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Für mehr Praxisbezug im Geschichtsstudium

Über 2.500 Teilnehmer waren beim 46. Deutschen Historikertag in Konstanz dabei. Dort diskutierten die Wissenschaftler auch über die eigene Zukunft. Viele Studenten werden nach dem Abschluss Lehrer oder arbeiten weiter an der Hochschule. Dabei haben auch große Unternehmen zunehmend Bedarf an Historikern.

Von Thomas Wagner |
    Es klingt wie die das traurige Schicksal zahlreicher Geschichtsstudenten, die nach dem Abschluss nicht wissen, wohin - und erst einmal bei der Agentur für Arbeit landen:

    "Ich habe das Geschichtsstudium abgeschlossen und wurde dann vom Arbeitsamt dazu eingeladen, an einer einjährigen Weiterbildung teilzunehmen, die sich nannte "Management für Akademiker", die davon ausging, dass ausgebildete Akademiker zunächst einmal nicht arbeitsmarktfähig sind."

    Das liegt, erinnert sich die Konstanzer Historikerin Charlotte Drehsen, mehr als fünf Jahre zurück. Niemals hätte sie sich vorstellen können, nach ihrem Geschichtsstudium direkt in die Selbständigkeit zu starten, gar eine eigene Firma zu gründen. Doch in der Fortbildung der Agentur für Arbeit ergaben sich unverhofft ganz neue Möglichkeiten: Zusammen mit einer weiteren Historikerin auf Jobsuche entwickelte sie Projekte, die sich schon bald rechnen sollten.

    "Es waren Projekte, die wir mehr oder weniger spielerisch entwickelt haben im Bereich Ausstellungskonzeption, Museumskonzeption. In diesem konkreten Fall war es eine Stadt, in der ein Stadtjubiläum anstand und die sehr geprägt ist durch Industriegeschichte, und denen wir angeboten haben: Wir machen ihnen die Ausstellung zu ihrer Industriegeschichte, die sehr mit der Stadtgründung einherging. Und wir haben uns auch um die Finanzierung gekümmert, die zum größten Teil aus der Industrie kam."

    Das war der Anfang. Heute arbeitet die Historikerin Charlotte Drehsen als selbständige Kulturmanagerin. Die Auftragslage, sagt sie, sei gut. Doch der Sprung in die Selbständigkeit ist für Historiker noch ein Einzelfall. Ebenso gering ist der Anteil derjenigen, die einen Job in der Wirtschaft finden.

    Etwa die Hälfte aller Geschichtsstudenten werden nach dem Examen Lehrer; die andere Hälfte verteilt sich auf Jobs an den Hochschulen, in Verbänden oder gar in Unternehmen. Dabei haben gerade große Firmen zunehmend Bedarf an Historikern. Florian Triebel arbeitet als Geschichtswissenschaftler im Konzernarchiv von BMW.

    "Wenn die Produkte gleicher werden oder wenn die Unternehmen möglicherweise auch gleicher werden, weil eben auch bestimmte Werte von Unternehmen gleich besetzt werden, dann sind die Dinge, die das Unternehmen und die Produkte auszeichnen und die eben nicht kopierbar sind und die auch niemand in China, in Japan oder wo auch immer sich aus dem Hut zaubern kann, desto wichtiger werden diese Eigenschaften, diese Kriterien. Und die Geschichte ist unkopierbar."

    Unternehmensgeschichte als Teil einer Marke, als Werbe-Label gar - das bedeutet einen zunehmenden Bedarf an Historikern in der Wirtschaft. Nur: Die müssen aus anderem Holz geschnitzt sein als ihre Kollegen an den Hochschulen. Florian Triebel:

    "Man muss bestimmte Kompetenzen haben. Man muss bereit sein, kommunikativ zu sein, man muss bereit sein, auf Leute zuzugehen und man muss die Fähigkeit haben, die Themen, die man hat, so zu präsentieren, dass es auch Menschen interessiert, die eigentlich keinen Faible für die Geschichte haben. Das ist ganz wichtig, dass man Begeisterung auslösen kann für das, was man als eigene Botschaft, als eigenen Inhalt hat."

    Doch wo werden Historikern solche Fähigkeiten vermittelt? An den Hochschulen auf keinen Fall, kritisiert Christoph Anz, der als Historiker bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände beschäftigt ist:

    "Es geht im wesentlichen um einen nicht existierenden Praxisbezug an den Hochschulen. Wer aus einem geisteswissenschaftlichen Studium in die unternehmerische Praxis einsteigen will, braucht neben fachlichen Qualifikationen vor allem einen klar erkennbaren Bezug zur unternehmerischen Praxis. Und dieser Bezug muss im Rahmen des Studiums gelegt werden. Da versagen bislang fast alle Studienangebote, die wir in Deutschland haben."

    Das allerdings hören die Geschichtswissenschaftler an den Hochschulen gar nicht gerne – und weisen auch die Forderung nach mehr Praxisbezug in der Historikerausbildung zurück. Professor Werner Plumpe, Wirtschaftshistoriker in Frankfurt:

    "Ich bin der Ansicht, wir vermitteln den jungen Menschen, die zu uns kommen, das, was wir können. Und ich denke, das ist im Bereich des geschichtswissenschaftlichen Studiums nicht wenig. Wir befähigen sie, eigenständige Recherchen durchzuführen, Themen konzeptionell aufzubereiten, in Material Antworten zu suchen, diese Antwortenordentlich zu formulieren. Und wir können diese Fähigkeiten eines wissenschaftlichen Studiums nicht an eine ganz bestimmte Berufstätigkeit binden. Denn das hieße ja von Anfang an, dass wir andere ausschlössen."