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"Für mich war es am schwersten, die grausamen Szenen abzubilden"

Die beiden Künstler Amir und Khalil üben durch ihre schwarz-weiß Comics Kritik am Mullahstaat Iran. An Hand der fiktiven Geschichte eines verschwundenen Protestlers in Teheran beschreiben sie ihre Sicht auf die betrügerische Wahl 2009 im Iran.

Von Karin Hahn | 19.11.2011
    Schnell und fast tagesaktuell wollten die Künstler Amir und Khalil mit ihrem Web-Comic Zahra's Paradise auf die Wahlmanipulationen im Iran reagieren. Die Graphic Novel, die im Internet Woche für Woche erschien, setzt mit dem 16. Juni 2009 ein, vier Tage nach den Wahlen. Der 19-jährige Mehdi ist von der Protestdemonstration am Platz der Freiheit nicht zurückgekehrt. Seine Mutter beginnt verzweifelt mit der Suche nach ihrem verschollenen Sohn. Mehdis Bruder Hassan hält alles, was sie an Willkür in Krankenhäusern, auf der Polizei, in Amtsstuben, am Evin-Gefängnis und in der Leichenhalle erleben in seinem Blog als Tagebuch fest. Über das Internet hatten sich im Sommer 2009 die Protestierenden im Iran verabredet und dokumentierten die Geschehnisse durch Handyaufnahmen vor Ort, zum Beispiel die Ermordung der iranisch-kanadischen Fotoreporterin Neda Agha Soltan. Endlich konnte durch die modernen Medien bezeugt werden, wie hart das Regime von Mahmud Ahmadinedschad zuschlägt. Diese Bilder, Filme und Erinnerungen der Zeugen dienten Amir und Khalil als Quellen für ihre letztendlich fiktive Bildererzählung. Mit karikaturhaften Zuspitzungen und einer klaren, desillusionierten Sprache halten Amir und Khalil der Diktatur, die die Religion als Deckmantel für ihre Machenschaften missbraucht, den Spiegel vor. So zeichnet Khalil den Begründer der Iranischen Republik Chomeini als lächerliche Vogelscheuche und die Herrschenden als Geier. Amir baut eine groteske Rede von Ajatollah Chamenei in den Comic ein, den der Blogger Hassan sarkastisch kommentiert.

    Der Präsident, dem das Volk vertraut, wurde der Lüge bezichtigt!
    War das Mehdis Verbrechen? Pinocchio einen Lügner nennen?


    Der Autor und Dokumentarfilmer Amir verließ den Iran vor 30 Jahren. In Rückblenden fließen in Zahra's Paradise Erinnerungen Amirs an den einst weltoffenen Iran, die persische Kultur und ihre Dichter ein.

    "Das größte Problem sind die Emotionen, die Erfahrungen und Erlebnisse, die ich als Kind gesammelt habe, zum Beispiel die Hinrichtungen, die ich mitbekommen habe. Das sind alles Erlebnisse, die ich zuerst einmal verarbeiten und verkraften musste im Alter von zwölf Jahren. Und diese Gefühle zu absorbieren, dieses emotionale Verarbeiten, das war, glaube ich die größte Herausforderung. Meine Gedanken und mein Herz an diese Orte zu bringen, in die Gefängnisse, an die Orte, in denen Kinder hingerichtet wurden. Das sind natürlich alles Erfahrungen, die mir widerfahren sind, nicht während ich geschrieben habe, sondern Erfahrungen, die mich mein ganzes Leben lang begleiten werden. Aber manchmal sind die Wunden, die ein Mensch erfahren hat, auch ein großes Geschenk."

    Kann Amir seinen Figuren, auch um Distanz zu den gewaltsamen Szenen zu schaffen, ironische Bemerkungen in den Mund legen, so muss Khalil Bilder für das Grauen finden. Dafür hat er sich auch aus zeitökonomischen Gründen für Schwarzweiß-Zeichnungen entschieden. Und er bricht Tabus und bildet das Kahrizak-Gefängnis, in dem die politischen Häftlinge festgehalten werden, ab:

    "Für mich war es am schwersten, die grausamen Szenen abzubilden, wenn es darum ging, wenn jemand gefoltert oder gehängt wurde oder die Leichenschauhäuser abzubilden. Ich habe für meine Zeichnungen viel recherchiert und es war dann als würde ich die Orte besuchen und die Leute sehen. Das war hart. Da musste ich in mich gehen und erstmal diese Bilder in Bilder fassen. Ich konnte manchmal tagelang nicht schlafen oder essen. Es deprimiert, wenn man Kontakt mit so einer Welt haben muss. Ich habe mit Amir dann besprochen und das war wichtig, dass wir auch etwas anderes zeigen müssen, Freude, etwas Lustiges, dass es auch Sex gibt. "

