Tradition wurde gleich nach der politischen Wende, Anfang der neunziger Jahre, gegründet, als die Deutschen sich wieder zu ihrer Kultur bekennen durften. Der Metzenseifener Vereinsvorsitzender Peter Sorger:

    "Es sind gewisse Sachen, Hemmungen von früheren Zeiten, wo hier ein bisschen Diktatur oder der Sozialismus war, und manche Leute aus beruflichen Sachen denken, das noch immer Probleme könnten sein oder könnten entstehen, wenn sie sich zu der deutschen Minderheit irgendwie würden melden oder sich im Verein registrieren lassen."

    Walter Bistika, Jahrgang 1929, ist der Onkel des Künstlers Helmut Bistika. Für ihn hängen die Repressionen in Zeiten des Kommunismus mit dem Ruf der Karpatendeutschen zusammen, aufseiten Hitlerdeutschlands gestanden zu sein.

    "Selbstverständlich. Alle Deutschen waren schuldig, egal wo sie waren, wer sie waren, wie sie waren. Damals in diesen ersten Jahren, als die Vertreibung begann. Eigentlich ist es noch vorher, da wurde ja verschleppt, Leute, da wurden 170 Frauen und Männer verschleppt nach Sibirien, 50 sind davon in Russland geblieben. Das war eigentlich das größte Opfer, das wir in dem Krieg bringen mussten."

    Heute ist die deutsche Sprache im Aufwind. Wer Deutsch kann, bekommt bei den neuen, deutschen Investoren wie die Telekom-Tochter T-Systems oder RWE leichter eine Arbeit. Peter Sorger:

    "Es ist wirklich so, dass eine Nachfrage ist zum Leute, die deutsch sprechen. Weil es ist wirklich, über 400 Firmen sind etabliert in der Slowakei. Auch viel österreichische Firmen sind hier. Voriges Jahr ist auch mein Sohn in T-Systems angetreten, Computerfirma, da war auch die Besprechung oder Aufnahmebesprechung in deutsch und englisch. Hauptsächlich deutsch, weil die Frau, die die Frage ihm stellt, war eine Deutsche."

    Auch spezielle Faschingsgebräuche haben sich die Karpatendeutsche erhalten: dann streifen die jungen Leute - als Braut und Bräutigam verkleidet - durch das Städtchen und singen:

    "Die Eva, die Eva, die war nicht faul,
    sie steckte dem Adam den Apfel ins Maul."


    Selbst zu Fasching sind die Karpatendeutschen noch fleißig, und in der Tat sind sie für Fleiß und Betriebsamkeit seit alters her bekannt. Im Tal von Metzenseifen bauten sie über einhundert Hammerschmieden, die die Wasserkraft als Energiequelle nutzten: Der Hammer wird durch die Kraft des Wassers nach unten geschleudert. Wie Walter Bistika erzählt, nutzte man dazu alle Wasserquellen aus, baute ein System von Kanälen und achtete darauf, dass das oberste Hammerwerk, das am wenigsten Wasser zur Verfügung hatte, als erstes mit der Arbeit begann.

    "Das von ihm frei gewordene Wasser kam dem nächsten zugute. Also ganz unten, die hatten genug zur Verfügung Wasser. Die brauchten auch nur einen kleineren Teich. Die haben ja von allen Hammerwerken, laufend den ganzen Tag, ihr Wasser bekommen. Die konnten außer den Hauen und Schaufeln, konnte große machen, sie konnten Pflugeisen und so ähnliches machen, weil ja viele Schläge, viel Wasser verbraucht wurde, aber das hatten sie alles zur Verfügung."

    Im Raum nebenan singt der Chor der Karpatendeutschen das Lied von der Hammerschmiede.

    Die Chorstunde ist zu Ende. Die älteren Damen und Herren lassen den Nachmittag bei einer heißen Tasse Schokolade ausklingen. Das ist die Spezialität des "Galerie-Cafès", in der Ortsmitte gleich neben der Kirche.

    Seit einigen Jahren hat Helmut Bistika hier ein künstlerisch inspiriertes Café eröffnet: mit Cross-over-Musik und wechselnden Ausstellungen. Zurzeit sind hier surrealistische Katzen-Bilder eines lokalen Malers ausgestellt.

    Der mantakische Dialekt der Frauen mischt sich mit den Klängen von Louis Armstrong: eine Mischung, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Helmut Bistika und seine Frau haben einen Ort geschaffen, der zum Mittelpunkt des Städtchens geworden ist. Zugleich beweist der Künstler, wie man mit einfachen Mitteln die Tradition der Karpatendeutschen, die altbacken und von vorgestern wirken könnte, mit modernen Klängen mischen und so gegen den Strich bürsten kann. Sein Café hat absolut nichts Rückwärts-Gewandtes an sich, sondern einen geradezu avantgardistischen Anstrich. Und das irgendwo in den grünen Auen der Karpaten.

    Frau:"Oper auf mantakisch - ist das erste Mal, dass ich das höre"
    Man:"Aun .."
    Frau:"Wer hot da gesungn."
    Mann:"Hobn nit gehört."

