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Für weniger Atommüll

Bereits in den 80ern wurde versucht, das Element Thorium, das häufiger vorkommt als Uran, in der Kernenergie zu nutzen. Durchgesetzt hatte sich das Konzept jedoch nicht. Nun denken einige Länder wieder über Thorium als Brennstoff nach - und damit über eine völlig neue Reaktorgeneration.

Von Frank Grotelüschen | 29.10.2013
    "Thorium-Reaktoren würden deutlich weniger Atommüll erzeugen. Und das ist der Hauptgrund dafür, warum wir diese Konferenz hier am CERN organisiert haben: Wir glauben, dass Thorium eine Lösung sein könnte für das Atommüllproblem."

    Eigentlich widmet sich der Arbeitgeber von Karel Samec ja der reinen Grundlagenforschung: Beim CERN in Genf sucht man nach den Urbausteinen der Materie, nach Winzlingen wie dem Higgs-Teilchen. Für diesen Zweck baut das CERN riesige Beschleuniger. Diese Kompetenz ist auch bei einem ganz anderen Projekt von Nutzen – der Entwicklung eines neuen Reaktortyps. Dieser neue Reaktor soll mit dem radioaktiven Thorium funktionieren statt mit Uran. Und um ihn zum Laufen zu bringen, braucht es einen Beschleuniger.

    "Der Beschleuniger bringt Protonen, also Wasserstoffkerne, bis auf drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit. Diese Protonen lässt man auf eine Zielscheibe aus Blei prallen. Beim Aufprall entstehen Unmengen an Neutronen. Diese Neutronen lagern sich dann ans Thorium an und machen es gewissermaßen scharf, sodass es zerfallen und Hitze erzeugen kann. Und aus dieser Hitze lässt sich dann Strom gewinnen."

    Nach Ansicht der Befürworter hat das Konzept große Vorteile: Anders als bei den Uranmeilern ist der Reaktorkern unterkritisch. Das bedeutet: Bei einem Störfall müsste man nur den Beschleuniger ausschalten, und die nukleare Kettenreaktion würde umgehend abbrechen – ein Sicherheitsvorteil. Kritiker allerdings befürchten, dass die Nachwärme, die den Reaktorkern auch nach dem Abschalten weiter aufheizt, dann doch zu einer Kernschmelze führen könnte – und zwar wenn, wie in Fukushima, die Kühlsysteme ausfallen. Außerdem ließe sich ein Thorium-Reaktor im Prinzip für die Produktion von Atombomben-Sprengstoff verwenden – auch wenn das wohl schwieriger wäre als mit einem herkömmlichen Meiler. Für den neuen Reaktortyp spricht, dass er keine Isotope erzeugen würde, die Hunderttausende von Jahren strahlen, sagt Karel Samec.

    "Es würde irgendwas zwischen 300 und 1000 Jahren dauern, dann wäre die Aktivität des Atommülls auf das natürliche Level zurückgegangen."

    Ein atomares Endlager wie für Uranbrennstäbe wäre damit vielleicht gar nicht nötig. Ausgeheckt hatte das Konzept der italienische Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia bereits in den 90er-Jahren. Zunächst fand die Idee nur wenig Widerhall, doch nun wächst das Interesse. In Belgien steht bereits ein kleiner Prototyp, ein größerer soll folgen. Die Ukraine hat ein Projekt gestartet, China investiert Millionen in den neuen Reaktortyp. Doch eines scheint klar: Die Entwicklung eines Thorium-Reaktors dürfte enorme Summen verschlingen. So braucht man einen neuartigen Beschleunigertyp. Er müsste extrem viele Protonen auf einmal beschleunigen können – eine kostspielige Technik. Noch schwerer dürfte ein anderes Problem wiegen:

    "Beim Brennstoffkreislauf dürfte es viel zu tun geben. Nukleare Brennelemente herzustellen und nach dem Betrieb zu entsorgen, ist immer eine heikle Angelegenheit. Schließlich hat man es mit radioaktiven Stoffen zu tun, das gilt auch für Thorium. Für die heutigen Uranmeiler hat es viele Milliarden gekostet, einen Brennstoffkreislauf zu entwickeln. Ähnlich teuer dürfte das auch bei Thorium werden. Das ist die wohl größte Hürde."

    Und so beschränkt man sich am CERN darauf, erst mal die Beschleunigertechnik weiterzuentwickeln, und zwar in kleinen Schritten. Ob dann eines Tages jene Milliarden zusammenkommen, die ein ausgewachsener Thorium-Reaktor kosten würde, ist heute noch völlig offen.