Donnerstag, 09. Mai 2024

Archiv


Fürsprecher der Schwachen

Gao Zhisheng wird von Amnesty International als einer der herausragenden Menschenrechtsanwälte Chinas bezeichnet. Seit seiner Verhaftung im September 2007 fehlt jede Spur von ihm. Gerade noch rechtzeitig zurückgelassen hat er seine Autobiografie unter dem Titel "Chinas Hoffnung". Zhang Danhong hat sie für uns gelesen.

11.08.2008
    "Normalerweise folgen sie mir mit sieben, acht Autos, gestern Abend waren es nur zwei. Normalerweise sind sie alle hinter mir, aber gestern Abend war einer vor mir, einer hinter mir."

    Gao Zhisheng erzählte im letzten Interview mit dem chinesischen Programm der Deutschen Welle am 18. Januar 2006, was ihm am Vorabend passierte. Auch in seiner gerade auf deutsch erschienenen Autobiografie "Chinas Hoffnung" beschrieb er diesen inszenierten Autounfall:

    "Zu dieser Stunde waren nur wenige Autos auf der Straße und wir fuhren ziemlich schnell. Plötzlich bremste der Wagen vor mir - mitten auf der Straße! Ich bremste auch sofort. Mein Wagen hielt drei Zentimeter von dem vorderen Wagen entfernt an."

    "Ich ging nach vorne, um nach dem Autokennzeichen zu schauen, das hintere war durch Zeitungspapier bedeckt. Da fuhr der auf einmal los. Es ist nicht auszuschließen, dass er mich töten wollte."

    Für wie gefährlich muss die chinesische Regierung diesen Mann halten, dass es ihr scheinbar nicht mehr ausreichte, ihn Tag und Nacht von den Sicherheitsbehörden überwachen zu lassen, dass seine Peiniger ihn unbedingt beseitigen wollten?

    Ein einfacher Rechtsanwalt war dieser Gao Zhisheng, aber ein Mann mit ungeheurem Mut und Gerechtigkeitssinn. Geboren wurde er 1964 in einem bitterarmen Dorf der nördlichen Provinz Shaanxi. Später, als renommierter Anwalt, blieb er sich seiner Wurzeln stets bewusst und machte sich zum Fürsprecher der Mittellosen und Unterdrückten.

    Bekannt wurde er in den 90er Jahren durch eine Reihe von Fällen, bei denen er Opfer von ärztlichen Kunstfehlern vor Gericht vertrat. Der spektakulärste Fall war zweifelsohne der kleine Weiyi, der im Alter von drei Monaten durch einen Behandlungsfehler in einem Krankenhaus der nordchinesischen Stadt Shenyang auf beiden Ohren taub wurde. In seinen Memoiren schrieb Gao Zhisheng:

    "Sechs Jahre lang machten er und seine Großmutter Bittgesuche an das Krankenhaus und die Behörden, um eine Entschädigung zu erhalten. Aber das Krankenhaus weigerte sich, auch nur einen Cent zu zahlen."

    Gao Zhisheng übernahm den Fall, und zwar ohne von der verzweifelten Familie des kleinen Weiyi Honorar zu verlangen. Der Prozess zog sich anderthalb Jahre hin und endete mit einem Erfolg für Weiyi. Das Gericht sprach ihm 83.700 Euro Entschädigung zu, die höchste Summe, die jemals in einem Prozess in China wegen ärztlicher Kunstfehler gewährt wurde.

    Sein Einsatz für die Schwachen der Gesellschaft brachte Gao Zhisheng zunächst auch offizielle Anerkennung ein. 2001 wurde er vom chinesischen Justizministerium sogar zu einem der zehn besten Anwälte des Landes gekürt.

    Doch dann wagte er sich an Fälle, die er nicht mehr gewinnen konnte. Es waren zuerst Prozesse um enteignete Häuser. Menschen, die für ihre abgerissenen Häuser gar keine oder nur eine lächerliche Entschädigung erhielten, konnten sich gerichtlich nicht durchsetzen, weil die Allianz aus Immobilienfirmen, korrupten Kadern und käuflichen Richtern nicht zu durchbrechen ist.

    Endgültig zum Staatsfeind wurde Gao Zhisheng, nachdem er 2005 eine Reihe offener Briefe an den Staatspräsidenten Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao veröffentlicht hatte, in denen er beide dazu aufrief, mit der Verfolgung der Meditationsbewegung Falun Gong aufzuhören.

    "In der Weltgeschichte hat noch keine so riesige Gruppe von Menschen in Friedenszeiten nur wegen ihres Glaubens eine derartig schwere und lang anhaltende Verfolgung erlebt. Diese Katastrophe hat Tausende von edlen, unschuldigen Menschen das Leben gekostet und hat Hunderttausende ihrer Freiheit beraubt."