    Die entspannende Pause in dem Café tut gut. Auf dem Weg dorthin bin ich an einer Roma-Siedlung vorbeigefahren: schwarz verbrannte Gebäude, es scheint dort mehrfach gebrannt zu haben. Die fensterlosen Häuser ähneln mehr schwarzen Höhlen als menschlichen Behausungen, die Straße davor ist voller Menschen. Ich fahre sehr vorsichtig, um ihnen auszuweichen. Wild-kläffend springen Hunde am Auto hoch, hoffentlich kommt keiner unter die Räder. Es scheint gut zu gehen, ich beschleunige, bei Tempo 50 geben die Straßenköter auf. Warum ihre Besitzer sie nicht zurückhalten? Oder haben sie gar keine Besitzer? Als ich später mit den Karpatendeutschen auf die Roma zu sprechen komme, bitten sie mich, das Mikrofon auszustellen: denn, so ihre Begründung, was sie sagen, könnte ihnen als rassistisch ausgelegt werden. Später stelle ich wieder an:

    "Aber die Zigeuner, die haben - die sein ungewohnt auf der Arbeit. Die haben 20, 30 Jahre nichts gearbeit."

    "Sie profitieren vom Kindergeld, sie profitieren von der Unterstützung, sie können sich schon langsam erlauben, mit den Autos herumzufahren. Von Arbeit ist keine Idee mehr."
    600 Euro verdient ein Lehrer oder eine Krankenschwester, eine Roma-Frau kommt mit Sozialhilfe und dem Kindergeld von vier Kindern ebenfalls auf 600 Euro; außerdem hat sie womöglich nicht vier, sondern acht Kinder, bekomme ich zu hören:

    "Wenn es so ist, dass der Staat hat verdorben die Zigeuner, der Staat muss auch etwas machen, dass die Leute irgendwie lernen zu arbeiten wieder. Sie haben alle - kann man sagen - Gewohnheiten zur Arbeit verloren."

    Im Kommunismus, so die Karpatendeutschen einhellig, war das besser geregelt: da musste jeder arbeiten gehen. Aber die "Zigeuner", wie sie sagen, waren nach 1989 die ersten, die aus den Betrieben geworfen wurden, weil sie wenig qualifiziert waren. Und heute einen "Zigeuner" einstellen, das würde keiner von ihnen. Dafür sind die Welten zu weit von einander entfernt. Eine Ausnahme bildet der Künstler Helmut Bistika: er bietet Roma-Jugendlichen Kreativ-Workshops und Skulpturen-Kurse an:

    "Ich arbeite viel mit Behinderten, mit Gesunden, mit Roma, mit verschiedenen Minderheiten, und ob das Roma sind, ob das Behinderte sind, ich denk, alle Leute, die ein kleines Handicap haben, sind immer sehr dankbar, wenn sie Aufmerksamkeit bekommen."

    In der Tat danken es ihm die Roma-Jugendlichen: Samstags kehren sie die Straße vor seinem Haus, als ob die schwäbische Kehrwoche in die Slowakei verpflanzt worden sei. Die Schwierigkeiten, Roma-Jugendliche zu integrieren, unterschätzt Helmut Bistika nicht. Doch, so meint er gut gelaunt, er suche sich immer die Schlimmsten aus, denn in ihnen steckten die größten Talente:

    "Ja, weil die noch nicht kaputt gemacht sind von dieser Konsumwelt, die hier diese Zeit uns bietet. Denn versuchen Sie mit jemandem ein reines Bild malen, ein Bild, das vom richtig Inneren kommt. Die Leute, die alles schon wissen und alles gesehen haben, können von innen fast nichts mehr rausholen, weil sie voll von allem sind. Jetzt versuchen sie von jemandem etwas Reines rauszubringen. Und diese Leute, die noch so wenig bemalt innen sind, die sind die Reinsten und von denen kommen die wahnsinnigsten, schönsten und interessantesten Bilder heraus."

    Für Bistika ist die Ursprünglichkeit der Roma eine Quelle kultureller Inspiration.

    "Dass man diese reine Kultur richtig auffängt und in Vordergrund bringt. Denn wenn man wieder nur die Besten und die Schönsten und die Saubersten von den erstklassigen Klassen nimmt, dann erfährt man nichts Neues und nichts Reines. Ich bin ganz manchmal traurig, dass man diese richtigen Brunnen von Kultur oder Ursprung, wo richtig die Kultur ist, nicht sieht."

    Das Jahr 2013, in dem das nahe gelegene Kosice "Europäische Kulturhauptstadt" ist, bietet für Bistika die Chance, die Kulturen der Minderheiten wahrzunehmen.

    "Ich habe mich schon als Junge in Europa gefühlt, weil - im Nachbardorf spricht man ungarisch, dann wir sprechen hier mantakisch, dann waren die Slowaken, dann in dem anderen Teil der Slowakei sind ja die Ukrainer und die Polen, und das war alles bei uns in dem Osten so sehr konzentriert, dass man alle die hier spüren konnte. Und wir haben uns hier alle gut verstanden, und deshalb denke ich, Kosice ist ja auch, die älteren Leute sprechen noch ungarisch oder deutsch, das war alles so eine schöne Mischung."

    Helmut Bistika macht sich einen Spaß daraus, die Sprachen auf neue Weise miteinander zu vermischen, hier ein slowakisches, dort ein ungarisches Wort beizumengen.

    "Und das macht richtig Lust, und wenn diese Lust die Leute verstanden haben, was man alles in Kosice mit dieser Kultur und diesem Zusammenmischung, die hier entsteht, machen würde, dann haben sie viel gewonnen. Denn sie können sich präsentieren als ein kleines, buntes Europa in einer Stadt."