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Für tot gehalten und im Orkan zurückgelassen

1979 ereignete sich die bisher größte Katastrophe im Segelsport. Ein nicht vorhergesagter Orkan traf auf 303 Boote bei der damaligen Abschlussregatta des Admiral’s Cup. 15 Segler und vier Rettungskräfte starben. Nick Ward war der letzte Teilnehmer, der in der keltischen See noch lebend geborgen wurde. Vor einiger Zeit hat er die dramatischsten Stunden seines Lebens in einem Buch zusammengefasst, das jetzt auf Deutsch erschienen ist.

Von Jessica Sturmberg |
    "Es war schwierig, aufzustehen, etwas zu erkennen, zu hören. Es war eiskalt."

    Es waren Stunden voller Verzweiflung und Hilflosigkeit, die Nick Ward und seine fünf Teamkollegen an Bord der Grimalkin an jenem verheerenden 13. August 1979 verbrachten. Ihre Yacht gehörte zu der kleinsten von insgesamt sechs Bootsklassen, die an der berühmten Fastnet-Regatta teilnahmen. Von den 58 Booten, die in dieser kleinsten Klasse gemeldet waren, erreichte nur eines das Ziel in Plymouth an der Südküste von England.

    Zwei Tage zuvor hatte die Regatta mit einem lauen Lüftchen begonnen, die Hochseeyachten kamen so langsam vorwärts, dass sich die Crew auf der Grimalkin schon langweilte und frustriert war, dass sie kaum Knoten machte. Vor ihr lag noch der größte Teil der 600 Seemeilen durch den Ärmelkanal hinaus auf die offene See bis zum südlichsten Zipfel Irlands und wieder zurück. Gebannt lauschten sie regelmäßig der BBC-Wettervorhersage in der Hoffnung, dass der Wind endlich zunahm.

    "”Als wir die Südküste von England entlangsegelten hinaus in die offene See, die keltische See, vorbei an Lands End, war der Wetterbericht der BBC völlig konträr zu dem, was wir erlebten. Von der Flaute ging es fast direkt über in einen Sturm, und das kam nicht in Schritten, sondern schoss in der Beaufort-Skala nach oben. Das passierte zwischen 6 und 9 Uhr abends. Innerhalb von drei Stunden fiel der Luftdruck auf 979 Millibar."" (*)

    Waren die sechs zunächst noch begeistert, dass der Wind endlich auffrischte, das Boot Fahrt aufnahm und immer schneller wurde, schlug die Stimmung sehr bald um. In Erinnerung ist Nick Ward noch der ockerfarbene Himmel kurz vor Sonnenuntergang, die Ahnung, dass sich etwas zusammenbrauen könnte und der vermeintlich entwarnende Wetterbericht um kurz vor sechs.

    "Die Vorhersage war 8 auf der Beaufort-Skala und nach dem Sonnenuntergang, der an dem Abend ungewöhnlich früh war, wurde das Wetter schlecht. Wir mussten alle sechs hart am Boot arbeiten, sicherstellen, dass es so gut wie es geht gerüstet ist für den aufziehenden Sturm mit einer Windstärke von 8 Beaufort. Wir hatten alles festgezurrt. Unser Skipper war sehr umsichtig, hatte dafür gesorgt, dass wir mit zwei Funksprechgeräten ausgestattet waren. Wir hörten dann kurz drauf einen französischen Wetterbericht. Der hatte das korrekte Wetter: 10 Beaufort statt 8. Der Unterschied zwischen 8 und 10 ist der zwischen Kopfschmerzen und einer Hirnblutung. Und dieses Schlimmste war für uns nicht zu handeln, wir konnten es einfach nicht schaffen."

    "Wenn das Wetter über einen bestimmten Punkt hinaus ist, dann ist es einfach unmöglich ein 9 Meter langes Boot zu halten. Das kleine Sturmsegel war schon zu viel. Das hatten wir am Ende auch eingeholt. Und ja, wir hatten große Angst, als der Wind am stärksten war und das Boot nach unten drückte. Um 90 Grad. Immer wieder. Es richtete sich wieder von selbst auf. Nur die Sicherheitsleinen hielten uns an Bord, die Segel hatten wir irgendwie eingeholt und versuchten nun das Boot mit den Wellen gehen zu lassen statt gegen sie."