    Man muss die Gesinnung der Falun Gong nicht teilen, um Mitleid mit den Verfolgten zu empfinden. Sie wurden in China zu "Unberührbaren" erklärt, kein Gericht nimmt sich ihres Falles an.
    Gao Zhisheng zahlte für seinen Einsatz für Falun Gong-Anhänger einen hohen Preis.

    Ihm wurde zunächst die Anwaltslizenz für ein Jahr entzogen, dann folgte der inszenierte Autounfall. Im Interview mit der Deutschen Welle sagte er zum Schluss:

    "Auch vor diesem Vorfall war ich innerlich auf alles gefasst. Es gibt aber einen Punkt, der nicht diskutabel ist: Ich werde weiterhin versuchen, die Bürgerrechtsbewegung in China voranzutreiben. Auch wenn mein Körper vernichtet wird, die Bürgerrechtsbewegung ist nicht niederzuschlagen."

    Gao Zhisheng war die führende Figur der sogenannten Bürgerrechtsanwälte. Mit ihm haben es vierzehn chinesische Anwälte Anfang 2005 auf die Titelseite der "Asia News Week" geschafft. Als die mutigsten Chinesen wurden sie gefeiert. Heute kann nur noch die eine Hälfte dieser Gruppe ihren Beruf als Rechtsanwalt ausüben, die andere Hälfte wurde verhaftet, verurteilt oder unter Hausarrest gestellt.

    Gao Zhisheng wurde Ende 2006 wegen "Aufhetzung zur Subversion der Staatsmacht" zu drei Jahren Haft verurteilt. Dank internationalen Drucks wurde die Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Doch im September 2007 wurde Gao Zhisheng abermals festgenommen. Sein Aufenthaltsort ist seither geheim. Seine jetzt gerade auf Deutsch erschienene Autobiografie konnte er vor seinem Verschwinden gerade noch zu Ende schreiben.

    "Chinas Hoffnung" lautet der Titel seiner Memoiren. Doch wenn man dieses erschütternde Werk gelesen hat, mag man nicht erkennen, wo Gao Zhisheng Chinas Hoffnung sieht. Er fühlte sich zunehmend als Einzelkämpfer.

    Allein gelassen wurde er dennoch nie. Stets erhielt er die Unterstützung seiner Anwaltskollegen, und auch einfache Menschen versuchten, ihm zu helfen. Überwältigt war er von der Freundlichkeit der Menschen, als er nach dem Prozesserfolg den kleinen Weiyi noch mal besuchte:

    "Die Taxifahrer weigerten sich, Fahrgeld anzunehmen. Der Park bot uns freien Eintritt an. Die Straßenverkäufer lehnten es ab, Geld zu nehmen, wenn ich etwas am Stand für Weiyi kaufte."

    Dass er und sein junger Mandant diesen Bekanntheitsgrad erlangt haben, verdanken sie den lokalen Medien, die den Fall von Anfang bis Ende begleitet haben. Dennoch lässt Gao Zhisheng an den chinesischen Medien kein gutes Haar:

    "Die Verantwortungslosigkeit und Skrupellosigkeit der Medien ist eine ständige Quelle der Schmerzen für mich."

    Er macht das Schweigen der Medien mitverantwortlich für die missliche Lage der Falun Gong-Anhänger. Genau hier liegt aber die Tragik seines eigenen Schicksals. Als Rechtsanwalt sollte er zu seinen Mandanten auch eine gewisse Distanz wahren. Gao Zhisheng identifizierte sich aber zusehends mit den Opfern und sah die chinesische Gesellschaft durch ihre Brille.

    Das macht auch das Lesen des zweiten Teils seiner Memoiren so mühsam, weil er zu viele Einzelschicksale aufzeichnete, was dem Buch stellenweise den Charakter eines Aktenorders verleiht. Dem Werk mangelt es zudem an Struktur, es besteht überwiegend aus Tagebucheintragungen, die jedoch nicht immer chronologisch geordnet sind.

    Der Aufbau des Buchs ist damit auch Ausdruck der Eile, mit der es verfasst wurde, gerade noch rechtzeitig vor der Verhaftung Ghao Zhishengs. Zurückgelassen hat er eine eindrückliche Schilderung der unsäglichen Situation eines Menschenrechtsanwalts in China.

    Gao Zhisheng: Chinas Hoffnung. Mein Leben und Kampf als Anwalt im größten kommunistischen Staat
    Agenda Verlag, 371 Seiten, 14,95 Euro