    Bei der verzweifelten Suche nach Mehdi treffen der Bruder und die Mutter immer wieder auf Menschen, die Einblicke in das von Korruption geprägte und für uns in weiten Teilen verborgene Alltagsleben gewähren. Da ist die lebensfrohe Tante Miriam, die mit ihrer frechen Zunge der Mutter den Rücken stärkt oder der mitteilsame Taxifahrer, der Hassan und seine Mutter durch die vollgestopften Straßen Teherans zum Büro der Gerichtsmedizin schleust. Auf der Fahrt müssen sie eine öffentliche Hinrichtung mit ansehen. Zwei jugendliche Homosexuelle werden an einem Kran erhängt. Amir hält in Denkblasen fest, was den Zeugen durch den Kopf geht:

    Wir im Iran haben unseren eigenen Klu-Klux-Klan....

    Nur dass sie keine weißen Kapuzengewänder, sondern Turbane und Uniformen tragen.......

    Christen haben das Kreuz, wir haben den Kran .....


    Brutale Übergriffe, Willkür und Machtmissbrauch begegnen den Suchenden in vielen Szenen. Als gezeigt wird, wie die Schergen nach den Demonstrationen sogar die Verletzten aus dem Krankenhaus zerren, stellt ein Mann zynisch fest:

    Wissen Sie, worum es geht? Sie räumen unsere Krankenhäuser leer, um ihre Friedhöfe zu füllen. Irgendjemand muss ihre Friedhöfe subventionieren. Das Leichenschauhaus ist die Münzanstalt der Mullahs: Warum am diesseitigen Leben hängen ....wenn für unsere Wächter das Leben nichts mehr Wert ist und sie den Märtyrern Eintrittskarten ins Paradies verkaufen? Es gibt nur einen Weg, um die Wiedergeburt im Paradies zu erlangen: Man muss im unbefleckten Mutterleib unseres Vaterlandes sterben .... Zahra's Paradise.

    Der Name Zarah's Paradise geht auf den großen Friedhof außerhalb von Teheran zurück. Der Name Mehdi steht auch für den Erlöser, der dem schiitischen Islam zufolge kommen wird, um die Welt mit Gerechtigkeit zu füllen. Hassan und seine Mutter schöpfen bei ihrer Suche auch Hoffnung. Durch die selbstlose Mithilfe von Männern und Frauen, die über Beziehungen nach ganz oben zu den herrschenden Schriftgelehrten verfügen oder ihre Schweigepflicht nach Gefängnisaufenthalten brechen, findet Mehdis Mutter die erschütternde Wahrheit über den Verbleib ihres Sohnes heraus.

    Khalils Bildtafeln sind mit ihren akribisch ausgeführten Schraffuren in klaren schwarz-weißen Kontrasten in Reihen angeordnet. Der Illustrator löst aber, wenn er die großartige Demonstration auf den Straßen Teherans, aber auch Träume oder fantasierte Sequenzen zeichnet, gern die Ordnung auf. Die imaginierten Bilder nehmen dann an Größe zu, wirken weiter und offener. Ist von Schikanen, Folter und brutalen Übergriffen die Rede werden die Einzelbilder kleiner und deren klaustrophobische Anordnung lässt die Hoffnungslosigkeit spüren.

    Amir und Khalil wissen, wie schnell politische Bewegungen aus den tagesaktuellen Nachrichten verschwinden. Durch ihren Graphic Novel Zahra's Paradise möchten beide besonders durch den starken Gegenwartsbezug erreichen, dass der Aufstand im Iran im gesellschaftlichen Gedächtnis bleibt. Und so schreibt Hassan in seinem Blog:

    Solange ich ins Internet komme, geht der Kampf weiter.

    Auch Khalil schaut optimistisch in die Zukunft:

    "In Nordafrika, wo sich die Menschen von den Diktaturen befreien, das alles hat einen positiven Effekt auf den Iran und umgekehrt. Ich denke, in gewisser Weise hat der Iran diese Welle im Jahre 2009 überhaupt erst ausgelöst. Diese Welle hat dann Tunesien, Ägypten und die anderen Länder ergriffen. Ich denke, wir können optimistisch sein und wenn alles gut läuft, können Amir und ich in wenigen Jahren schon wieder zurückgehen und dort ohne Angst alles erleben und mit einer neuen Perspektive."

    Amir, Khalil ( Ill.): Zahra's Paradise, Übersetzung aus dem Englischen von Reinhard Pietsch, Knesebeck Verlag, München 2011, 272 Seiten, 19,95 Euro