    Riesige Wellen, die sich wie hohe Berge auftürmen. Über Stunden kämpfen sie gegen die Naturgewalt, immer wieder von der See überrollt. Kentern, werden aus dem Boot geworfen und schaffen es dank Sicherheitsleinen zurück. Sie werden immer müder, ihnen wird kalt, sie haben Todesangst.
    Obwohl es hochgefährlich ist, in die Kajüte zu gehen, wo die Gegenstände wild umherfliegen, entscheidet der Skipper von dort einen Notruf abzusetzen. Nachdem ihm das gelingt, trifft ihn etwas am Kopf. Er ist ab dem Moment so ernst verletzt, dass er außer Gefecht gesetzt ist. Sie verschießen die Leuchtfeuer, einige direkt ins Meer, es beginnt eine Diskussion, ob sie das Boot verlassen und in die Rettungsinsel wechseln sollen. Nick Ward ist strikt dagegen. Als einziger. Auch er wird irgendwann von etwas getroffen und verliert das Bewusstsein.

    "Ich wachte wieder im Wasser auf. Wie ich dahin gekommen war? Keine Ahnung. Alle waren verschwunden. Leinen hatten sich um meine Beine gewickelt. Meine Rettungsweste hielt mich über Wasser. Es gelang mir, mich wieder an Bord zu ziehen. Ich war völlig verwirrt, geschockt. Und arg mitgenommen, ramponiert und voller Prellungen."
    Die Rettungsinsel ist verschwunden. Er entdeckt einen Schopf im Wasser, es ist sein Crewmitglied Gerry. Er zieht ihn an Bord, kann ihn noch einmal wiederbeleben, doch wenig später stirbt Gerry in Nick Wards Armen. Bis die beiden entdeckt werden, vergehen noch 14 Stunden.

    "Gerry was my sounding board."

    Der tote Gerry ist für Nick Ward in diesen Stunden der Ungewissheit sein überlebenswichtiger Resonanzboden. Später erfährt er, dass der bewusstlose Skipper bei dieser Monsterwelle, die auch ihn ausgeknockt hatte, unter das Schiff geraten war. Die Crew schnitt seine Sicherungsleine durch, konnte ihn aber nicht halten. Ihn und Gerry hatten sie für tot gehalten. Es hatte alles schnell gehen müssen im tobenden Meer. Heute macht Nick Ward seinen drei weiteren Teamkollegen keine Vorwürfe mehr.

    Nick Ward hatte nach diesen furchtbaren Tagen im August Notizen über seine Erlebnisse gemacht. Aber erst rund 30 Jahre später in einem lesenswerten Buch zusammengeschrieben, gemeinsam mit einer Journalistin. Erzählt aus seiner Perspektive. Zu den anderen drei Überlebenden, darunter der Sohn des Skippers, hat er nie mehr richtigen Kontakt gehabt. Er ist inzwischen schon verrentet, lebt noch immer an der englischen Südküste, segelt immer noch leidenschaftlich gerne, hat das auch seinen beiden Kindern mitgegeben. An der Fastnet-Regatta hat er noch einmal teilgenommen. Genau 30 Jahre später, 2009. Aber ohne Wettkampfgedanken, einfach um sie zu Ende zu segeln. Auf einem größeren Boot. Und dann verrät er zum Schluss noch eine Neuigkeit:

    "”A very well-known director has taken an option on the book.”"

    Der irische Filmproduzent Jim Sheridan hat eine Option auf das Buch erworben. Möglich also, dass seine Geschichte irgendwann einmal im Kino zu sehen sein wird.

    Titel: Allein mit dem Tod
    Autoren: Nick Ward / Sinéad O'Brien
    Verlag: Delius Klasing
    232 Seiten / 12,95 Euro
    ISBN 978-3-7688-3575-6


    (*) Anm. d. Red.: Irrtümlich war in der Sendefassung des Beitrags an dieser Stelle von "679 Millibar" die Rede, der richtige Wert ist aber 979 Millibar.