Karin Fischer: Raimund Girke zählt zu jenen Künstlern, die die Kunst der Nachkriegsjahre in Deutschland wesentlich mitbestimmt haben. 1930 geboren, ist er im Jahr 2002 in Köln gestorben, und sein Werk wird jetzt in einer Ausstellung im Museum Kurhaus Kleve in Form von 40 Arbeiten – sagen wir ruhig, Tafelbildern – gewürdigt. Bedeutend an seinem Œuvre ist nämlich die konsequent ungegenständliche Darstellung und die Farbe, die im Wesentlichen zwischen Weiß- und Grautönen changiert. Das unterscheidet ihn zum Beispiel von anderen Malern von Farbflächen wie etwa Gotthard Graubner. Christiane Vielhaber war für uns im Kurhaus Kleve. Frau Vielhaber, wie kam es denn zu dieser Entscheidung für das, was wir eigentlich manchmal so als Nicht-Farbe bezeichnen?
Christiane Vielhaber: Ja, für ihn war Weiß die Königin aller Farben, für ihn war Weiß Stille, da waren alle anderen Farben drin. Aber er hat ja auch nicht sofort dazu gefunden, und wo wir eben die ganze Zeit über Joachim Gauck hören – ich fand das jetzt irgendwie doch traurig, zu wissen, dass Raimund Girke vor zehn Jahren in dem Alter gestorben ist, in dem Gauck jetzt möglicherweise noch eine ganz tolle Karriere vor sich hat. Und man weiß auch nicht, was aus Girke geworden wäre. Die Ausstellung in Kleve ist in diesem Sinne keine wirkliche Retrospektive dann. Mit 40 Bildern – wenn wir jetzt mal an Gerhard Richter in Berlin denken – ist das doch ein bisschen wenig. Gleichwohl ist es eine Werkschau, weil es einfach die ganz frühen Bilder aus den 50er-Jahren bis zu den späten Bildern kurz vor seinem Tod zeigt. Und dann merkt man, wie er dahin gekommen ist, und wie er dann wieder letztlich weggekommen ist. Hingekommen ist er durch – ja, ich würde jetzt sagen, Tachismus, also diese fleckige Malerei, eine Art der informellen Malerei, die in Paris geprägt wurde, wo man einfach farbige Pinselstriche nebeneinander ... aber da sehen Sie schon den ganzen Girke, das sind alles Erdfarben. Das ist also kein knalliges Rot, und kein Grün, sondern das ist Ocker und Beige und Braun, ein bisschen Blau, und dann wird es immer weniger Farbe, und die Pinselstriche werden auch nicht mehr so gestisch gezeigt, sondern plötzlich nimmt er die Spritzpistole. Das sind einige der schönsten Arbeiten aus den 60er-Jahren – Sie haben das Gefühl, Sie schauen auf Lamellen von Jalousien, die runtergelassen sind. Also es sind so Streifen, er spricht dann in diesem Fall von Progressionen, wo sie mal mehr, mal weniger grau ... eigentlich sind sie schon fast monochrom, aber Sie haben immer das Gefühl, da gibt es so eine kleine Welle, wie man das bei diesen Jalousien, bei diesen Lamellen hat.
Fischer: Also diese Streifen, die zum Teil aussehen, als ob sie sozusagen einfach nur der Pinselbreite entsprächen, bestimmen schon sehr stark sein Werk und wirken manchmal fast mathematisch. Sie sagen Tachismus, von was wollte er sich absetzen, was wollte er erreichen?
Vielhaber: Was er nicht wollte, war klar, was er nicht wollte, war die gegenständliche Malerei, die figurative Malerei, die ja durch die Nazizeit einfach nicht mehr möglich war. Das konnte man nicht mehr. Aber er wollte eigentlich auch nicht diese informelle Beliebigkeit, die wir hatten – ich sage mal Ernst Wilhelm Nay, oder alles das, was in diesen Jahren war, vielleicht ein bisschen Fritz Winter, so Triebkräfte der Erde, weil es doch in frühen Arbeiten zur Umschichtung geht, und er schichtet die Farbe. Aber nach diesem Spritzbildern kommt er dann zu Bildern, die für mich doch wieder eine Anmutung von Natur haben. Man hat das Gefühl, das sind so Gräser, also diese weißen Linien, so als würde da so ein Wind über so ein Feld gehen. Er spricht dann auch von Feldern teilweise. Viele Bilder sind ohne Titel, aber es sind doch schon Felder, die er schichtet, und die ja ganz strukturiert sind, die dynamisiert sind, und die einen Rhythmus haben.
Fischer: Insofern ist sein Werk ja heute überhaupt nicht aus der Welt, sondern nachgerade modern.
Vielhaber: Nein, gar nicht, und das, was ihn unterscheidet zum Beispiel von Robert Ryman, der auch weiße Bilder gemalt hat, aber die dann wie angestrichen wirken, Girke hat nie etwas angestrichen. Girke ist wirklich mit sich in der Malerei drin, also man kann nicht sagen, wirklich gestisch, obwohl da ... Sie sehen den Pinselstrich, und Sie sehen, der hat das, der hat diese Malerei wirklich gefühlt, und Sie stehen davor, teilweise irritiert, Sie versuchen, das nachzuvollziehen, und das wird dann ganz traurig jetzt in Kleve am Schluss. Am Anfang ist unter dem Weiß immer noch so ein Grau oder manchmal auch so ein Dunkelblau, und nachher kommt Schwarz und Dunkelblau, und dann verschwindet das Weiß. Er hat Anfang der 90er-Jahre gewusst, dass er krebskrank ist und nicht mehr so lange zu leben hat. Und das merken Sie diesen Bildern an, selbst wenn er das nicht wollte, selbst, wenn er nicht anekdotisch sein wollte, so sehen Sie doch an diesen Bildern auch eine menschliche Entwicklung
Fischer: Eine Retrospektive, eine kleine, zum Werk von Raimund Girke im Museum Kurhaus Kleve. Herzlichen Dank an Christiane Vielhaber!
