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Fürs Leben lernen

Die alte Lehrerweisheit: "Nicht für die Schule, fürs Leben lernen wir" will einem als Schüler ja nicht immer einleuchten. Und in der Tat gibt es viel zu lernen außerhalb dieser Bildungsanstalt: zum Beispiel bei der Freiwilligen Feuerwehr, bei Umweltorganisationen, in Jugendgruppen oder Altenheimen. Hier erwerben gerade junge Menschen wertvolle Kompetenzen für ihren weiteren Lebenslauf, freiwillig und oft mit einem hohen Grad an Verantwortung. Das belegt eine aktuelle Studie des Forschungsverbandes Deutsches Jugendinstitut München und Technische Universität Dortmund.

Von Dörte Hinrichs | 25.09.2008
    Mal heißt es, sie seien zu bequem, dann sie scheuten die Verantwortung - oder aber angesichts der voller gewordenen Lehrpläne und der vielen Hausaufgaben fehle ihnen die Zeit: Die Jugendlichen von heute engagieren sich nicht mehr freiwillig, so das verbreitete Vorurteil. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus:

    "Krisen in der Jugendarbeit, in Jugendverbänden werden in Wellen immer wieder beschworen, aber es zeigt sich, dass es doch ein ganz kontinuierliches Potential an Engagierten gibt. Wobei ganz klar ist: wer als Kind schon an Veranstaltungen dieser Jugendorganisationen teilnimmt, der wächst auch viel leichter und schneller in Engagement hinein, deshalb ist es wichtig, möglichst schon Kinder mit Angeboten der Jugendarbeit zu erreichen, weil die dann auch lernen, was sie da überhaupt an Möglichkeiten haben und später auch gerne oft dann so in diese Aufgaben- und Verantwortungsübernahme hineinwachsen."

    So Dr. Wiebken Düx vom Fachbereich Erziehungswissenschaft und Soziologie der Technischen Universität Dortmund. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Erich Sass sowie Prof. Claus Tully und Dr. Gerald Prein vom Deutschen Jugendinstitut in München hat sie eine empirische Studie zum informellen Lernen im Jugendalter erstellt. Um den Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement zu untersuchen, wurden 80 ehrenamtlich engagierte Jugendliche zwischen 15 und 22 Jahren befragt, wo sie freiwillig tätig sind, was sie motiviert und welche Aufgaben sie dabei übernehmen. Aber auch 1500 Erwachsene zwischen 25 und 40 Jahren, die früher im Ehrenamt tätig waren sowie solche, die sich in ihrer Jugend auf diesem Gebiet nicht engagiert haben, wurden in die Studie einbezogen. Damit ließen sich erstmals auch Aussagen machen über die Nachhaltigkeit des freiwilligen Engagements.
    Doch was motiviert junge Menschen überhaupt, sich in ihrer Freizeit zu engagieren?

    "Neben Inhalten, Geselligkeit ist auch noch, dass es dort Spaß macht und man auch selbst was bewirken, bewegen und gestalten kann. Das sind so die Motive und es gibt immer Wellen, wo Leute sich gerne engagieren, wie so in den 80er Jahren die Umweltbewegung, das ist auch schon wieder etwas rückläufig, aber immer noch sind viele Jugendliche bei Greenpeace, oder inzwischen auch bei ATTAC, also so neue, soziale oder Umweltbewegungen sind auch immer recht attraktiv für Jugendliche, das impliziert Aufbruch und Veränderung und was gestalten können."

    Viele übernehmen dabei freiwillig und ganz bewusst Verantwortung, wenn sie zum Beispiel mit 15 oder 16 Jahren als Gruppenleiter eine Ferienfreizeit für Kinder betreuen. Was sie dabei lernen, ist etwas ganz anderes als in der Schule und lässt sich nicht in Lehrpläne pressen. Immerhin: 30-35 Prozent der Jugendlichen hierzulande engagieren sich freiwillig außerhalb der Schule. Die meisten kommen aus der Mittelschicht, so Dr. Erich Sass:

    "Jugendliche, wie man es heute nennt, aus bildungsfernen Schichten finden sich eher selten in Jugendverbänden, und wenn sie sich dort finden, eher im Bereich der Teilnehmer, wie zum Beispiel im Sport oder in den Rettungsdiensten finden sich auch eine Reihe von Hauptschülern, aber wenn es dann darum geht, Verantwortung zu übernehmen für andere, für die Organisation, sind es dann doch eher wieder die Gymnasiasten und Realschüler, die das tun."

    Um auch mehr Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten für verschiedene Formen der Freiwilligenarbeit zu aktivieren sind nicht zuletzt die Jugendverbände selbst gefordert, ein breites Spektrum an Freiwilligen für ihre Aufgaben zu begeistern. Diejenigen, die sich dann engagieren, lernen ganz nebenbei - durch "learning by doing".

