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Für jeden Unfall ein Airbag nach Maß

Technik. - 5361 Menschen sind im vergangenen Jahr im Straßenverkehr ums Leben gekommen - etwa jeder zweite davon in einem Auto. Jedes dieser Unfallopfer ist eines zuviel, doch ohne Sicherheitsgurt und Airbag wären es noch wesentlich mehr. Dass die Airbagtechnik in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat, ist nicht zuletzt der weltweit wichtigsten Veranstaltung über den gasgefüllten Prallsack zu verdanken, die alle zwei Jahre in Karlsruhe stattfindet.

Von Hellmuth Nordwig |
    Eines ist jetzt schon klar: Das hundertprozentig sichere Auto wird es wohl nie geben.
    Eines ist jetzt schon klar: Das hundertprozentig sichere Auto wird es wohl nie geben. (Unsplash / Ram Mindrofram)
    Bei einem Aufprall entfaltet sich ein Airbag, oder er tut es nicht - dazwischen gibt es nichts. Noch nicht: Der Airbag der Zukunft wird mal ein weiches Kissen, mal so hart wie ein Sandsack sein. Denn was den einen Fahrer schützt, kann den anderen verletzen. Dr. Karl-Friedrich Ziegahn vom Forschungszentrum Karlsruhe erklärt, wonach sich die Härte eines Airbags richten sollte:

    " Wie dick und wie schwer ist der Fahrzeuginsasse, der davor sitzt? Wie heftig ist der Unfall? Und eigentlich wollten wir sogar wissen, wie alt der Betreffende ist. Denn ein 65-Jähriger hat noch ein Drittel der Bruchkraft der Knochen wie ein 21-Jähriger. Das ideale Fahrzeug der Zukunft weiß sowieso alles über den, der gerade einsteigt. "

    Technisch mag das machbar sein, doch ganz soweit gehen die Fahrzeughersteller nicht. Sie wollen nicht in den Verdacht geraten, mit einem Auto auch gleich den Big Brother auszuliefern. Tatsächlich wird es aber schon bald Pkws mit einer Innenraumkamera geben. Sie soll die Sitzpositionen der Insassen erfassen und bei einem Unfall die Airbags nur soweit aufblasen, wie es die Situation erfordert. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Schon jetzt werden einige Airbag-Modelle wabenartig strukturiert, also mit Zellen, die nach Bedarf einzeln entfaltet werden können. Und die Forscher arbeiten an neuen Systemen zur Gaserzeugung. Denn die jetzige Methode, bei der ein pulverförmiger Explosivstoff gezündet wird, hat einen Nachteil, sagt Professor Hiltmar Schubert vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie bei Karlsruhe.

    " Ich kann diese Gasentwicklung nicht dem Unfall entsprechend anpassen. Wenn ich Flüssigkeiten habe - denken Sie an eine Flüssigkeitsrakete: Da kann ich den Schub anpassen je nachdem, was ich gerne haben möchte. Ich kann also mit einer Flüssigkeit dem Verbrennungsvorgang mehr oder weniger Gas liefern, kann also mit einer Flüssigkeit viel besser anpassen. "

    Acht bis zehn Airbags stecken in einem Auto der Luxusklasse. Noch ist es so, dass sie erst dann ausgelöst werden, wenn es kracht. Spätestens in zehn Jahren soll auch das anders sein. Kameras und Sensoren werden dann nicht nur ins Innere des Fahrzeugs blicken, sondern laufend das Verkehrsgeschehen erfassen. Wenn ein Crash unvermeidbar erscheint, können sofort Schutzmaßnahmen eingeleitet werden. Ulrich Tschäschke von Daimler Chrysler:

    " Da kann man sich eine ganze Menge vorstellen, zum Beispiel Radarsensorik, um die Zeit vor dem Unfall zu nutzen, den Insassen möglichst in eine Position zu bringen, in der er besonders gut geschützt wird, wo wir vielleicht auch am Fahrzeug schon was machen können, um den Unfall zu verhindern oder die Unfallschwere zu mindern. "

    In Zukunft werden in der Sekunde vor dem Unfall auch die Gurte gestrafft, die Rückenlehnen senkrecht gestellt, das Schiebedach geschlossen und der Airbag entfaltet - all das soll im Jahr 2015 Wirklichkeit sein. Für die Zeit danach haben die Entwickler Ideen, die noch weiter gehen. Zum Beispiel Stefan Brock von der Dachauer Zulieferfirma Autoliv:

    " Es gibt ja außer den Rückhaltesystemen wie Gurt und Airbag auch noch das Bestimmendste, nämlich die Fahrzeugstruktur. Man kann sich zum Beispiel vorstellen, einen Fahrzeug-Längsträger über einen Gasgenerator mit einem Innendruck zu beaufschlagen. Der Träger hat dann 20 oder 40 bar Innendruck, und damit verändert man das Energieabsorptionsvermögen dieses Karosseriebauteiles. "

    Der Aufprall des quasi luftgepolsterten Fahrzeugs ist dann weniger heftig. Ob diese fernen und sicher nicht gerade preiswerten Visionen eines Tages Wirklichkeit werden, bleibt abzuwarten. Eines ist jetzt schon klar: Das hundertprozentig sichere Auto wird es wohl nie geben.