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Für Vielfalt im Fernsehen

Nach dem Abtritt des italienischen Medienzaren Silvio Berlusconi als Premierminister will sein Nachfolger Romano Prodi in der Fernsehlandschaft aufräumen. Das Duopol von Berlusconis Mediaset und der öffentlich-rechtlichen RAI soll durchbrochen und echte Vielfalt geschaffen werden.

Von Thomas Migge |
    Auf den ersten und auch zweiten Blick könnte der Fernsehzuschauer den Eindruck gewinnen, dass in Italien die absolute TV-Vielfalt herrsche: viele Programme, viel Vielfalt, echte Mediendemokratie. Aber der Eindruck trüge, erklärt der Medienexperte Francesco Vanzin von den regierenden Linksdemokraten:

    "Wir haben in den letzten Monaten versucht, die italienische Öffentlichkeit in diesem Punkt zu sensibilisieren, denn viele Bürger glauben, dass TV-Quantität auch ein Ausdruck für eine gerechte Vielfalt sei. In Wirklichkeit aber dominieren zwei Anbieter die meisten Sendefrequenzen. Eine Dominanz, die unsere Mediengesetze ausdrücklich untersagen und die jetzt Gegenstand unserer besonderen Aufmerksamkeit geworden ist."

    Die neue italienische Mitte-Links-Regierung will Ordnung im Mediendschungel schaffen. Ihrer Meinung nach, erklärt uns Francesco Vanzin, sei es unter der Regierung Berlusconi zu viel Wildwuchs gekommen. Aus diesem Grund hat der neue Kommunikationsminister Paolo Gentiloni eine Kommission eingerichtet, die genau feststellen soll, wie viele Sendefrequenzen es in Italien gibt, wem die Sendeantennen gehören und wer welche Frequenzen belegt - zu recht und zu unrecht. Bekannt ist nur, dass Italien dasjenige Land der Europäischen Union mit den meisten Sendeantennen ist. Während Frankreich nur 7000 solcher Antennen zählt und Deutschland rund 12.000, gibt es in Italien ganze 24.000. Dazu die Kommunikationswissenschaftlerin Maria Rosati von der Universität l'Aquila:

    "Ich muss auch daran erinnern, dass unsere Fernsehrealität in einem weiteren Punkt verrückt ist. Die Sendefrequenzen gelten bei uns als öffentliches Gut, das vom Staat kontrolliert wird, also vom Kommunikationsministerium. In Wirklichkeit aber sind diese Frequenzen zum Objekt des Medienmarktes geworden. Privatleute und Unternehmen kaufen und verkaufen Frequenzen und kümmern sich nicht um die Gesetzgebung - en europäisches Unikum, ein Problem, das die Regierung Berlusconi nie versucht hat zu lösen."

    Warum auch, profitierte von dieser chaotischen Situation doch am meisten der Medienunternehmer Silvio Berlusconi - war er es doch, der gleich dutzendweise Frequenzen aufkaufte, um seine drei Fernsehsender in ganz Italien ausstrahlen zu können. Die Regierung Prodi will bis Ende dieses Jahres einen genauen Bericht über alle Sendefrequenzen vorlegen. Dann soll das Duopol von Berlusconis Mediaset und der öffentlich-rechtlichen RAI durchbrochen werden. Von medienpolitischem Pluralismus ist die Rede. Deshalb soll zukünftig genau darüber gewacht werden wer welche Sendefrequenzen verkauft. Der Staat in Person des Kommunikationsministers soll das alleinige Recht zur Vergabe von Frequenzen erhalten - und kontrollieren.

    Maria Rosati: "Langsam aber sicher sollen diese Kontrollen durchgeführt werden. Aber es soll, ganz im Sinn der geltenden aber ständig ignorierten Antitrustbestimmungen, darüber gewacht werden, dass nicht nur zwei Medienblöcke den Markt der Frequenzen kontrollieren, sondern dass auch kleinere und kleinste, zum Beispiel Lokalsender, endlich eigene Frequenzen erhalten. Minister Gentiloni will sich besonders um dieses Thema kümmern."

    Sehr zum Leidwesen der Mitte-Rechts-Opposition unter ihrem Leader Silvio Berlusconi. Sie beschwört das Gespenst der Enteignung herauf und spricht bereits von einer Verstaatlichung des Privateigentums - wie, so Berlusconi, "im Kommunismus russischer Machart".
    Die Regierung Prodi sieht das anders: Für sie geht es um das sakrosankte Prinzip des Medienpluralismus und nicht um den Pluralismus von nur zwei großen Fernsehanbietern. Die staatliche Kontrolle der Sendefrequenzen und der Sendeantennen, so Kommunikationsminister Gentiloni, mache einen echten Pluralismus erst möglich.

    Italiens mangelnder Frequenzenpluralismus sorgt auch im Ausland für Kritik. So steht der Fall Italien und seine Frequenzen auf der Liste der besonders kritischen Tagesordnungspunkte der anstehenden internationalen Konferenz zur Telekommunikation, die die UNO in Genf veranstalten will.