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Für freie Lehre

Vier Universitäten gibt es in Berlin, dazu noch ein gutes Dutzend weiterer Hochschulen. Die international bekannteste unter ihnen ist die Freie Universität Berlin. 1948, vor 60 Jahren, aus Protest gegenüber den Zuständen an der Berliner Humboldt-Universität gegründet, war sie in den Achtundsechzigern Zentrum der Studentenproteste. Heute gehört sie zu den Exzellenzuniversitäten Deutschlands.

Von Karl-Heinz Heinemann | 04.12.2008
    "Wir rufen alle Menschen des Inlandes und des Auslandes, die sich dem Geist der Freiheit und Wahrheit verpflichtet fühlen. Wir rufen Freunde und Gönner in aller Welt, und bitten, die Gründung mit Geld und Lehrmitteln zu unterstützen."

    Edwin Redslob, Kunsthistoriker und Herausgeber des "Berliner Tagesspiegel" verliest im Juli 1948 im RIAS das Gründungsmanifest der Freien Universität Berlin. Einige Monate später, am 4. Dezember wird sie im Titania-Palast in Steglitz feierlich eröffnet. Da hatte der Studienbetrieb in den Dahlemer Institutsgebäuden der ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bereits begonnen.

    "Die Räumlichkeiten waren noch sehr beengt. Wir hatten also dieses Haus in der Bolzmannstrasse 3, wo die Philosophen mehr oder weniger und die Naturwissenschaften untergebracht waren, und die Juristen hatten ein eigenes Gebäude und die Mediziner hatten das Klinikum Charlottenburg-Westend, damit war dann aber Schluss","

    erinnert sich Karol Stanislaw Kubicki, der Student mit der Matrikelnummer eins. Er gehörte zu denen, die aus der Humboldt-Universität im Ostsektor der Stadt ausgezogen waren, weil sie die Gängelung durch die Volksbildungsverwaltung dort nicht länger mitmachen wollten. Freunde Kubickis kritisierten in der Studentenzeitschrift "Colloquium" die Rektor-Wahl und das Hissen der roten Fahne in der Ost-Berliner Hochschule. Daraufhin entzog man ihnen die Studienerlaubnis. Der Studentenrat protestierte. Ein junger RIAS-Reporter wollte darüber berichten.

    ""Darf ich noch mal wissen, weswegen ich hier nicht anwesend sein darf?"

    "Ich glaube, ihnen das Recht nicht geben zu können, ich habe mit der Direktion gesprochen."

    "Moment, Sie brauchen gar nicht aufs Mikrofon dabei zu schauen, beziehungsweise die Hand aufzuhalten, das kommt sowieso nicht drauf."

    "Hier wurde dann das Kabel durchgeschnitten, um zu verhindern, dass die Berliner Öffentlichkeit an der Übertragung dieser Sitzung teilnehmen konnte. Ja, und das an einer Universität, die einst zu den führenden Stätten des deutschen Geisteslebens gehörte!"

    Nun engagierten sich die hinausgeworfenen Studenten und ihre Freunde für eine neue Universität in den Westsektoren. Ihr Engagement traf günstig zusammen mit den Plänen der nichtkommunistischen Mehrheit des Berliner Magistrats, die schon im Januar 1948 die Gründung einer eigenen Hochschule beschlossen hatte.

    Im Juni desselben Jahres begann die Berlin-Blockade - da konnten sich die Studenten für ihr Gründungsvorhaben auch der Unterstützung durch die amerikanische Besatzungsmacht sicher sein.

    Die neue Universität war nicht nur von der Frontstellung im beginnenden kalten Krieg geprägt, sondern auch vom amerikanischen Gedanken einer demokratischen Umerziehung der Deutschen: In der Satzung wurden Mitglieder schlagender Verbindungen vom Studium ausgeschlossen, und die Studenten, die ja am Aufbau wesentlich beteiligt waren, bekamen Sitz und Stimme in den Universitätsgremien. Den Magnifizenzen der westdeutschen Hochschulen war das so zuwider, dass sie der Einladung zur Gründungsfeier im Berliner Tivoli fernblieben.

    Kubicki blieb seiner Universität treu - er war dort Professor für Neurophysiologie. Als 1968 eine neue Studentengeneration nicht mehr gegen Ulbricht und Chruschtschow, sondern gegen den Schah und den US-Präsidenten Nixon auf die Straße ging, stand der Studentenaktivist von 48 auf der anderen Seite - als Mitbegründer der "Notgemeinschaft" von Professoren, die sich gegen die aufmüpfigen Studenten zur Wehr setzten:

    "Ich habe viele meiner alten Gründungsfreunde dann auch befragt zu dieser Zeit der Sechziger- und Siebzigerjahre. Keiner hatte Verständnis für diese Entwicklung. Das war uns eine fremde Generation."

    Heute sind Studenten nicht mehr, wie 1948 und auf andere Weise 1968, die aktiven Gestalter der Universität, sondern ihre Kunden. In der Konkurrenz mit den anderen Berliner Universitäten, vor allem der Humboldt-Universität, hat die FU die Nase vorn, denn sie ist als einzige Berliner Hochschule zur Exzellenzuniversität gekürt worden.

    Damit lässt sie ihre Kalte-Kriegs-Vergangenheit ebenso hinter sich wie das Schmuddel-Image aus der 68er-Zeit und kann sich über zusätzliche Millionen Subventionen freuen, ein Vielfaches von dem, was Edwin Redslob seinerzeit mit seinem Gründungsmanifest einwerben konnte.