Christiane Vielhaber: Ja, für ihn war Weiß die Königin aller Farben, für ihn war Weiß Stille, da waren alle anderen Farben drin. Aber er hat ja auch nicht sofort dazu gefunden, und wo wir eben die ganze Zeit über Joachim Gauck hören – ich fand das jetzt irgendwie doch traurig, zu wissen, dass Raimund Girke vor zehn Jahren in dem Alter gestorben ist, in dem Gauck jetzt möglicherweise noch eine ganz tolle Karriere vor sich hat. Und man weiß auch nicht, was aus Girke geworden wäre. Die Ausstellung in Kleve ist in diesem Sinne keine wirkliche Retrospektive dann. Mit 40 Bildern – wenn wir jetzt mal an Gerhard Richter in Berlin denken – ist das doch ein bisschen wenig. Gleichwohl ist es eine Werkschau, weil es einfach die ganz frühen Bilder aus den 50er-Jahren bis zu den späten Bildern kurz vor seinem Tod zeigt. Und dann merkt man, wie er dahin gekommen ist, und wie er dann wieder letztlich weggekommen ist. Hingekommen ist er durch – ja, ich würde jetzt sagen, Tachismus, also diese fleckige Malerei, eine Art der informellen Malerei, die in Paris geprägt wurde, wo man einfach farbige Pinselstriche nebeneinander ... aber da sehen Sie schon den ganzen Girke, das sind alles Erdfarben. Das ist also kein knalliges Rot, und kein Grün, sondern das ist Ocker und Beige und Braun, ein bisschen Blau, und dann wird es immer weniger Farbe, und die Pinselstriche werden auch nicht mehr so gestisch gezeigt, sondern plötzlich nimmt er die Spritzpistole. Das sind einige der schönsten Arbeiten aus den 60er-Jahren – Sie haben das Gefühl, Sie schauen auf Lamellen von Jalousien, die runtergelassen sind. Also es sind so Streifen, er spricht dann in diesem Fall von Progressionen, wo sie mal mehr, mal weniger grau ... eigentlich sind sie schon fast monochrom, aber Sie haben immer das Gefühl, da gibt es so eine kleine Welle, wie man das bei diesen Jalousien, bei diesen Lamellen hat.
Fischer: Also diese Streifen, die zum Teil aussehen, als ob sie sozusagen einfach nur der Pinselbreite entsprächen, bestimmen schon sehr stark sein Werk und wirken manchmal fast mathematisch. Sie sagen Tachismus, von was wollte er sich absetzen, was wollte er erreichen?
Vielhaber: Was er nicht wollte, war klar, was er nicht wollte, war die gegenständliche Malerei, die figurative Malerei, die ja durch die Nazizeit einfach nicht mehr möglich war. Das konnte man nicht mehr. Aber er wollte eigentlich auch nicht diese informelle Beliebigkeit, die wir hatten – ich sage mal Ernst Wilhelm Nay, oder alles das, was in diesen Jahren war, vielleicht ein bisschen Fritz Winter, so Triebkräfte der Erde, weil es doch in frühen Arbeiten zur Umschichtung geht, und er schichtet die Farbe. Aber nach diesem Spritzbildern kommt er dann zu Bildern, die für mich doch wieder eine Anmutung von Natur haben. Man hat das Gefühl, das sind so Gräser, also diese weißen Linien, so als würde da so ein Wind über so ein Feld gehen. Er spricht dann auch von Feldern teilweise. Viele Bilder sind ohne Titel, aber es sind doch schon Felder, die er schichtet, und die ja ganz strukturiert sind, die dynamisiert sind, und die einen Rhythmus haben.
Fischer: Insofern ist sein Werk ja heute überhaupt nicht aus der Welt, sondern nachgerade modern.
Vielhaber: Nein, gar nicht, und das, was ihn unterscheidet zum Beispiel von Robert Ryman, der auch weiße Bilder gemalt hat, aber die dann wie angestrichen wirken, Girke hat nie etwas angestrichen. Girke ist wirklich mit sich in der Malerei drin, also man kann nicht sagen, wirklich gestisch, obwohl da ... Sie sehen den Pinselstrich, und Sie sehen, der hat das, der hat diese Malerei wirklich gefühlt, und Sie stehen davor, teilweise irritiert, Sie versuchen, das nachzuvollziehen, und das wird dann ganz traurig jetzt in Kleve am Schluss. Am Anfang ist unter dem Weiß immer noch so ein Grau oder manchmal auch so ein Dunkelblau, und nachher kommt Schwarz und Dunkelblau, und dann verschwindet das Weiß. Er hat Anfang der 90er-Jahre gewusst, dass er krebskrank ist und nicht mehr so lange zu leben hat. Und das merken Sie diesen Bildern an, selbst wenn er das nicht wollte, selbst, wenn er nicht anekdotisch sein wollte, so sehen Sie doch an diesen Bildern auch eine menschliche Entwicklung
Fischer: Eine Retrospektive, eine kleine, zum Werk von Raimund Girke im Museum Kurhaus Kleve. Herzlichen Dank an Christiane Vielhaber!