    "Wir sind also davon ausgegangen, nachdem wir gesehen haben, wie stark durch die Tätigkeit selbst Erfahrungen gemacht werden, dass jemand der eine Demo organisiert oder eine Kindergruppe leitet, dass der bestimmte Kompetenzen besitzt oder weiterentwickelt. Von diesen Tätigkeiten ausgehend haben wir dann auf Kompetenzen geschlossen, die für die Erfüllung dieser Tätigkeiten und Aufgaben notwendig sind."
    Was konkret gelernt wird in Sport- oder Musikvereinen, in sozialen Einrichtungen, Umweltverbänden oder Parteien haben die Wissenschaftler versucht herauszubekommen, indem sie zum Beispiel fragten:

    "Haben Sie schon mal eine Rede vor mehr als 30 Personen gehalten ? Wie gut können Sie das? Wo haben Sie das am ehesten gelernt?"

    Verschiedene Kompetenzdimensionen des informellen Lernens wurden auf diese Weise erfasst:

    "Das sind in erster Linie, vielleicht ein bisschen überraschend organisatorische Kompetenzen. Also Jugendliche organisieren Ferienfreizeiten, Demonstrationen oder Sitzungen usw. Dann waren es Kompetenzen der Leitung und Ausbildung, das heißt im Sport hat man Trainer, da fängt man manchmal in der verbandlichen Jugend schon früh an als Gruppenleiter. Ausgebildet werden auch musische Kompetenzen. Ich zum Beispiel habe im Jugendverband Gitarre spielen gelernt. Dann gibt es sowas wie helferische, pflegerische Kompetenzen, die haben wir abgefragt."

    In den qualitativen Interviews zeigte sich eine erstaunliche Bandbreite und Fülle an übernommenen Aufgaben und Verantwortungsbereichen.

    Vier verschiedene Tätigkeitstypen haben sich dabei herauskristallisiert, so Wiebken Düx:

    "Das ist einmal mit der größten Häufigkeit, 44 Prozent, der Typ des Organisators, der Organisatorin, dann 25 Prozent der Tätigkeiten fallen in den Bereich Gruppenarbeit, Training mit Kindern und Jugendlichen und etwa 14-15 Prozent entfallen dann für so Leitungsaufgaben, Gremientätigkeiten. Also wir haben diesen Typ "Funktionär" genannt und der andere Typ war der "praktische Helfer", der zum Beispiel Erste Hilfe macht oder mit technischen Geräten umgeht, oder Zäune repariert, also in diesem Bereich tätig ist."

    Das sind ebenfalls 15 Prozent der Jugendlichen, die auf diese Weise praktisch helfend tätig sind. Die Studie kam auch zu dem Ergebnis, dass Engagement nicht gleich Engagement ist und sich ganz unterschiedlich auf den Kompetenzerwerb auswirkt:

    "Besonders profitieren die Typen, die wir als "Organisatoren" und "Funktionäre" bezeichnet haben. Wer also große Veranstaltungen organisiert hat oder in der Interessenvertretung tätig war, der scheint auch in anderen Bereichen größere Kompetenzgewinne zu haben, die Bandbreite an Kompetenzen ist bei diesen beiden Typen größer und auch der Kompetenzgewinn in einzelnen Bereichen ist größer als bei den anderen Typen "Praktischer Helfer" und "Gruppenleiter"."

    Das freiwillige Engagement im Jugendalter hat eine nachhaltige Wirkung. So sind die befragten Erwachsenen, meistens auch über die Schulzeit hinaus weiterhin gesellschaftlich aktiv geblieben. Das informelle Lernen auf diesen Ebenen ist nicht zu unterschätzen und prägt oft ganz wesentlich die Biographie, wie Erich Sass und Wiebken Düx herausgefunden haben:

    Sass: "Man kann sagen, dass ein Engagement im Jugendalter eine wichtige Orientierungsfunktion für bestimmte Berufe hat. Dabei geht es vor allem um Berufe im Gesundheitsbereich, im Bildungswesen oder auch im Sozialwesen. Also wir haben die Erwachsenen gefragt, ob sie schon mal im sozialen Bereich erwerbstätig oder in einer entsprechenden Ausbildung waren oder sich befinden, und da haben 42 Prozent gesagt der Engagierten, dass sie das schon einmal waren, und nur 28 Prozent der Nichtengagierten. Und gerade in diesen Bereichen bereitet die Schule, so wie wir denken, nicht so vor. Da haben Jugendliche auch sonst keinen Kontakt in diese Bereiche, und wenn man sich da engagiert, kommt man schon eher damit in Berührung."


    Düx: "Vielleicht könnte man zusammenfassend sagen, dass unsere Studie den empirischen Nachweis bringt, dass freiwilliges Engagement im Jugendalter nachhaltige Wirkung auf d Kompetenzprofil der Erwachsenen hat, auf ihre Berufswahl und ihren Berufserfolg und auf ihre gesellschaftliche Beteiligung. das heißt Freiwilliges Engagement ist ein wichtiges gesellschaftliches Lernfeld für Heranwachsende."